Ein Bürgermeister spricht Klartext
„Wenn der Staubsauger von oben kommt“: So werden Gemeinden wie Aschau im Chiemgau geschröpft
Die Kommunen drehen gerade wieder jeden Cent um, damit sie ihre Haushalte rund bekommen. Doch wie sollen sie es schaffen? Denn wenn der „Staubsauger von oben“ da war, bleibt meist nicht genug übrig. Simon Frank, Bürgermeister von Aschau im Chiemgau, spricht nun Klartext.
Aschau im Chiemgau – Den Politikern in Berlin müssen die Ohren geklungen haben, als Bürgermeister Simon Frank zwei Tage nach der Bundestagswahl in der Bürgerversammlung der Gemeinde Aschau im Chiemgau zur Politikschelte ausholte. „Die Auswirkungen der großen Politik sind in unserer Gemeinde täglich spürbar“, betonte er. „Uns werden immer mehr verpflichtende Leistungen übertragen, die nicht gegenfinanziert sind. Etwa 25 Prozent der Ausgaben der Gemeinden werden vom Bund verursacht, aber nur zu etwa 14 Prozent vom Bund übernommen.“
Wer anschafft, bezahlt schon lange nicht mehr
Normalerweise heißt es: „Wer anschafft, der zahlt“. Diese Floskel macht einfach klar, worum es beim „Konnexitätsprinzip“ geht. Dieser staatsrechtliche Grundsatz regelt, dass Aufgaben- und Finanzverantwortung zusammengehören. Und das heißt, dass die Instanz, die ein Gesetz beschließt, auch für dessen Finanzierung zuständig ist.
In der Praxis funktioniert das schon lange nicht mehr. Dafür reicht ein beispielhafter Blick auf die Kinderbetreuung: Seit 2013 haben Kinder ab dem ersten Lebensjahr nach Paragraph 24 des Sozialgesetzbuches VIII – also einem Bundesgesetz – einen Rechtsanspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in der Kindertagespflege. Der Bund schafft an, die Gemeinden zahlen.
Denn für die rechtzeitige Bereitstellung und den Betrieb von Plätzen in Kindertageseinrichtungen sind die Kommunen zuständig. Das wiederum regelt das Bayerisches Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz (BayKiBiG): „Die Kommunen tragen die Planungs- und davon abgeleitet auch die Finanzierungsverantwortung für die erforderlichen Betreuungsangebote.“ In der Praxis bedeutet das: Die Gemeinden stellen Bedarfspläne auf, schaffen entsprechende Kita-Plätze und finanzieren die Kinderbetreuung auch erst einmal vor: In Aschau mit 1,5 Millionen Euro pro Jahr.
Wenn Einnahmen die Kosten nicht decken, zahlt die Gemeinde
Etwa 1,3 Millionen Euro nimmt die Gemeinde wieder ein – unter anderem über Elternbeiträge, eine „kind- und nutzungszeitbezogene staatliche Personalkostenförderung“ oder die Förderung des Ausbaus von U3-Plätzen. Die Einnahmen decken die Kosten aber nicht. Die Defizite, die in den vier Aschauer Kindereinrichtungen auflaufen, lagen im vergangenen Jahr bei 225.000 Euro. Finanziert werden sie aus dem Gemeindehaushalt.
Nach einer Fachkräfte-Initiative und einem Kita-Aktionstag hat die Gemeinde Aschau ihre Kita-Personalkrise der vergangenen Jahre überwunden. „Wir sind jetzt sehr gut aufgestellt“, ist der Bürgermeister dankbar. In den Kitas Spatzennest, St. Marien, St. Michael und im Kinderhort Villa Kunterbunt können derzeit 171 Kinder betreut werden. Trotzdem bleibt die Kinderbetreuung ein Dauerbrenner-Thema. Vor allem, weil landauf, landab Fachkräfte fehlen. Aschau hat dafür pragmatische Lösungen gefunden: Damit der katholische Landkindergarten in Sachrang überleben kann, hilft die Gemeinde schon seit Wochen an drei Vormittagen mit einem Erzieher aus.
Neuer Rechtsanspruch verursacht neue Kosten
Mit dem Schuljahr 2026/27 tritt auf Beschluss des Bundestages der nächste Rechtsanspruch in Kraft: der auf Ganztagsbetreuung. Er beginnt mit den Kindern der ersten Klassen ab 2026/27 und setzt sich dann über vier Jahre fort, sodass ab 2030 jedes Grundschulkind einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung hat. „Mit Hort und Mittagsbetreuung können wir den Rechtsanspruch aktuell bereits erfüllen – wir sind hier Gott sei Dank bereits seit Jahren sehr gut aufgestellt“, erklärt Frank. Im Hort gibt es 53 Plätze, in der „Mitti“ werden 28 Kinder betreut. Fürs erste Jahr mit zwei Grundschulklassen wäre Aschau also rein rechnerisch gut gewappnet.
Machbarkeitsstudie ermittelt Bedarf und Kosten
Doch was, wenn ab 2030 die Familien aller 150 Grundschüler eine Betreuung wünschen? „Eine Machbarkeitsstudie für die Ganztagsbetreuung mit Planungs- und Finanzkonzept wird derzeit erarbeitet“, informiert Frank. Auch die zahlt natürlich die Gemeinde. In den nächsten Monaten werden die Ergebnisse erwartet. Dann wird klar sein, wie viele Millionen die Gemeinde investieren muss, ob es Fördermittel für Umbauten oder Sanierungen gibt und wie hoch der Elternbeitrag für die Ganztagsbetreuung sein wird.
„Darüber hinaus fehlt uns auch ein Raum für mindestens eine gemischte Kita-Gruppe für große Krippenkinder und kleine Kindergartenkinder“, erklärt Simon Frank. „Da reden wir dann von einer Übergangslösung, von Grunderwerb, von einem Erweiterungsbau und sind wir dann definitiv im Millionenbereich.“
Gemeindetag fordert mehr Geld vom Staat
Der bayerische Gemeindetag fordert, dass „Personaleinsatz und Kosten“ für die Ganztagsbetreuung „hälftig zwischen Staat und kommunalen Schulträgern aufgeteilt werden“ müssen. Doch auf diese Forderung gibt es bislang keine Reaktion. Vermutlich werden also auch diese Kosten wieder den Gemeinden auf die Füße fallen. „Nach dem Konnexitätsprinzip muss aber derjenige, der einen Rechtsanspruch begründet, auch umfänglich für die dadurch entstehenden Bau- und Betriebskosten aufkommen“, macht Bürgermeister Simon Frank klar.
Gemeinden stehen am Ende der „Nahrungskette“
Aus welchen Mitteln die Gemeinde Aschau den Aufbau einer Ganztagsbetreuung selbst finanzieren könnte, zeigt ein Blick auf den Haushalt. Die meisten Steuereinnahmen der Gemeinde kommen aus der anteiligen Einkommens- und Umsatzsteuer ihrer Bürger: Das waren 2024 etwa 4,6 Millionen Euro. Nach dem Gemeindefinanzreformgesetz stehen der Gemeinde nur 15 Prozent des Aufkommens an Lohnsteuer und veranlagter Einkommensteuer zu. Vorher bedienen sich Bund und Land daran mit jeweils 42,5 Prozent.
Trotzdem werden noch zusätzlich viele Kosten – wie beispielsweise die Sozialausgaben der Landkreise – auf die Gemeinden umgelegt. „Alle Ebenen – Bund, Länder, Bezirke und Landkreise – versuchen, ihre Haushalte auszugleichen. Und so kommt der Staubsauger von oben und bei den Gemeinden schlägt er dann zu“, kritisierte Simon Frank die Haushaltspolitik. Das heißt in Aschau konkret: Einnahmen aus Steuern, Gebühren und Schlüsselzuweisungen in Höhe von 12,3 Millionen Euro stand im Jahr 2024 eine Kreisumlage von vier Millionen Euro gegenüber. Trotz der „kommunalen Selbstverwaltung“ konnte die Gemeinde also nur über zwei Drittel ihrer Einnahmen selbstbestimmt verfügen.
Freiwillige Leistungen bleiben auf der Strecke
„Im Ergebnis bleiben die freiwilligen Leistungen auf der Strecke“, macht Simon Frank klar. Doch auch viele Pflichtaufgaben stellen für die Gemeinde Aschau inzwischen eine immer größere Herausforderung dar: beispielsweise die Sanierung von Trinkwasserversorgung und Kanälen, der Unterhalt der Straßen und Brücken, der Hochwasserschutz oder der Kauf von Fahrzeugen für Feuerwehren und Bauhof.
Aschau hat aktuell über zehn Millionen Euro Schulden. Auf die 5802 Einwohner mit Hauptwohnsitz in Aschau umgerechnet entsprach das 2024 einer Pro-Kopf-Verschuldung von 1446 Euro. „Respekt, dass sie bereit sind, Schulden für die Entwicklung unseres Ortes zu machen, und dass Sie trotz der Schulden optimistisch in die Zukunft schauen“, dankte ein Aschauer in der Bürgerversammlung dem Bürgermeister und Gemeinderat für deren Mut, denn: „So spüren der Ort und die Menschen, dass etwas gemacht wird.“
Druck auf die Gemeinden und Bürokratie steigen weiter
Doch der Druck von oben wächst. Die Gemeinden ertrinken in neuen Aufgaben und novellierten Gesetzen, die sie vor Ort umsetzen müssen. Seien es das Modernisierungsgesetz im Bau, die neue Grundsteuer oder die kommunale Wärmeplanung. Sei es die geforderte „Sprachstandserhebung“ in den Kitas oder die Ausstattung der Schulen mit Fahrrädern oder Digital-Sätzen. „Hinzu kommt, dass es motivierten Anpackern oft schwer gemacht wird – durch Kontroll- und Dokumentations-Wut des Gesetzgebers“, kritisiert Bürgermeister Simon Frank.
Er hofft, dass die überbordende Bürokratie endlich abgebaut wird. „Man darf uns vor Ort mehr zutrauen – es muss nicht alles überreglementiert werden“, sagt er und ist überzeugt davon, dass es mit „mehr Eigenverantwortung bergauf gehen würde“. Mit Blick nach Berlin hofft er, dass auch die große Politik „das Dasein für die Allgemeinheit neu entdeckt, dass es nicht um Macht und Posten, sondern um den Dienst für uns Bürger geht, denn so könnte es auch wieder einen Vertrauensgewinn für die Politik geben und ein besseres Miteinander entstehen, mit dem wir letztlich entspannter in die Zukunft gehen könnten.“
