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Bub hatte Herzstillstand - Krankenkasse mauert

Therapiestuhl unnötig? Welche Kämpfe die Eltern von Wachkoma-Patient Finni (7) ausfechten müssen

Seit neun Monaten im Krankenhaus: Finni Zettel (7) aus Krügling bei Feldkirchen-Westerham, der Mitte Januar aufgrund einer Superinfektion einen Herzstillstand erlitten hatte und wiederbelebt werden musste. Seitdem befindet sich der Bub in einem wachkoma-ähnlichen Zustand.
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Seit neun Monaten im Krankenhaus: Finni Zettel (7) aus Krügling bei Feldkirchen-Westerham, der Mitte Januar aufgrund einer Superinfektion einen Herzstillstand erlitten hatte und wiederbelebt werden musste. Seitdem befindet sich der Bub in einem wachkoma-ähnlichen Zustand.

Neun Monate ist es her, dass Finni Zettel (7) aus Feldkirchen-Westerham einen Herzstillstand erlitten hatte und wiederbelebt werden musste. Neun Monate, in denen Finnis Eltern nicht nur um die Genesung ihres Buben kämpfen, sondern oftmals auch gegen Behörden und die Krankenkasse.

Feldkirchen-Westerham – Ein Luxus-Sportwagen, mehrere Familienreisen in ferne Länder oder eine fette Ratenzahlung für die eigene Immobilie: Mit 100.000 Euro ließe sich eine Menge anfangen. Ein Betrag, den Viktoria und Mike Zettel aus Krügling bei Feldkirchen-Westerham in den vergangenen neun Monaten investiert haben. Beispielsweise in den behindertengerechten Umbau eines Fahrzeugs oder in einen Treppenlift – und damit in die Zukunft ihres Sohnes Finn. Denn der Siebenjährige hatte im Januar nach einer Superinfektion einen Atem- und Herzstillstand erlitten und kämpft sich seither in winzigen Schritten zurück ins Leben. Dabei wird er liebevoll von seinen Eltern unterstützt, die gleichzeitig aber weitere Kämpfe ausfechten müssen. Beispielsweise gegen ihre Krankenkasse.

„Hallo von mir mit einem Puls von gefühlt 300.“ Mit diesen Worten beginnt ein Video, das Viktoria Zettel (35) vor wenigen Tagen bei Instagram online gestellt hatte und das bis dato fast 3000-mal gelikt und über 500-mal kommentiert worden ist. Per Video berichtet sie darüber, dass ihre Krankenkasse, die Techniker Krankenkasse (TK), einen Therapiestuhl für Finni abgelehnt hat. „Liebe Techniker Krankenkasse, Danke für nichts. Vielen Dank für nichts“, wendet sich die 35-Jährige in dem kleinen Clip direkt an die TK und verweist darauf, dass ihr Kind „Opfer eines fatalen Behandlungsfehlers geworden“ sei.

Ein glühender Dinosaurier-Fan

Ein Rückblick: Er war so stolz darauf, endlich in die Schule gehen zu dürfen, war glühender Dinosaurier-Fan, spielte gerne mit seinen beiden Brüdern am nahegelegenen Waldrand: Bis Mitte Januar 2024 war Finn, von allen liebevoll Finni genannt, ein kerngesunder siebenjähriger Bub. Doch dann führte eine medizinische Fehleinschätzung dazu, dass das Leben der ganzen Familie auf den Kopf gestellt worden war.

Aufgrund eines grippalen Infekts mit Atembeschwerden bei Finni hatten sich dessen Eltern an einem Samstag Mitte Januar an den Ärztlichen Bereitschaftsdienst gewandt, der den besorgten Eltern riet, mit dem Siebenjährigen ins Krankenhaus zu fahren. Dort schickte die diensthabende Ärztin den Buben aber nach einer kurzen Untersuchung und der Gabe von Cortison und Paracetamol wieder nach Hause.

Eine Fehleinschätzung der Situation, die in einem dramatischen Todeskampf des Kindes gipfeln sollte. Nachdem sich der Zustand des Siebenjährigen über Nacht verschlechtert hatte, fuhren Zettels mit Finni erneut ins Krankenhaus und pochten dort darauf, dass ihr Bub ausführlich untersucht werden soll. Doch noch vor dem Ende der Untersuchung habe der kleine Erstklässler „keine Luft mehr bekommen, ist blau angelaufen und hat wild gestrampelt“, erinnert sich Viktoria Zettel an die aufwühlendsten Minuten ihres Lebens zurück.

Erst nach rund zehn Minuten bringen Ärzte Finnis Herz wieder zum Schlagen

Und plötzlich war ihr kleiner Sonnenschein, der einen Atem- und Herzstillstand erlitten hatte, tot! „Ich habe gedacht, ich sterbe im selben Moment“, durchlebt die 35-Jährige diese dramatischen Minuten immer und immer wieder. Rund zehn Minuten dauert es schließlich, bis ein Ärzteteam das Herz des kleinen Buben wieder zum Schlagen gebracht hatte. Doch die Auswirkungen des Herz- und Kreislaufzusammenbruchs waren und sind fatal. Auch heute, über neun Monate nach dem Drama, kann Finni weder gehen noch sprechen, befindet sich nach wie vor in einem wachkoma-ähnlichen Zustand.

Es ist ja nicht so, dass ich goldene Wasserhähne verlange.

Viktoria Zettel über den mühsamen Kampf um medizinische Hilfsmittel

Neun Monate, in denen Viktoria Zettel ihrem Jüngsten, der in der Schön-Klinik Vogtareuth behandelt wird, kaum von der Seite gewichen ist, während sich ihr Mann Mike (46) daheim in Feldkirchen-Westerham um die zwei älteren Söhne Paul (14) und Lukas (17) kümmert. Doch selbst wenn Finn mal für 45 Minuten im vom Krankenhaus angebotenen Einzel-Schulunterricht ist, wie seit September zweimal die Woche, oder eine seiner zahlreichen Therapieeinheiten absolviert, kann Viktoria Zettel nicht abschalten und durchschnaufen. Denn in dieser „Freizeit“ kümmert sich die junge Mutter um den oftmals nervenaufreibenden Kampf mit Behörden und Kassen.

Therapiestuhl „kein Luxus, sondern absolut notwendig“

Bestes Beispiel: Der Kampf um den bei der Techniker Krankenkasse beantragten Therapiestuhl für Finni, über dessen Ablehnung sich die 35-Jährige letztlich in ihrem Instagram-Video erzürnt hatte. „Es ist ja nicht so, dass ich goldene Wasserhähne für zu Hause verlange“, sagt die Feldkirchen-Westerhamerin, die plausible Argumente liefert, wieso diese Sitzmöglichkeit eben „kein Luxus, sondern absolut notwendig“ für die Betreuung des kleinen Buben in seinem Zuhause in Krügling ist.

Denn im Hause Zettel gibt es mittlerweile einen Treppenlift, den die Familie für 17.000 Euro installiert hat, damit der Bub überhaupt in die Wohnung, die im ersten Obergeschoss beginnt, kommen kann. Insgesamt hat die Pflegekasse 4000 Euro für alle Umbauten bewilligt – alle darüber hinausgehenden Kosten müssen Zettels aus eigener Tasche sowie aus Spenden für Finni (Viktoria Zettel: „Es ist unfassbar, wie viele Menschen uns unterstützt haben.“) finanzieren. Transportiert werden kann aber nur der Bub, nicht der Rollstuhl. „Daher braucht Finni in unserer Wohnung eine geeignete Sitzmöglichkeit, um überhaupt am Familienleben teilnehmen zu können“, erklärt die 35-Jährige. „Ich kann ja nicht den über 40 Kilogramm schweren Rollstuhl nach oben bringen oder Finni den ganzen Tag nur im Bett liegen lassen.“

Das sieht die Techniker Krankenkasse, bei der Finni versichert ist, scheinbar anders. Sie hat den Antrag auf den Stuhl, der je nach Ausführung zwischen 5000 Euro und einem unteren fünfstelligen Betrag kosten kann, zunächst abgelehnt. „Mir ist schon klar, dass Finni aus Sicht der Kasse ein finanzieller Super-Gau ist“, sagt die Mama, die allerdings betont: „Wir haben uns diese Situation weder ausgesucht noch dazu beigetragen.“ Daher habe sie die Krankenkasse auch darauf hingewiesen, dass sie ihren Buben erst mit nach Hause nehmen werde, wenn er dort auch richtig betreut werden könne. „Für das Geld, das ein längerer Klinkaufenthalt kostet, könnte die Kasse mehrere Stühle kaufen.“

Mündliche Zusage nach „Einzelfallentscheidung“

Eine Argumentation, die bei der Kasse aber nicht gezogen hat. Dafür umso mehr das Video, mit dem sie sich bei Instagram Luft gemacht hatte. „Am nächsten Tag hat mich eine Mitarbeiterin angerufen und mir die mündliche Zusage für einen Therapiestuhl gegeben“ und sich auf eine „Einzelfallentscheidung“ berufen. Was Zettel aber keineswegs besänftigt, sondern eher noch wütender macht: „Wie viele Eltern in einer derartigen Situation gibt es, die einfach nicht mehr die Kraft und den Mut haben, gegen diese Ungerechtigkeiten vorzugehen?“, fragt die junge Frau, die auch und gerade für diese Eltern weiterhin bei Missständen den Finger in die Wunde legen will.

TK-Pressestelle verweist auf „Wahrung des Sozialgeheimnisses“

Und was sagt die Techniker Krankenkasse zu den Vorwürfen? Die lehnt zunächst eine Auskunft mit Hinweis auf die „persönlichen und sozialen Daten von Versicherten“, die „besonders schutzwürdig“ seien, ab, wie ein Sprecher gegenüber dem OVB mitteilt. Auch allgemeine Fragen, beispielsweise wie Anträge auf medizinische Hilfsmittel grundsätzlich geprüft würden und ob sich die Versicherung bei Härtefällen oder unklarer Sachlage selbst ein Bild machen würden, bleiben unbeantwortet. Stattdessen verweist die TK-Pressestelle erneut auf die „Wahrung des Sozialgeheimnisses“ sowie auf allgemeine Informationen, die online zu finden seien.

Auch nach Datenfreigabe keine konkreten Antworten auf die Fragen

Auch nach dem Einreichen einer Datenfreigabe, erteilt von Viktoria Zettel, bleiben konkrete Antworten der TK aus. Die Techniker Krankenkasse wisse „um die enorm hohen Belastungen“ der Familie und drücke „tiefstes Mitgefühl“ aus. Die Kasse will „deshalb unbürokratisch helfen, um im Rahmen der bestehenden gesetzlichen Vorgaben der Versorgung von Finn Zettel so schnell wie möglich sicherzustellen“, wie TK-Sprecher Stephan Mayer gegenüber dem OVB mitteilt. Die Mitarbeiter der Krankenkasse stünden „intensiv und konstruktiv im Austausch mit Frau Zettel, um Detailfragen und eventuelle Missverständnisse bei den einzelnen Hilfsmitteln für Finn direkt zu klären“.

Eine Bestätigung der Kasse gegenüber dem OVB für die Bewilligung des Therapiestuhls bleibt hingegen aus. Stattdessen kündigt Mayer an, der Feldkirchen-Westerhamer Familie „baldmöglichst“ die „entsprechenden schriftlichen Bescheide“ bezüglich der „Kostenübernahme der jeweiligen Hilfsmittel“ zukommen zu lassen. „Die Hilfsmittelversorgung ist ein sehr dynamischer Prozess, da bei einem siebenjährigen Buben, der sich im Wachstum befindet, die Versorgung regelmäßig angepasst werden muss“, schreibt Mayer. „Einen fixen Betrag für ein Hilfsmittel zu nennen, das ein Teil der umfangreichen, sich stets anpassenden Versorgung ist, würde deshalb die Realität nicht widerspiegeln.“

Großer Wunsch der ganzen Familie: Finni soll seinen achten Geburtstag daheim feiern

Doch trotz des Ärgers mit der Krankenkasse & Co. – es gibt auch Lichtblicke, die Familie Zettel immer wieder ein Lächeln ins Gesicht zaubern. So mache Finni zumindest „kleine Fortschritte“ und sei auf jeden Fall „deutlich wacher, als noch vor einigen Wochen“, sagt Viktoria Zettel. Was allerdings auch dazu führe, dass sie das Gefühl habe, dass ihr kleiner Bub „extrem frustriert sei, dass er immer noch im Krankenhaus ist“.

Was sich aber bald ändern könnte. Denn die Hoffnung ist groß, dass der kleine große Kämpfer noch vor Weihnachten aus dem Krankenhaus entlassen wird und dann daheim seinen Kampf zurück ins Leben fortsetzen kann. „Unser – und sicherlich auch Finnis – großer Wunsch ist, dass er seinen achten Geburtstag am 13. Dezember zu Hause feiern kann“, sagt Mama Viktoria. Was für Finni und seine Familie sicherlich das wertvollste Geschenk wäre. Viel wertvoller als jedes Luxus-Auto oder ein Familienurlaub in fernen Ländern.

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