Geschäft stand vor der Schließung
„Kein Marketing-Gag“: Was der Aiblinger „Bücher Johann“ nach dramatischem Hilferuf erlebte
Es war ein Akt der Verzweiflung: Nur noch wenige Tage – und er hätte seine Mitarbeiter kündigen und den Laden „Bücher Johann“ in Bad Aibling schließen müssen. Dann setzte Johann Struck über Tiktok einen Hilferuf ab – und ist von dem Ergebnis immer noch geflasht. Wie er die dramatischen Tage erlebt hat.
Bad Aibling – Das Video zeigt einen müde aussehenden jungen Mann, der auf die große Standuhr hinter sich deutet: „Die Uhr tickt, die Zeit läuft... ab“. Ungeschönt spricht Johann Struck Mitte April vor der Kamera davon, dass sein Geschäft „Bücher Johann“ vor der Schließung steht, wenn die Umsatzzahlen in den kommenden Tagen nicht massiv nach oben gehen. „Wenn ihr wollt, dass es den ,Bücher Johann‘ weiter in Bad Aibling gibt, kommt her, kauft Bücher oder bestellt sie im Online-Shop“.
Nein, das sei kein Marketing-Gag gewesen. „Wenn, dann wäre es vielleicht ein guter gewesen. Aber ich hätte es wirklich gemacht. Ich hätte meine Mitarbeiterinnen kündigen und zusperren müssen“, so der Buchhändler, der schon in den Monaten zuvor mit der Kaufzurückhaltung der Kunden gekämpft hatte. Schon vor Weihnachten sei das zu spüren gewesen, einer Zeit, „in der die Leute normalerweise stapelweise Bücher kaufen“. „Das war sicher schon ein kleines Zeichen. Ein großer Auftrag hat uns da über die ersten beiden Wochen geholfen, und die zwei Wochen vor Weihnachten lief das Geschäft dann wieder sehr gut.“
Doch dann sei es immer enger geworden. Im Februar habe er – „was ein Unternehmer nicht tun sollte“ – privates Geld nachgeschoben. „Es war so kurz vor knapp, aber ich sah Ostern vor der Tür.“ Doch auch hier sei das Geschäft nicht so gelaufen wie erwartet. Es kam das Monatsende, es kam eine größere Rückbuchung eines Lieferanten, Miete, Strom, Heizung, Löhne waren zu zahlen. 25.000 Euro Mindestumsatz bis Ende April mussten erreicht werden. Eine Zahl, mit der Johann Struck schließlich in die Öffentlichkeit ging. Die er als Marke auf ein Barometer schrieb, auf dem die Kunden im Schaufenster verfolgen konnten, wie viele Bücher noch zum Ziel fehlten.
Zugleich startete er seinen Hilferuf in den sozialen Medien, verschickte die Nachricht „Wir schließen (fast)“ mit seinem Newsletter. Und plötzlich „ging es ab wie die Feuerwehr“. Allein zwischen Samstag und Montag habe man mehr Umsatz gemacht als die ganze Woche davor: „Die Unterstützungswelle war unvorstellbar. Die Beiträge wurden geteilt, Screenshots verschickt, weitererzählt.“
@bcherjohann Rettet www.buecherjohann.de meinen schönen kleinen Buchladen! Danke @pagesofchrissi ✨🧚🏼♀️ für den Support❤️!#lokalebuchhandlung #buecherjohann #booktokdeutschland #badaibling ♬ Originalton - BücherJohann
„Online-Shop ist förmlich explodiert“
Dann bot ihm eine junge Kundin an, ein Video zu drehen und über ihren Account bei der Internetplattform TikTok zu posten. „Und auf den Hinweis der Bestellmöglichkeit ist dann unser Online-Shop explodiert! 376.000 Menschen haben das Video gesehen, über 42.000 haben es geliket, 3000 gespeichert, über 2000 kommentiert“, ist Struck, der vorher mit TikTok noch nie in Berührung war, immer noch überwältigt.
„Ich hab mich nackig gemacht“, sagt Struck, der um die Bedeutung des „Storytellings“ für Unternehmen weiß. Ein Thema, mit dem er sich viel beschäftigt und dessen Wirkprinzip er nun am eigenen Leib erfuhr. Dabei werden Informationen durch Geschichten in einen logischen Zusammenhang eingebettet, auf emotionale, amüsante oder spannende Art und Weise erzählt. Auch wenn es nicht einfach gewesen sein, sich hinzustellen und einzugestehen: „Mir geht es schlecht.“ So fertig, wie er in seinem ersten Video ausgesehen habe, sei er tatsächlich gewesen. Die tickende, ablaufende Uhr im Video habe ein Bild im Kopf erzeugt.
Dennoch, als er die Zahl 25.000 Euro auf das Barometer geschrieben habe, habe er gedacht: „Nie im Leben schaffen wir das.“ Doch manchmal geschähen eben Dinge, die man sich nicht vorstellen kann. Wenn man sich öffne, einen Weg suche. Am 25. April ging Struck mit seinem Video „Geschafft!!!“ online. Geschafft schaut er aus, aber überglücklich bedankt er sich bei allen Unterstützern.
Plötzlich befindet er sich in einer „schönen neuen Welt.“ Die Frage ist nur, wie lang? Wie nachhaltig kann solch eine Aktion sein. Rechnungen und Löhne müssen jeden Monat bezahlt werden. „Der wirklich krasse Ansturm ist vorbei, aber wir sind jetzt auf einem Niveau, wo wir sagen, super, bitte weiter so. Es hat sich gezeigt, dass es Leute gibt, die den ,Bücher Johann‘ lieben, genau wie ich. Und ich bin guter Dinge, weil ich glaube, dass ich die Leute aufgeweckt habe.“
Vielen sei gar nicht bewusst, „dass jeder einzelne Buchkauf den Unterschied macht, weil er ein signifikanter Teil des tagesumsatzes ist“. Oder dass Bücher überall das Gleiche kosten und auch im lokalen Handel online bestellt und meist sogar gleich am nächsten Tag abgeholt werden kann oder genauso schnell geliefert wird wie vom großen Konzern-Konkurrenten. Und am Ende des Tages bleibe vieles von dem Geld in der Stadt und in der Region: Miete, Stromkosten, Löhne. „Wenn dieser Kreislauf unterbrochen wird, dann wird es hier abends dunkel.“
Die aktuell ist dies in dem kleinen Laden, den Struck im Februar 2021 übernommen und umgestaltet hat, nicht der Fall. Am 16. Mai kommt die Autorin Christiane Neudecker zu einer Benefizlesung aus ihrem Buch „Der Gott der Stadt“ in den Laden und Johann Struck macht sich daran, das Geschäft weiterzuentwickeln, hängt doch sein Herzblut daran. Wie zuvor auch an den „Bücher Johann“-Läden in Neubeuern und Rosenheim, die er aufgrund der wirtschaftlichen Lage jedoch im Mai 2022 beziehungsweise Mai 2023 schließen musste. Umso mehr hofft er, am Standort Bad Aibling dauerhaft ansässig bleiben zu können. Mit seinem Kampf für die Attraktivität dieses Standortes ist er bei Weitem nicht allein. Der Einzelhandel in Bad Aibling bemüht sich auf vielen Wegen mit einer Menge Kreativität und Engagement um seine Kunden. Jeden Tag, das ganze Jahr.