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Exklusiv-Interview mit Strafverteidiger Peter Dürr

Pause im Hanna-Prozess: Was das für die U-Haft des Angeklagten Sebastian T. bedeuten könnte

„Ein besonderer Prozess“: Rechtsanwalt Peter Dürr über den Aschauer Mordprozess am Landgericht Traunstein.
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„Ein besonderer Prozess“: Rechtsanwalt Peter Dürr über den Aschauer Mordprozess am Landgericht Traunstein.

Nur ein Manöver oder doch eine Gefahr für den Fortgang des Aschauer Mordprozesses? Mit ihrem Befangenheitsantrag bremst die Verteidigung von Sebastian T. das Landgericht Traunstein aus. Wir sprachen mit Anwalt Peter Dürr über Aussichten des Antrags, Terminprobleme und die Zukunft des Angeklagten.

Rosenheim/Traunstein – Nach 31 Verhandlungstagen legt der Mordprozess um den gewaltsamen Tod von Hanna W. am Landgericht Traunstein eine Zwangspause ein: Die Verteidigung hat die Verhandlung mit einem Befangenheitsantrag gegen die drei Richter der Zweiten Jugendkammer ausgebremst. Was heißt das für den Prozess? Das OVB sprach mit Peter Dürr, Vorsitzender des Rosenheimer Rechtsanwaltsvereins und Vorstandsmitglied der Münchner Rechtsanwaltskammer. Dürr, Fachanwalt für Strafrecht, erklärt, warum der Antrag Aussichten hat und ob der Prozess platzen kann. Und was das Ganze für den Angeklagten Sebastian T. bedeuten könnte.

Herr Dürr, wie beurteilen Sie den Befangenheitsantrag im Aschauer Mordprozess, der für so viel Aufsehen gesorgt hat?

Peter Dürr: Zunächst sollten wir den Begriff klären. Es heißt eigentlich Ablehnungsgesuch, manche sagen Befangenheitsantrag dazu. Wie man auch dazu sagt: Es wird oft falsch verstanden. Es kommt nicht darauf an, ob ein Richter wirklich befangen ist oder nicht. Abgelehnt werden kann er schon wegen der Besorgnis der Befangenheit, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Der Richter kann zwar behaupten: „Ich halte mich nicht für befangen“. Das ist jedoch nicht entscheidend. Der Ablehnungsgrund ist grundsätzlich vom Standpunkt eines vernünftigen, beziehungsweise verständigen Ablehnenden zu beurteilen.

Ist das Duzen in der besagten E-Mail-Korrespondenz zwischen Richterin und Staatsanwalt so ein Grund?

Dürr: Also, in Justizkreisen kennen sich die Menschen, da duzen sich viele. Das wird nicht für den Befangenheitsantrag reichen. Gerade in Bayern gibt es einen starken Austausch unter Richtern und Staatsanwälten. Die müssen permanent wechseln. In andern Bundesländern ist das anders, da gibt es verhältnismäßig starre Schienen. In Bayern ist aber Durchlässigkeit erwünscht. Staatsanwalt Wolfgang Fiedler war ja bis vor einigen Jahren selbst Richter in Rosenheim, man kennt sich also. Das Kuriose ist vielmehr, dass derlei Korrespondenz in die Akte wandert.

War das ein Versehen?

Dürr: Irgendjemand muss aufs Knöpfchen gedrückt haben. Überraschend ist dieser E-Mail-Austausch allemal. Jedenfalls: Duzen, einander kennen, ja, das ist an der Tagesordnung. Den Verfahrensstand erörtern, rechtlich würdigen, ja, auch das. Aber dann macht man das mit allen Prozessbeteiligten, im Rechtsgespräch oder während der Verhandlung. Die Abstimmung nur unter Staatsanwaltschaft und Gericht hat ein Geschmäckle.

Wie sind die Aussichten für den Antrag?

Dürr: Mir fehlt derzeit die Phantasie, mir vorzustellen, wie man diesem Gesuch nicht stattgeben könnte. Es hat hohe Aussichten.

Und zwar weil ...

Dürr: ... weil hier an der Verteidigung vorbei Gespräche über den zugrunde zu legenden Sachverhalt stattfinden, in einem frühen Stadium, vor Ende der Beweisaufnahme. Das verursacht schon Bauchschmerzen. Zumal in einem so presseträchtigen Prozess, in einem Indizienprozess, in dem der Angeklagte schweigt. Die Beweisaufnahme ist noch nicht abgeschlossen, und dann tausche ich mich aus, darüber, wie ich dies und jenes werte. Wenn man das macht, dann macht man das mit allen Beteiligten. Elektronische Kommunikation – damit sind auch viele Angeklagte schon auf die Nase gefallen.

Jedes Schrifterl ist ein Gifterl, heißt es in Österreich.

Dürr: Ja, genau. Und kurioserweise wurde das dann auch noch aktenkundig. Die Verteidigung muss ja die Rechte ihres Mandanten wahren. Das Ablehnungsgesuch bei dieser Sachlage nicht unverzüglich anzubringen, entspräche nicht anwaltlicher Kunst.

Unverzüglich ist es das Gesuch kaum, so viele Wochen nach der Korrespondenz.

Dürr: Es gibt keine starre Frist. Ein solches Gesuch ist ohne schuldhaftes Zögern einzureichen, so ist das definiert. Ich darf es also nicht unnötig liegen lassen. Zudem kommt es nicht auf den Zeitpunkt der E-Mail, sondern den Zeitpunkt der Kenntnis von diesem E-Mail-Verkehr an. Selbst wenn dem Antrag nicht stattgegeben wird: Man kann davon ausgehen, dass, wenn es zu Verurteilung kommt, der Bundesgerichtshof das Urteil und das Verfahren überprüft. Das ist auch eine Gefahr. Da hat sich ein großes Einfallstor für eine Revision aufgetan.

Wie läuft das Verfahren nun ab?

Dürr: Es gibt zunächst eine dienstliche Stellungnahme seitens der abgelehnten Richter. Die wird der Verteidigung übersandt, um ihr Gelegenheit zu einer Replik zu geben. Dann wird sich die Erste Jugendkammer unter Vorsitz von Frau Will hinsetzen und sachgerecht entscheiden. Da wird sich das Gericht viel Mühe geben. Möglicherweise wird sich, wenn dem Gesuch stattgegeben wird, auch die Staatsanwaltschaft überlegen, bei dieser Vorgeschichte einen anderen Sitzungsvertreter zu schicken. Zudem könnte die Verteidigung auch hier noch einen sogenannten Ersetzungsantrag stellen.

Es könnte sein, dass der Prozess wirklich neu beginnen muss?

Dürr: Wenn das Gesuch Erfolg hat, dann sind alle 31 Tage bisher weg. Ganz klar. Dann sind wir durch. Auf null resettet. Und das Verfahren wird unter einer neuen Gerichtsbesetzung und erneuten Beweisaufnahme durchgeführt.

Wie geht es in diesem Fall für den Angeklagten weiter?

Dürr: Der Angeklagte sitzt bekanntlich schon seit einem längeren Zeitraum in Untersuchungshaft. Die Frage der Haftfortdauer muss man sich stellen. Wir haben einen sehr jungen Angeklagten. Eine unsichere Beweislage. Die Verzögerung, die nun eintreten könnte, ist nicht dem Angeklagten anzulasten. Kann man den noch in U-Haft lassen? Damit wird man sich möglicherweise auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten befassen müssen.

Das dürfte dauern.

Dürr: Nun, je nach Umfang des Erfolges des Ablehnungsgesuches muss sich das neue Gericht erstmal reinarbeiten in den Fall. Die Kammer, die dann zuständig ist, die haben auch Vorlaufzeiten und müssen erstmal Termine finden. Übrigens für alle Beteiligten, auch Anwälte und Gutachter. Ja, das kann dauern, bis der Prozess neu startet. Übrigens gibt es, was Befangenheitsanträge angeht, ein Nord-Süd-Gefälle. Im Norden sind diese häufiger anzutreffen. Manche sagen, ein richtiges Schwurgerichtsverfahren ohne Befangenheitsantrag, das gibt's da quasi nicht. In Bayern sind derartige Anträge im gerichtlichen Alltag nicht so sehr an der Tagesordnung. Auch in dieser Hinsicht ist der Prozess – letztendlich aber aufgrund der nunmehr bekanntgewordenen E-Mail – etwas Besonderes.

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