Reaktionen auf Eklat in Ebersberger Kita
„Gewalt führt zu mehr Gewalt“: Und das ist noch nicht alles – Warum jede „Watschn“ schadet
Eine Watschn hat noch niemandem geschadet? Die Meinungen dazu gehen auseinander. Carina Staber ist Erzieherin, „Multiplikatorin für gewaltfreie Pädagogik“ und Mutter von drei Kindern. Warum für sie jede Art von Gewalt ein No-Go ist und wie Eltern ihre Kinder ohne Watschn zum respektvollen Umgang erziehen.
Samerberg – Der Vorfall in einer Ebersberger Kita schlägt hohe Welle: Eine Erzieherin hat einen Buben (6) ins Gesicht geschlagen, nachdem dieser sich daneben benommen hatte. Allerdings arbeitet dieselbe Erzieherin weiterhin in der Einrichtung. Der Familie des Jungen wurde jedoch der Betreuungsvertrag gekündigt. Seitdem wird dieses Thema kontrovers unter den OVB-Leser in den Kommentarspalten in den Sozial Medien oder über Leserbriefe diskutiert. Viele haben eine klare Haltung und lehnen Gewalt gegen Kinder ab. Andere zweifeln die Erziehungsfähigkeit der Eltern an, meinen gar, der Junge hätte die Schläge verdient. Dicht geführt von: „A Watschn hot nu niemandem gschod.“
Mit dem Kochlöffel verprügelt
Doch in vielen Fällen bleibt es nicht bei einer Ohrfeige. Manche Eltern greifen zu härteren Mitteln. „Meine Erzeugerin hat mich regelmäßig mit dem Kochlöffel verprügelt“, kommentierte ein Leser bei Facebook. Aufgrund dieser Erfahrungen und zahlreicher familiärer Konflikte habe er heute keinen Kontakt mehr zu den Eltern, berichtet er in einem Telefongespräch mit dem OVB. Zu angespannt sei das Verhältnis, weswegen der Mann lieber anonym bleiben möchte – auch aus Angst vor rechtlichen Konsequenzen.
Er erinnere sich aber genau daran, wenn die Mutter wieder zugeschlagen habe. Das Verhalten der Erzieherin in der Ebersberger Kita sei für ihn ein No-Go: „Das geht gar nicht. Lehrer, Erzieher oder auch Sporttrainer haben kein Recht, ein fremdes Kind anzufassen“, sagt er. Auch ins Gesicht schlagen sei für ihn Tabu. Gegen einen kleinen Klaps auf den Po habe er aber nichts. „Nicht fest, nur damit das Kind sich im Wutanfall wieder fängt. Das finde ich nicht schlimm.“
Kinder müssen Sozialverhalten lernen
Das sieht Carina Staber anders: Die Samerbergerin ist Erzieherin und Mutter von drei Kindern. Sie weiß, welchen Herausforderungen sich Eltern und Fachpersonal bei der Erziehung von Kindern stellen müssen. Als Multiplikatorin für gewaltfreie Pädagogik bietet Staber Coachings für Kinderbetreuungseinrichtungen und Eltern an. „Kinder kommen nicht mit Sozialverhalten auf die Welt. Sie müssen es erlernen“, erklärt Staber. Und die Eltern sind dabei ihr wichtigstes Vorbild.
Erfahren Kinder Gewalt, dann hinterlässt das Spuren. „Angepasste Kinder werden später zu unglücklichen Erwachsenen“, sagt Staber. Oft seien sie psychisch belastet oder können schlechter Vertrauen in andere fassen. Auch bei der Lösung von Konflikten neigen Menschen, die in ihrer Kindheit mit Schlägen erzogen wurden, eher selbst zu gewalttätigem Verhalten. „Gewalt führt zu Gewalt. Manche Kinder fangen aber auch zu lügen an, um die Gewalt zu verhindern.“ Eine gute Vertrauensbasis und Kommunikation mit den Kindern sei die Grundlage für Erziehung, ganz ohne Popoklapse und Ohrfeigen.
Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung
Das Recht jeden Kindes auf eine gewaltfreie Erziehung ist seit dem 1. Januar 2001 bundesgesetzlich verankert. Gemäß § 16 Abs. 1 SGB VIII sind die Jugendämter verpflichtet, den Eltern Wege zur gewaltfreien Lösung von familiären Konfliktsituationen aufzuzeigen. Gleichzeitig haben Eltern einen Anspruch auf Unterstützung bei der Erziehung, wenn sie eine dem Wohl des Kindes oder Jugendlichen angemessene Erziehung nicht gewährleisten können. Dazu gehören laut Carina Staber auch Klapse auf den Po, Ohrfeigen oder Mund zuhalten durch die Eltern. „Wenn ich in der Öffentlichkeit Eltern sehe, die so etwas machen, dann weise ich sie darauf hin, dass es verboten ist. Ich finde, das sollte jeder tun.“
Triggerpunkte bei sich selbst abklären
Um Gewalt zu verhindern und gegebenenfalls erlernte Muster abzulegen, sei es wichtig, in die Selbstreflexion zu gehen. „Was triggert das Verhalten des Kindes bei mir? Und wie lerne ich damit umzugehen?“, erläutert Staber. Denn wie die pädagogische Fachkraft erklärt, entwickelt sich die Empathie – also die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen – bei Kindern stufenweise und ist ein langer Prozess. Kindliche Verhaltensweisen, die Erwachsene als Provokation empfinden, seien aber eine Reaktion der Kinder auf ein vorangegangenes Verhalten eines Erwachsenen.
„Gleichzeitig war Erziehung noch nie so schwierig wie heutzutage“, meint Staber. Das Bild des Kindes habe sich verändert. Sie werden nun als kompetent angesehen, und es werden ihnen viele Rechte zugestanden. Auch die Teilhabe an Entscheidungen spiele in der Pädagogik eine wichtige Rolle. Gleichzeitig müssten Erwachsene darauf achten, dass diese Entscheidungsfähigkeit Kindern entsprechend ihres Alters und ihrer Entwicklung zugemutet werden. „Ich kann mein Kind nicht alles entscheiden lassen. Aber ich kann einen Dreijährigen entscheiden lassen, welche Hose er anziehen will.“
Mal aus der Haut zu fahren und seine Kinder anzuschreien, das könne jedem Mal passieren. „Nobody‘s perfect. Solange der Grundton harmonisch ist und man seinem Kind dann erklärt, warum Mama gerade so sauer war, ist das nicht problematisch.“ Eine gute Kommunikation und das Besprechen von Gefühlen seien die beste Grundlage für ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Kindern und Eltern – aber auch zum pädagogischem Personal. Sollte ein Konflikt jedoch eskalieren, empfiehlt Staber: „Dem Kind mitteilen, dass es gerade zu viel wird und aus der Situation herausgehen.“ Kurz aus dem Zimmer gehen, sich beruhigen und erneut in die Kommunikation gehen.
Besondere Herausforderungen für Erzieher
Eine Herausforderung für Eltern und Erzieher. Auch für das Personal in Kinderbetreuungseinrichtungen haben sich die Rahmenbedingungen in den vergangenen Jahren stark verändert. Neben dem Fachkräftemangel werden gleichzeitig immer mehr Erziehungsaufgaben auf Einrichtungen und das pädagogische Personal übertragen, so Staber. Denn Kinder werden tendenziell früher – meist ab einem Jahr – fremdbetreut. Sauberkeitserziehung, aber auch das Vermitteln von Werten wie Tischmanieren oder zwischenmenschlicher Kommunikation erlernen viele Kinder in den Kitas, weiß Staber.
Um Vorfälle wie in Ebersberg zu vermeiden, müssen Kitas seit 2021 verpflichtend sogenannte Schutzkonzepte erarbeiten. Diese regeln, wie die Einrichtung mit Gewalt umgeht und diese in jedem Fall verhindert werden muss, aber auch wie eine Aufarbeitung, falls es doch mal passiert, aussehen muss. „Leider gibt es keine unabhängige Kontrollinstanz“, erklärt Staber. Sie wünscht sich daher ein Qualitätsmanagement, wie es inzwischen zahlreiche Unternehmen haben. So könnten Fälle wie in Ebersberg besser aufgeklärt werden.