Politiker gehen auf die Barrikaden
Irrsinn oder richtiger Schritt? Das denkt die Region über das neue Cannabis-Gesetz
Die Meinungen sind geteilt, das neue Cannabis-Gesetz von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) spaltet die Region Rosenheim. Und nicht nur Politiker gehen auf die Barrikaden.
Rosenheim – Ein liberaleres Gesetz gleich weniger Verstöße gleich weniger Arbeit für die Behörden. So will die Ampel das neue Gesetz von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach auch der Polizei schmackhaft machen. Die aber beißt zumindest in Bayern nicht an. Zu den Regelungen will Stefan Sonntag, Sprecher des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd, keine Stellung nehmen; schließlich habe das Ganze noch gar nicht das Gesetzgebungsverfahren durchlaufen. Davon abgesehen äußert er sich klar: „Grundsätzlich wird die Freigabe von Cannabis zu Genusszwecken unsererseits kritisch gesehen und abgelehnt.“
„Irrsinn“: Eine klare Meinung zum neuen Cannabis-Gesetz hat auch Michael Ertl, Vorsitzender der Kreisgruppe Rosenheim der Polizeigewerkschaft. „Wie soll das funktionieren?“, fragt er sich. „Sollen jetzt unsere Streifen in den Wintergärten nachzählen, ob da einer drei oder fünf Pflanzen hat?“
Das neue Cannabis-Gesetz: Zu viel Bürokratie, zu viele offene Fragen
Zu bürokratisch, überhaupt mit deutlichem Nachbesserungsbedarf: So sehen Lauterbachs Streich auch Menschen, die eine liberalere Cannabis-Politik begrüßen. Es sei wichtig, die Problematik neu zu bewerten, sagt etwa Benjamin Grünbichler von der Suchthilfe Neon in Rosenheim. Praktikabel sei das Gesetz aber noch nicht wirklich. „Deutlichen Nachbesserungsbedarf“ sieht auch Jonah Werner von der Rosenheimer SPD, der ansonsten so urteilt: „Ein großer Schritt in die richtige Richtung.“ Und schließlich sei es auch wichtig, Wahlversprechen zu halten .
Genau dies sieht Ates Gürpinar von der Linken anders. Die Koalition habe eine vollumfängliche Legalisierung versprochen, kritisiert der Rosenheimer Bundestagsabgeordnete. „Davon kann keine Rede sein.“ Konsum im öffentlichen Raum werde unmöglich, der Polizei damit eine neue Bürde aufgeladen. Sein Urteil: „Völlig hanebüchen.“
Daniela Ludwig: „Es wird zu einer Mehrbelastung kommen“
Zu einem ähnlich vernichtenden Schluss kommt – aus genau entgegengesetzter Richtung startend – die Rosenheimer Bundestagsabgeordnete Daniela Ludwig (CSU). Wie vom Deutschen Richterbund vorhergesagt werde es „zu einer Mehrbelastung der Justiz kommen, nicht zu einer Entlastung, wie von der Ampel angekündigt“. Die Polizei werde bei einer Kontrolle nicht mehr in der Lage sein, legales von illegalem Cannabis zu unterscheiden. Auch Sucht-Experte Benjamin Grünbichler ist skeptisch. Mit entscheidend sei schließlich die Wirkstoffkonzentration im Hanf. „Den THC-Gehalt, wie soll den ein Polizist messen?“
Lauterbachs neues Cannabisgesetz
Vorerst ist Karl Lauterbachs Gesetzesentwurf nur vom Kabinett beschlossen, unter anderem der Bundestag muss noch Grünes Licht geben. Dem Entwurf zufolge ist der Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis künftig für über 18-Jährige legal. Zu Hause dürfen bis zu drei Pflanzen angebaut werden. In Vereinen können sich Menschen zusammentun, um unter kontrollierten Bedingungen Cannabis zu produzieren, Mitglieder dürfen bis zu 50 Gramm pro Monat beziehen. Für Jugendliche bleiben Besitz und Konsum verboten. Man werde den Kinder- und Jugendschutz ausdehnen und für mehr Aufklärung sorgen, sagte Lauterbach zu seinem Entwurf. Wie, steht allerdings noch nicht fest.
Lauterbachs Cannabis-Gesetz: Viele Fragen sind ungeklärt
Es sind solche ungeklärten Fragen, die das Gesetz in der Tat diskussionswürdig dastehen lassen. Matthias Eggerl, Kreisvorsitzender der Jungen Union, ist – abweichend vom Kurs der CSU – für eine liberale Regelung. Weil sie seiner Meinung nach den Schwarzmarkt austrocknen und den Schutz der Jugend verbessern kann, in dem sie Produktion und Verteilung des Cannabis transparenter und kontrollierbar mache. Das sieht er aber nur teilweise erreicht. „Es bräuchte einen lizensierten, staatlich geprüften Anbau“, sagt der Wasserburger.
Genau da hapert es. Die Konsumenten sollen sich in Clubs zusammenschließen und sich in diesem Rahmen mit Cannabis versorgen können. Doch ist noch nicht klar, woher das Cannabis dann kommen soll. „Der schlimmste Fall wäre doch ein Modell wie in Amsterdam“, sagt Eggerl. Dort versorgen sich die Kunden legal in Coffee Shops – die ihrerseits aber auf illegale Quellen angewiesen sind und damit den Schwarzmarkt anheizen. Zu regeln wäre auch noch, ab wann Cannabis die Fahrtauglichkeit beeinträchtigt. „Das ist mit der Knackpunkt“, sagt Fahrlehrer Eggerl.
Für Polizei ist eine rote Linie in Gefahr
Gegen Lauterbachs Gesetz lassen sich also sehr wohl handwerkliche Einwände anführen. Aber auch gegen das Cannabis selbst gibt es Bedenken. Für viele Menschen ist es die Einstiegsdroge schlechthin, wenngleich Experten wie Benjamin Grünbichler da ganz anderer Ansicht sind. „Die Einsteigsdrogen sind Alkohol und Nikotin“, sagt er. Für Polizeigewerkschafter Ertl ist der Verbot oder die Liberalisierung des Cannabis-Besitzes und Erwerbs eine Frage der Roten Linien im Rechtsstaat. In Bayern seien die Verhältnisse geordnet, im Freistaat wünsche sich niemand Verhältnisse wie in Berlin. „Da nehmen die Kollegen an einem Tag einen Dealer fest, und am anderen Tag läuft er ihnen wieder über den Weg.“
Auch im an sich friedlichen Oberbayern sieht die Polizei die Zahl der Cannabisvergehen auf einem „sehr hohen Niveau“, wie Sprecher Stefan Sonntag berichtet. Im vergangenen Jahr stellte die Polizei in der Stadt Rosenheim 210 Vergehen fest, im Landkreis 460. Von den rund 4500 Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz im gesamten Präsidiumsbereich mit neun Landkreisen waren mehr als die Hälfte Cannabis-Verstöße.
Cannabis-Legalisierung: Für oder gegen den Schutz der Jugendlichen?
Auch der Jugendschutz spielt eine große Rolle im Für und Wider. Indem er den Cannabis-Besitz und Vertrieb kanalisiert und kontrolliert, will Lauterbach Heranwachsende besser schützen. Genau dies sieht aber Daniela Ludwig in Frage gestellt. Der Entwurf werfe den Kinder- und Jugendschutz komplett über Bord, beklagt die CSU-Parlamentarierin. „Der Schwarzmarkt wird sich jetzt auf die Kunden konzentrieren, die sich nicht legal in den Clubs versorgen können – die Jugendlichen.“
Wenn Cannabis verboten bleibt, was ist dann mit Bier und Schnaps?
Für Benjamin Grünbichler ist der Jugendschutz durch das neue Gesetz nicht gefährdet, eher durch den Mangel an Prävention. Es gelte, die Menschen zu informieren und aufzuklären, nicht aber, sie durch Strafandrohung abzuschrecken. Schließlich unterscheide sich Cannabis nicht so sehr von Alkohol, der allerdings stärker akzeptiert und in der Kultur verwurzelt sei. Auch da könnten Menschen lernen, verantwortungsbewusst den schmalen Grat zwischen Abstinenz und Abhängigkeit zu beschreiten. Matthias Eggerl könnte sich einen „Cannabis-Führerschein“ vorstellen. Jonah Werner wünscht sich das Cannabis weg von der Schmuddelecke, um einen selbstverständlicheren Umgang mit der Droge zu erreichen. Und um den Menschen besser helfen zu können, denen Cannabis schadet.
Zu diesen Menschen gehört indirekt auch Dieter Major. Er leitet in Rosenheim einen Hanf-Laden und sieht sich wegen seines CBD-haltigen Handelsgutes verstärkt unter Beobachtung der Polizei. „Erst im März ist mein Laden zuletzt durchsucht worden.“ Er sieht das neue Gesetz skeptisch, weil es zu bürokratisch sei. Ob es ihm zu mehr Normalität verhelfen könnte? „Warten wir ab“, sagt er zweifelnd. Er sei jedenfalls sicherlich kein Dealer, beteuert er. Er rauche das Zeug ja nicht einmal selbst: „Mir wird einfach speiübel davon.“