Erste weibliche Präsidentin in 700-jähriger Geschichte
Kesting statt Kroiß: Diese Frau rückt jetzt an die Spitze des Traunsteiner Landgerichts
Frauen haben am Traunsteiner Landgericht immer mehr das Sagen - Anja Kesting ist jetzt neue Präsidentin, damit gibt es sogar eine weibliche Doppelspitze. Sie beerbt Ludwig Kroiß, gegen den derzeit ein Strafbefehlsverfahren läuft. Wir haben mit Kesting über die Herausforderungen der Traunsteiner Justiz gesprochen.
Traunstein/Südostbayern - Das Traunsteiner Landgericht wird immer weiblicher: Schon auf 70 Prozent der Mitarbeiter trifft das zu und auch bei den Richtern sind die Frauen in der Mehrheit. Jetzt spiegelt sich das Geschlechterverhältnis auch an der Spitze des Gerichts wider. Anja Kesting ist seit 16. April neue Präsidentin des Traunsteiner Landgerichts. Und auch das Amt der Vizepräsidentin ist mit Andrea Titz weiblich besetzt. „Damit bin ich die erste Frau in der rund 700-jährigen Geschichte des Landgerichts“, sagt Kesting im Gespräch mit chiemgau24.de nicht ganz ohne Stolz.
Insgesamt rund 700 Mitarbeiter an den heimischen Gerichten
Kesting leitet eine Riesenbehörde: Denn sie führt nicht nur die rund 170 Mitarbeiter am Landgericht selbst, sondern hat in ihrem Zuständigkeitsbereich auch noch die fünf Amtsgerichte in Rosenheim, Mühldorf, Altötting, Laufen und Traunstein unter sich - weitere 536 Mitarbeiter sind dort beschäftigt. Geht es nach Kesting, ist die Zahl aber noch deutlich zu niedrig: „Vor allem bei den Strafverfahren stehen wir unter einer sehr hohen Belastung.“ Und wenn Polizei und Staatsanwaltschaft nach und nach personell aufgestockt werden, sollten in der Folge auch die Gerichte gestärkt werden. Allein voriges Jahr gingen am Landgericht insgesamt knapp 6000 Verfahren ein.
Die 61-Jährige stammt eigentlich aus Nordrhein-Westfalen, lebt aber bereits seit 25 Jahren im Chiemgau: „Bei meiner ersten Fahrt vom Bernauer Berg hinunter wusste ich: ‚Hier bin ich und hier bleib‘ ich‘.“ Ihr Studium der Rechtswissenschaft schloss Kesting 1990 in Würzburg ab, zwischen 2001 und 2008 war sie schon einmal Richterin in Traunstein. Später fungierte sie als Pressesprecherin am Bundesverfassungsgericht, leitete Verhandlungen am Oberlandesgericht und war zuletzt Direktorin am Rosenheimer Amtsgericht.
Mit Kesting soll jetzt wieder Ruhe an die Spitze des Landgerichts einkehren. Denn ihr Vorgänger im Amt, Ludwig Kroiß, sorgte jüngst für Negativschlagzeilen: Gegen ihn wurden Vorwürfe der sexuellen Belästigung laut. Am Amtsgericht München läuft ein Strafbefehlsverfahren. Kroiß bestreitet die Vorwürfe, gilt derweil als unschuldig. Bereits im Oktober wurde er aber vom Dienst vorläufig suspendiert. Ludwig Kroiß‘ Nachfolgerin will sich zum Thema nicht groß äußern. Die Stimmung in der Behörde sei gut. Und das Vertrauen der Menschen gewinne man über die Art und Weise, wie Prozesse geführt werden. „Das hängt nicht von Einzelverfahren ab.“
Kommt ein Neubau am Landgericht in Sicht?
Auch selbst sitzt Kesting noch am Richterpult, als Mitglied der Beschwerdekammer. „Da geht es um Beschwerden bei Betreuungsverfahren, Abschiebungshaft oder Zwangsvollstreckungen.“ In erster Linie liegen ihr Aufgaben aber in der Personalführung. „Und wir müssen unsere Raumnot beheben.“ Zivilverfahren müssen teils schon in Verwaltungszimmern verhandelt werden, bei einem großen Schleuserprozess ging man wegen Platzmangels nach München. Das Gebäude mit den Verhandlungssälen in Traunstein stammt noch aus den 1960ern. Wann macht der Freistaat Geld für einen Neubau locker? Das nächste dicke Brett, das Kesting zu bohren hat.
xe