Exklusiv–Interview mit Fachärztin für Psychiatrie
Hühnersterben in Söchtenau: Warum für Karen Hendrix die Schuld nicht immer nur beim Bauern liegt
Es war ein Fund, der schockierte: Auf einem Bauernhof in Söchtenau wurden kürzlich 400 tote Hühner entdeckt. Für Psychiaterin Karen Hendrix sind Vorfälle wie dieser oftmals eine direkte Folge der seelischen Belastungen der Landwirte. Wie es so weit kommen kann, erklärt die Fachärztin im Innsalzach24-Interview.
Simbach am Inn – Schwere körperliche Arbeit, steigende Kosten und mangelnde Anerkennung: Der Beruf des Landwirts bringt einige Herausforderungen mit sich. Das weiß auch Karen Hendrix, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Im Interview erklärt sie, warum sich in der Gesellschaft dringend etwas ändern muss, um Vorfälle wie den in Söchtenau künftig zu verhindern.
Frau Hendrix, was machen Sie beruflich?
Karen Hendrix: Ich bin Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Ich bin an der Psychosomatischen Klinik Simbach am Inn angestellt und leite dort die Gruppe für Belastungen in der Landwirtschaft. Zudem habe ich in Egglham im Rottal eine eigene Praxis für Psychotherapie, Schwerpunkt Landwirtschaft, eröffnet.
Warum haben Sie sich für diesen Beruf entschieden?
Hendrix: Ich stamme aus einer eher bürgerlichen Familie, wobei die Seite meiner Mutter landwirtschaftslastig ist. Schon als kleines Kind verbrachte ich meine Tage im Stall und bei den Kühen, denen meine Liebe gilt. Als ich nach Niederbayern zog und dann auch meinen Partner kennenlernte, der einen Milchviehvollerwerb hat, absolvierte ich sofort das Bildungsprogramm Landwirt (BiLA) mit Schwerpunkt Milchvieh und Ackerbau. In meiner ärztlichen Tätigkeit wurde ich immer wieder mit Suiziden in der Landwirtschaft konfrontiert, so dass ich mich ab 2014 intensiv damit auseinandergesetzt habe. Das führte zu meiner heutigen Tätigkeit, der Behandlung von Depression und Burnout in der Landwirtschaft.
In einem Stall in Söchtenau wurden 400 tote Hühner gefunden. Wie konnte es dazu kommen?
Hendrix: So wie es verschiedene Menschen gibt, gibt es auch verschiedene Landwirte. Viele Landwirte kümmern sich wirklich sehr gut um ihre Tiere. Aufgrund von Überforderung kommt es jedoch nicht selten vor, dass auch die verantwortungsvollsten Bauer in eine Depression verfallen. Manche liegen dann nur noch im Bett, gehen nicht mehr aus dem Haus und sehen keinen Menschen mehr, bevor sie ihre Tiere vernachlässigen. Doch irgendwann fehlt dann auch für die Versorgung der Tiere jegliche Energie. Schließlich kann der Bauer das Elend nicht mehr ertragen und schließt die Tür. Tragisch daran ist, dass das Umfeld nichts mitbekommt oder mitbekommen will. Irgendwann kommt doch mal was auf und das Entsetzen – und auch die öffentliche Empörung – sind groß.
Worin liegt die Ursache dieses Problems?
Hendrix: Das Problem fängt bereits in der Gesellschaft an. Bauern werden nicht mehr als Produzenten hochwertiger Lebensmittel wahrgenommen, sondern als Umweltverschmutzer, Tierquäler und „Besitzer“. Gesellschaftliche Abwertung und überbordende Bürokratie sowie absolut fehlende Planungssicherheit sind aktuell die Hauptbelastungen der Landwirte. Die Freude an der Arbeit geht verloren, die eigenen Interessen werden vernachlässigt und trotz immer mehr Arbeitseinsatz und Engagement ist keine Besserung der Situation in Sicht. Zunehmende Depression kann die Folge sein, der Verlust der Lebensfreude, sozialer Rückzug, Energieverlust und Kraftlosigkeit – bis hin zu Suizidgedanken.
Wie kann die Gesellschaft da helfen?
Hendrix: Letztendlich muss sich gesellschaftlich was ändern. Wir alle wollen Tierwohl und gesunde Lebensmittel. Wenn die Leute so, wie immer gefordert, Bio auch tatsächlich kaufen würden, bräuchte es viele Gesetze und Regulierungen nicht, denn der Markt und damit auch das Angebot der Landwirte passen sich dem Verbraucherverhalten an. Aber wie viele Leute konsumieren nur billigste Ware, möglichst ohne Herkunftsbezeichnung. Unter Landwirten heißt es: Den Grill für 1000€ und das kg Fleisch drauf möglichst für 99 Cent. Lebensmittel. Auch Fleisch wird im Restaurant bedenkenlos zurückgegeben oder zuhause aus dem Kühlschrank raus entsorgt. Da ist ein Tier für gestorben, aber das ist in dem Moment wohl egal. Unsere Gesellschaft muss Landwirte, ihre Arbeit und ihre Produkte unbedingt mehr wertschätzen.
Wenn man den Eindruck hat, dass ein Landwirt Hilfe braucht, was tut man dann?
Hendrix: Es wäre schön, wenn die Gesellschaft, und damit sind auch Kirche und Dorfgemeinschaft gemeint, besser hinschaut. Ställe mit toten Tieren werden nicht nur auf Einzelhöfen, sondern auch in der Nähe viel frequentierter Wander- und Radwege gefunden. Tiere melden sich, wenn sie Hunger haben. Laut und Nachdringlich. Das kann man nicht überhören. Die meisten fühlen sich aber nicht angesprochen. Da kommt jemand nicht mehr zum Einkaufen, das Auto wird im Dorf nicht mehr gesehen und niemand wundert sich? Unsere Gesellschaft, und damit jeder Einzelne, sollte sich auch um seinen Nächsten sorgen. Einfach mal hingehen, nachfragen, aufmerksam sein. In Deutschland ist alles gesetzlich reguliert, aber dabei ist die Menschlichkeit leider untergegangen.
ar