„Wir müssen aufpassen, bevor es zu spät ist“
Wasserburger Experten warnen: So gravierend sind die Klimaschäden in den Alpen
„Das ist sehr krass“, fasst Fritz Gottwald vom Wasserburger Alpenverein die Klima-Veränderungen in den Bergen zusammen. Auch Max Finster vom Bund Naturschutz ist besorgt. Warum am Großglockner ein Boot inzwischen nützlicher ist als ein Eispickel. Und weshalb die Gletscherschmelze nicht das einzige Problem ist.
Region – Schon zu Beginn der Ski-Weltcup-Saison kam Unmut von verschiedenen Sportprofis. Felix Neureuther und Mikaela Shiffrin kritisierten den frühen Start der Saison. Er setze in Zeiten des Klimawandels und des Gletscherschmelzens ein falsches Zeichen. Dem stimmt auch Fritz Gottwald, Vorsitzender des Alpenvereins Wasserburg, zu. „Die Skipisten mit Kunstschnee zu beschneien, ist ein irrsinniger Energieaufwand“, sagt der 62-Jährige.
Verletzungsgefahr beim Skifahren
Die Wintersportindustrie sei für Gottwald nicht mehr zeitgerecht. „Ich sehe oft beim Skifahren, wie die Hänge neben den Pisten braun oder gar grün sind“, betont er. Das führe auch zu einer höheren Verletzungsgefahr, wenn Skifahrer von der Piste abkämen. „Die Beschneiung mit Kunstschnee benötigt außerdem Massen an Energie und Wasser“, sagt Gottwald, der seit 30 Jahren Vorstand beim Alpenverein Wasserburg ist. Die Natur habe sich verändert. Künstlich bei der Beschneiung nachzuhelfen, sei klimaschädlich, betont er.
Teures Hobby
Dass in Bayern die Schneekanonen vom Staat bezuschusst werden würden, sei für ihn eine Steuergeldverschwendung und „überhaupt nicht passend.“ Skifahren sei schon seit langem kein Volkssport mehr, sondern ein exklusives, teures Hobby für einen kleinen Teil der Bevölkerung, betont Gottwald. Zuschüsse wären laut ihm besser in die Suche nach alternativen Sportarten investiert. „Klar hängt am Skisport aber auch viel dran: Er fördert den Tourismus und schafft Arbeitsplätze“, bedenkt Gottwald.
Er ist nicht nur zum Skifahren in den Bergen unterwegs. Etwa 130 Touren im Jahr gehe der Pensionist. Dabei ist er sowohl im Flachland als auch im alpinen Bereich zu finden. „Der höchste in Berg diesem Jahr war das Große Wiesbachhorn“, sagt Gottwald. Mit 3.564 Metern ist es das zweithöchste Bergmassiv der Glocknergruppe in Österreich. „Und das Wiesbachhorn ist in Bezug auf den Klimawandel ein sehr interessanter Berg“, berichtet der Vorsitzende.
Kein Eis am Wiesbachhorn
Vor etwa 40 Jahren sei Gottwald die Tour auf dem österreichischen Berg zuletzt gegangen. „Früher war das eine bekannte Firneistour. Da musste man auch im Sommer mit Eispickel und Seilen den Gletscher hochklettern“, erklärt der 62-Jährige. Mittlerweile sei vom Eis am Wiesbachhorn alles weggeschmolzen. „Man kann mit normalen Sportschuhen dort hochgehen“, weiß Gottwald. Auch die Pasterze, der größte Gletscher der Ostalpen, sei stark vom Klimawandel betroffen. „Das ist sehr krass dort“, findet er. Wo früher die Gletscherzunge war, sei heute ein See. „Dort kann man keine Skitour mehr gehen. Dort braucht man jetzt ein Boot“, erklärt der Mittergarser.
„Ich bin gerne Gletschertouren gegangen. Auch an der Hochfeiler Nordwand in Österreich“, sagt er. Das sei heute nicht mehr möglich. Seine erste Eistour bestieg Gottwald bereits mit 19 Jahren: die Pallavicini-Rinne am Großglockner in Tirol. „Den Gletscher dort gibt es schon seit 25 Jahren nicht mehr“, erklärt er. Das sei ein Problem. „Die Berghütten spüren den Mangel bereits. Um im Sommer genügend Wasser zu haben, müssen sie den Regen auffangen oder es anderweitig besorgen“, betont der 62-Jährige.
Wie funktionieren Gletscher?
Gletscher kommen in den Polarregionen und Hochgebirgen vor. Im oberen Teil befindet sich das Nährgebiet. Dort fällt im Jahresmittel mehr Schnee, als abtauen kann. Frisch gefallener Schnee verdichtet sich durch Schmelzen und erneutes Gefrieren und unter Druck zu Firneis. Im unteren Bereich ist das Zehrgebiet. Dort schmilzt oder bricht der Gletscher ab (Deutscher Wetterdienst). Mit einer weiteren Erderwärmung schmilzt im Sommer weiterhin mehr Eis ab als im Winter nachproduziert wird, wie Gottwald erklärt.
In den Sommermonaten dienen die Gletscher in den Alpen dazu, die Gebirgsbäche zu speisen. 60 bis 70 Prozent des Wassers in jenen Bächen kommt von der Gletscherschmelze. Der Deutsche Alpenverein schätzt, dass der Abfluss in der Mitte des Jahrhunderts nur mehr 25 Prozent betragen wird und der maximale Abfluss über das Jahr bereits im Mai erreicht sein wird (Deutscher Alpenverein).
Dass die Gletscher schmelzen, werde in Zukunft ein weltweites Problem. „Sie sind große Wasserspeicher und speisen die Flüsse“, betont Gottwald. Und das Abtauen werde durch verschiedene Faktoren begünstigt. „Wenn sich zum Beispiel der rote Saharastaub auf dem Gletscher ablegt, dann erwärmt er sich schneller“, erklärt er. Und auch die Mengen an Treibhausgasen in der Luft tragen zur Schmelze bei. „Da muss sich etwas ändern“, fordert der Mittergarser.
Handlungsbedarf bei großen Akteuren
Insgesamt schätzt Gottwald die bisherigen Maßnahmen gegen den Klimawandel als zu gering ein. „Solange der Mensch so viel Kohlenstoffdioxid in die Luft bläst, solange die Anzahl der Flüge zunimmt und solange fossile Brennstoffe ausgegraben und verbrannt werden, sehe ich einer Verbesserung pessimistisch entgegen“, betont er. Auch wenn viele einzelne Bürger etwas bewirken könnten, sieht Gottwald den Handlungsbedarf bei den großen Akteuren, wie der Ölförderung und dem Flugverkehr.
Neben der Gletscherschmelze beobachte Gottwald außerdem, dass die Baumgrenze nach oben wandere. „In den Dolomiten zum Beispiel sind mittlerweile Lerchen und Zirben auch auf 2100 Metern“, erklärt er. Das sei auch für die Waldgrenze an den Südalpen relativ hoch. Und auch das Auftauen des Permafrostbodens ist für den 62-Jährige besorgniserregend. „Wenn der Untergrund taut, wächst die Steinschlaggefahr“, so der Alpenvereinsvorstand.
Steinschlaggefahr sei nicht zu unterschätzen
Diese Ansicht teilt auch Max Finster, Vorsitzender des Bund Naturschutz Wasserburg. „Viele Wege und Hüttenzugänge sind mittlerweile wegen Steinschlaggefahren nicht zu unterschätzen“, betont der 67-Jährige. Er ist seit 50 Jahren aktiv in den Alpen unterwegs. Die letzten 25 Jahre begeistern ihn Alpenweit-Wanderungen. Dabei begehe der Viehhausener immer wieder die „Via Alpina“, ein Weitwander-Wegenetz durch die acht Alpenstaaten Deutschland, Österreich, Slowenien, Italien, Schweiz, Frankreich, Monaco und Lichtenstein.
Klimawandel hautnah
Bei einem halben Jahrhundert Bergerlebnis nehme Finster den Klimawandel hautnah wahr. „Es sind vor allem die gewaltigen Gletscherrückgänge, die ein völlig neues und ungewohntes Landschaftsbild hinterlassen“, sagt er. Die Natur zeichne sich nun durch vegetationsfreie Fels-, Stein- und Geröllhalden mit eingestreuten Gletscherseen aus. Außerdem seien einige Blütenpflanzen und Gräser nach oben gestiegen, so der 67-Jährige, der 40 Jahre in der Naturschutzbehörde des Landratsamtes Ebersberg tätig war.
Bergwälder leiden
Durch Starkhitze-Ereignisse würden laut Finster die Bergwälder im südlichen Teil der Alpen leiden. „In den Hochlagen des Rhonetales und Savoyens in Frankreich haben wir viele vertrocknete, abgestorbene Wälder gesehen“, betont der Viehhausener. Dadurch würde in den betroffenen Gebieten die Bodenbefestigung verloren gehen.
Wichtig für Max Finster sei neben einer Reduzierung von Kohlenstoffdioxid die Eingriffe in den Alpenraum zu reduzieren. Das heiße keine weiteren Erschließungen der Alpen mit Tourismusprojekten und Forststraßen, sondern ein Ausbau der Schutzgebiete. „Die Alpen sind für uns eine Arche Noah“, betont der 67-Jährige. Hier könne eine breite Artenvielfalt an Pflanzen und Tiere überdauern, die außerhalb des Alpenraums durch Siedlungsdruck und wirtschaftlicher Erschließung keine Chance mehr hätten, erklärt der Vorsitzende des Bund Naturschutzes Wasserburg. Nirgend sei mehr Wildnis und ursprüngliche Natur zu finden, wie in abgelegenen und höheren Alpenregionen, so Finster. „Da müssen wir gut darauf aufpassen, bevor es zu spät ist.“





