Rentner auf Wohnungssuche
Wegen Eigenbedarf gekündigt: Sitzen zwei Rentner aus Halfing bald auf der Straße?
Rentner-Ehepaar in Existenznot: Zwei Senioren müssen aus ihrer Wohnung in Halfing ausziehen, weil der Vermieter Eigenbedarf angemeldet hat. Eine Alternative fehlt. Die Gemeinde schlägt eine Lösung vor – die von Mitarbeitern der Diakonie als „nicht menschenwürdig“ bezeichnet wird.
Rosenheim/Halfing – Die Situation ist beschissen. Daraus macht Georg B. (81) kein Geheimnis. Seit 20 Jahren wohnt der 81-Jährige mit seiner Freundin Irmgard P. (72) in einem Mehrparteienhaus in Halfing – jetzt müssen sie ausziehen. Er sitzt an dem Ecktisch, seine Freundin Irmgard liegt auf der Couch. Die 72-Jährige hat Pflegegrad vier. Sie leidet an stark ausgeprägter Demenz, ist bettlägerig und auf Hilfe angewiesen.
Gemeinsame Höhen und Tiefen
Während des Gesprächs hebt sie hin und wieder ihren Kopf und lacht. Den Großteil der Zeit bekommt man kaum mit, dass sie da ist. Seit 35 Jahren sind die beiden ein Paar, haben gemeinsam viele Höhen und Tiefen erlebt. Doch die größte Herausforderung steht ihnen erst noch bevor. Denn die beiden Senioren haben noch bis Donnerstag, 20. Juli, um eine neue Bleibe zu finden. „Ich weiß gar nicht, wie das funktionieren soll“, sagt Georg B.
Vor ihm auf dem Tisch ihm liegen zahlreiche Unterlagen, handgeschriebene Notizen und Zeitungen. Täglich schaut er sich die Wohnungsangebote an. Einige hat er mit pinker Farbe markiert, andere bereits durchgestrichen. Mit wie vielen Vermietern er in den vergangenen Monaten telefoniert hat, weiß er nicht. Nur an die Absagen kann er sich erinnern. Immer und immer wieder.
Kontakt über den Gerichtsvollzieher
„Der Markt für bezahlbare Wohnungen ist absolut leergefegt. Ich sehe keine realistische Chance für die beiden, fündig zu werden“, sagt Janett Bodemann. Sie ist Sozialpädagogin und arbeitet bei der Fachstelle zur Verhinderung von Obdachlosigkeit der Diakonie Rosenheim. Vor einigen Wochen habe sie über einen Gerichtsvollzieher von dem Fall erfahren – und sich sofort mit dem Paar in Verbindung gesetzt.
Die Gründe, warum das Paar aus ihrer Wohnung muss, spielen für die Sozialpädagogin keine Rolle. „Ich sorge dafür, dass sie nicht auf der Straße landen“, sagt Bodemann. Fest steht, dass dem 81-Jährigen und seiner Freundin im August 2020 wegen Eigenbedarfs gekündigt worden ist. Das bestätigt der Eigentümer des Hauses auf OVB-Anfrage. Einige Monate später habe er die Kündigung jedoch zurückgenommen – mit der Bedingung, dass sich Georg B. verpflichtet, auf Wohnungssuche zu gehen. Im März 2022 habe der 81-Jährige dem Eigentümer zufolge schließlich eine Wohnung gefunden – und seine Kündigung eingereicht.
Nur noch wenige Tage bis zum Auszug
Georg B. bestätigt zwar die Kündigung wegen Eigenbedarfs und die Versuche, eine neue Bleibe zu finden. Eine Kündigung habe er jedoch niemals geschrieben. Zumal er überhaupt nicht wisse, wie ein Computer funktioniere. Welche Aussage stimmt, ist nicht herauszufinden. Fakt ist, dass Georg B. und seine Freundin nur noch wenige Tage haben, bevor sie aus ihrer Wohnung müssen.
Versuche, den Termin weiter nach hinten zu schieben, sind vor Gericht gescheitert. So wurde der Antrag auf Räumungsfristverlängerung vor dem Amtsgericht Rosenheim zurückgewiesen. Unter anderem deshalb, weil laut dem Anwalt des Eigentümers „eine Obdachlosigkeit nicht zu befürchten steht“. So habe sich über die Gemeinde die Möglichkeit ergeben, das Paar in einem Container unterzubringen. Das bestätigt Halfings Bürgermeisterin Regina Braun auf OVB-Anfrage.
Eine Wohnung im Leichenhaus
„Wir lassen niemanden im Regen stehen“, sagt sie. Weil es in der Gemeinde jedoch keine Unterbringungsmöglichkeiten gebe, müsse oft nach Alternativen gesucht werden. Während Obdachlose bis vor zehn Jahren noch in einer Wohnung im Leichenhaus untergebracht wurden, setzt man jetzt auf Hotelzimmer oder Container. In dem Container befinden sich Dusche, Toilette, Heizung, Bett, Tisch und Stuhl sowie eine Kochgelegenheit. Er werde in der Nähe des Rathauses aufgestellt. „Den Platz dort haben wir hergerichtet. Er wird immer mal wieder hergenommen“, sagt Braun. Die Kosten für die Unterbringung trage dabei die Gemeinde.
Insgesamt hat es im vergangenen Jahr 272 Wohnungsnotfälle gegeben. Die Gründe für die drohende Obdachlosigkeit sind vielschichtig. Janett Bodemann spricht von Überschuldungen, einem Verlust des Arbeitsplatzes, einer Trennung vom Partner – oder Eigenbedarf.
Eingeschränkte finanzielle Verhältnisse
Wie es im Fall von Georg B. und Irmgard P. weitergeht, weiß Bodemann nicht. „Die wenigsten Menschen finden Wohnraum zu annehmbaren Preisen“, sagt die Sozialpädagogin. Georg B. und Irmgard P. seien schon aufgrund ihres hohen Alters keine „Vermieterlieblinge“. Hinzu kommen ihre eingeschränkten finanziellen Verhältnisse sowie die Krankheiten der 72-Jährigen. Ein weiteres Problem: Aufgrund der mittlerweile angefallenen Gerichtskosten hat das Paar einen negativen Schufa-Eintrag. „Das erschwert die Herbergssuche zusätzlich extrem“, sagt Janett Bodemann.
Zwar habe sich der 81-Jährige bereits nach freien Plätzen in Alten- und Pflegeheimen umgeschaut – doch fast überall gebe es eine Warteliste. „Zudem muss die Finanzierung sichergestellt werden“, sagt die Sozialpädagogin. Denn bei vielen Heimen müsste eine Eigenbeteiligung erbracht werden. Zwar sei eine Finanzierung realistisch, die müsse aber erst bewilligt werden. Und das braucht Zeit. Zeit, die das Paar nicht hat.
Verschlechterung des Gesundheitszustands?
„Georg B. berichtet mir, dass er müde ist und nicht mehr kämpfen möchte. Er will nur einen ruhigen restlichen Lebensabend mit seiner Partnerin verbringen“, sagt Janett Bodemann. Sie befürchtet, dass es durch die anstehende Zwangsräumung bei beiden zu einer „Verschlechterung des Gesundheitszustands“ kommen wird. Zumal eine Unterbringung in einem Container, wie es vonseiten der Gemeinde geplant ist, in ihren Augen „nicht menschenwürdig“ ist – gerade für einen 81-jährigen Mann und seine pflegebedürftige Frau.
Mehr Informationen über die Fachstelle
Janett Bodemann weist darauf hin, dass Wohnungslosigkeit umso erfolgreicher verhindert werden kann, je früher die Fachstelle bei einem Wohnungsnotfall hinzugezogen wird und die professionelle Hilfe ansetzen kann. Ist die Kontaktaufnahme gelungen, wird mit den Betroffenen die persönliche, soziale und finanzielle Situation besprochen. Anschließend werden Veränderungs- und Lösungsmöglichkeiten erarbeitet. Vorrangiges Ziel sei der Erhalt des Wohnraums. „Wir klären ab, ob die Mietschulden durch eigene Mittel getilgt werden können oder die Übernahme von Mietschulden durch das Jobcenter beziehungsweise das Sozialamt sinnvoll und möglich ist“, erklärt Bodemann. Kann die Wohnung nicht erhalten werden, unterstütze die Fachstelle die Betroffenen bei der Suche nach Ersatzwohnungen. Kann die Wohnungslosigkeit nicht verhindert werden, wird in Zusammenarbeit mit Gemeinden die weitere Unterbringung besprochen. Mehr Informationen gibt es per Mail unter fol-land@sd-obb.de. Wer Wohnraum zur Verfügung stellen möchte, kann sich bei Janett Bodemann melden. Sie ist erreichbar unter Telefon 08031/3009 1039 oder per Mail an janett.bodemann@sd-obb.de.