Ausnahmezustand in der Region
Daumen hoch trotz Verkehrschaos: Warum sich der Bauern-Protest mit 4000 Traktoren ausweiten könnte
„Genug ist genug“, „Volksverräter“, „ohne Bauern keine Zukunft“ – 1500 derart beschilderte Traktoren und Lkws sorgten ab dem frühen Montag in der Region für Staus. Verärgerte Autofahrer? Gab es. Häufiger aber „Daumen hoch“. Die Solidarität – zumindest die Geduld – mit den protestierenden Landwirten ist groß.
Landkreis Rosenheim – Bei klirrender Kälte und im Stockdunkeln trafen sie sich. In Eggstätt, in Bruckmühl, in Kirchdorf. Traktoren in allen Größenordnungen, dazwischen immer wieder Lkws. Die meisten der Fahrzeuge im Bereich des Polizeipräsidiums Oberbayern wollten nach München, zur zentralen Kundgebung am Odeonsplatz. Nicht alle kamen dort an.
Sie haben die Nase gestrichen voll, die Landwirte. Erste Ställe für viel Geld aufrüsten, um den Tierwohlrichtlinien zu entsprechen, nun die Streichung der Agrardieselsubvention und der Kfz-Steuerbefreiung. Es waren auffallend viele jungen Frauen und Männer, die auf den Traktoren saßen. Aber auch Opa und Enkel. „Zu viel ist zu viel“, so werde die Zukunft der Landwirtschaft gefährdet.
Die Bauern blieben mit ihrem Protest nicht allein. Im Gemeindebereich Siegsdorf, so berichtet die Ortsbäuerin Katja Kittl, sind auch mittelständische Betriebe, Stromlieferanten und Gastronomen an Bord. „Wir blockieren nicht die Straßen und sind auch zu Fuß in Siegsdorf unterwegs, um Verbrauchergespräche zu führen“, sagt Katja Kittl. Denn: „Es geht uns alle an“. Von „jeglichem Missbrauch unseres Protestes, ob durch Linke oder Rechte, nehmen wir großen Abstand“, macht die Ortsbäuerin klar. „Wir möchten mit dem Bürger, mit allen zusammen etwas verändern.“
Daniela Ludwig hat vollstes Verständnis für die Protestaktionen
Zu den Protesten der Landwirte schickte die hiesige Bundestagsabgeordnete Daniela Ludwig (CSU) eine Pressemitteilung. Sie habe vollstes Verständnis für die Protestaktionen, heißt es darin unter anderem. „Jeder einzelne von uns und die gesamte CSU im Bundestag hat sich mit voller Kraft hinter die Anliegen unserer Bäuerinnen und Bauern gestellt. ... Das machten wir aus voller Überzeugung. Die Landwirtschaft soll das totale Versagen der Ampel ausbaden – nicht mit uns!!!“ Bemerkenswert daran: Verschiedene Quellen berichten übereinstimmend, dass der Rechnungsprüfungsausschuss des Bundestages einstimmig – also mit den Stimmen der Unionsparteien und der AfD – die Streichung von Subventionen beschlossen habe. Eine Aussage, die Staatssekretär Michael Theurer (FDP) beim Dreikönigstreffen der Liberalen in Stuttgart gegenüber den Kollegen der Schwäbischen Zeitung bestätigte.
Das zu transportieren, scheint gelungen zu sein. Denn die Störungen im morgendlichen Berufsverkehr, die führten nicht zu massivem, laut geäußertem Unmut. Besonders heftig waren die Staus im Rosenheimer Stadtgebiet beziehungsweise unmittelbar daran angrenzend. Zum Beispiel ab dem Ortsschild Westerndorf-St.Peter. Da hatte alles, was aus dem Norden und dem Nordwesten des Landkreises nach Rosenheim hinein wollte, die Wahl zwischen Pest und Cholera, sprich: über Westerndorfer/Prinzregentenstraße oder Ebersberger Straße in die Rosenheimer Innenstadt. Verstopft waren beide Wege. Ein Traktor in Schrittgeschwindigkeit reichte, und via Ebersberger Straße wurden aus den üblichen maximal 10 Minuten knappe 50.
Wer aus Richtung Prutting/Bad Endorf in die Stadt wollte, stand in Kragling. Die Miesbacher Straße war von dort bis zur Panorama-Kreuzung mit der B15 dicht. Von der Panorama-Kreuzung in die Innenstadt ging es im Schritttempo, ebenso aus dem Aicherpark und aus Richtung Großkarolinenfeld. Positiv: Krankenwagen mit Blaulicht und Sirene kamen durch – und wenn es auf der Gegenfahrbahn war. Negativ: Es gibt unter den Autofahrern echte Rüpel. Ein solcher aus dem Landkreis Erding fuhr erst auf der Gegenfahrbahn an den Schrittgeschwindigkeit fahrenden Einpendlern vorbei und dann über eine rote Ampel. Die Fahrer links und rechts hatten aufgepasst, der Erdinger kam unfallfrei durch.
Geduld brauchten die Autofahrer am Montagmorgen auch in Bad Aibling und Kolbermoor. Der Pullacher Kreisel in Kolbermoor wurde ab 6.30 Uhr immer wieder von Traktoren blockiert. Die Landwirte drehten dort demonstrativ ihre Runden. Der Kreisel verbindet Kolbermoor, Bad Aibling, die Umgehung von Bad Aibling sowie die A8 miteinander.
Der Verkehr staute sich deswegen teilweise bis ins Stadtzentrum von Bad Aibling zurück. Auch aus und in Richtung Kolbermoor sowie entlang der Umgehungsstraße von Bad Aibling kam es zu starken Behinderungen. „Wir fahren so lange spazieren, bis auch die Regierung in Berlin begriffen hat, dass die Teller leer bleiben, wenn es keine Bauern mehr gibt“, betonte ein Landwirt.
WhatsApp-Nachricht verblüfft Firmeninhaber: „Unsere Fahrer sind nicht involviert“
Seit Donnerstag, 4. Januar, geisterte eine WhatsApp-Nachricht durch die Region, von einem Mitarbeiter der Spedition Eberl: Die Fahrer erklärten sich solidarisch, machten die Grenze bei Freilassing und notfalls auch bei Kiefersfelden zu. „Wir werden uns hüten“, sagt Volker Matthes, der Rosenheimer Niederlassungsleiter, dazu. Weder er noch Thomas Eberl, der Inhaber der Spedition, wüssten, wo diese Nachricht her käme. Die Nachricht sei ein „Fake“, schlicht falsch. Die Proteste der Landwirte seien völlig in Ordnung, so Matthes, aber ihre Fahrer seien nicht involviert.
Betroffen vom Verkehrschaos waren auch Schulkinder. Sie warteten am Morgen oft lange oder gar vergeblich auf den Schulbus. In der Wasserburger Burgau genau wie am Stephanskirchner Schloßberg oder in Staudach, Grassau und Übersee, wo die Kreisverkehre an der Staatsstraße von kreiselnden Traktoren lahmgelegt waren. Viele Familien entschlossen sich daraufhin, sich mit ihren privaten Elterntaxis in die Staus im Landkreis einzureihen.
Auch im Inntal waren viele Landwirte mit ihren Traktoren unterwegs. „Die Beteiligung ist hoch“, bestätigt Oberaudorfer Bürgermeister Dr. Matthias Bernhardt. Er hat „absolutes Verständnis“ für die Bauern, die im Inntal nicht nur die drohende Streichung der Subventionen, sondern auch den Verlust der Flächen durch den Brenner-Nordzulauf fürchten müssen. „Ich hoffe deshalb, dass es sich die Politik nicht zu leicht macht“, meint Bernhardt. Ein paar Subventionen beizubehalten, sei zu wenig. Vielmehr müsste man die grundlegende Problematik der Landwirte analysieren und die gesamte Preisgestaltung anpassen.
„Mehr Tierwohl bei immer billigeren Lebensmitteln funktioniert einfach nicht“
Dr. Georg Kasberger ist Chef des Amtes für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Rosenheim und sein ganzes Berufsleben lang mit diesem Wirtschaftszweig befasst. Protestaktionen habe es immer mal gegeben, „aber in diesem Ausmaß nicht.“ Auch wenn sein Amt mit den kritisierten Maßnahmen nichts befasst sei: Den Unmut der Landwirte könne er gut nachvollziehen. „Die Subvention von Agrardiesel ist ja keine Kleinigkeit, die da wegfallen soll, da muss vermutlich an anderer Stelle wieder nachgelegt werden.“ Eine Wettbewerbsverzerrung sei es zudem, denn Landwirte in anderen EU-Staaten seien davon nicht betroffen. Da die Bauern auch bei der CO2-Abgabe betroffen seien, sei das gleich ein doppelter Schlag.
Landwirte könnten von dem selbst erwirtschafteten Geld nicht leben, so Kasberger, sie seien auf Subventionen angewiesen. „Und da müssten wir uns alle an der Nase fassen. All diejenigen, die es könnten, müssten deutlich mehr im Hofladen einkaufen oder an anderen stellen, wo die Bauern entsprechende Preise bekommen. Mehr Tierwohl bei immer billigeren Lebensmitteln funktioniert einfach nicht.“ Den Landwirten, da ist Kasberger sicher, wäre es am liebsten, sie könnten von ihrer eigenen Arbeit leben.
Mehrere hundert Traktoren, Schlepper und Lkws sind heute Morgen um 6 Uhr in Kirchdorf, Altlandkreis Wasserburg, nach München gestartet. Unterstützung gab es von Lkw-Fahrern und Handwerkern. Und von einem Staatsminister a.D.: Dr. Marcel Huber, im Zivilberuf Tierarzt, mischte sich unter die Teilnehmer der Demo. Weil er findet, die jetzige Bundesregierung sei schlecht für den ländlichen Raum. Mindestens eine halbe Stunde dauerte es schließlich, bis alle Fahrzeuge unterwegs waren und selbst dann ging es wegen der hohen Teilnehmerzahl nur schleppend voran.
Die Spielregeln waren für alle Teilnehmer der Sternfahrt die gleichen: „Wir fahren im Konvoi, überholen nicht, beachten die Verkehrsregeln, halten die Rettungswege frei und es herrscht absolutes Alkoholverbot“, so hatte es Versammlungsleiter Max Schnitzenbaumer in Bruckmühl erklärt. Daran hielten sich auch die Landwirte, die sich im Eggstätter Gewerbegebiet Natzing zur Fahrt nach München versammelt hatten. Als sie sich auf den Weg machten, reichte der Rückstau dennoch bis hinein nach Bad Endorf. Nicht alle Traktoren kamen bis zum Odeonsplatz. Denn als sich dort gut 1000 landwirtschaftliche Fahrzeuge und etwa 10.000 Teilnehmer versammelt hatten, war kein Durchkommen mehr, leitete die Polizei die Traktoren um zur Theresienwiese.
Erste Bilanz der Polizei positiv: „Es blieb alles ruhig“
Es war, wie erwartet, viel los und im Berufsverkehr habe es auch etliche Staus gegeben, „aber es blieb alles ruhig“, heißt es aus der Pressestelle des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd. Über morgendliche Blockaden sei nichts bekannt. Abgesehen von dem angekündigten LKW-Korso auf der A8 von Siegsdorf nach Rosenheim und retour. Da fuhren die Lkws in Dreierreihen mit Schrittgeschwindigkeit. Der Rückstau betrug laut Polizeipräsidium zum Teil über 20 Kilometer.
Am Montagvormittag habe es einige kleinere spontane Versammlungen gegeben, „die haben wir betreut“, so der Sprecher des Präsidiums. Knapp 30 „Versammlungen“ beziehungsweise Treffen habe es im Zuständigkeitsbereich des Präsidiums gegeben, 7000 Teilnehmer und 4000 Fahrzeuge waren beteiligt.
Zufriedenes Fazit der Polizei: Ja, es war personalintensiv, aber mit den Teilnehmern an allen Veranstaltungen konnte man gut reden, sie waren alle kompromissbereit. Für den Nachmittag erwartete die Polizei keine größeren Behinderungen mehr. „Das wird wohl auch nicht schlimmer, als nach dem Ende eines ausverkauften Bayern-Heimspiels, wenn sich alle gleichzeitig an der Arena auf den Weg machen.“
Im Laufe des Montagvormittags tauchte plötzlich das Gerücht auf, die Schlachthöfe streikten mit, blieben die nächsten zwei Wochen geschlossen. Dazu Franz Eder, Vorsitzender und Geschäftsführer der „Regionalrind Traunstein-Miesbach GmbH: „Montag haben wir zu. Ab Dienstag machen wir auf, wenn Tiere kommen. Wenn keine kommen, machen wir wieder zu.“ In Waldkraiburg blieb Europas größter Rinderschlachthof am Montag ebenfalls geschlossen, laut Homepage ist aber ab Dienstag wieder geöffnet. 14 Tage Streik seien illusorisch, so Eder, „wir können doch die Landwirte, die Bedarf an Schlachtungen haben, nicht sitzen lassen.“


