Blick durchs Schlüsselloch verrät
Frischer Wind weht durch die alten Mauern: Das passiert gerade im alten Aiblinger Bahnhof
Äußerlich steht der über 165 Jahre alte Aiblinger Bahnhof da wie immer. Doch innen weht nach der 2023 bereits im Obergeschoss erfolgten Frischzellenkur jetzt auch im Erdgeschoss ein völlig neuer Wind. Ein Blick durchs Schlüsselloch in die ehemalige Wartehalle, Restauration und Kiosk.
Bad Aibling – Nein, Tickets gibt es hier nicht. Und auch keinen Kaffee oder die Möglichkeit, sich die Zeit bis zur Abfahrt des nächsten Zuges einfach zu vertreiben. Das mussten Johannes Stacheder und Cosima Konhäuser in den vergangenen Wochen des Öfteren Zugfahrern oder Passanten erklären, die immer wieder mal unvermittelt in das alte Bahnhofsgebäude von Bad Aibling hereinplatzen. Denn der frühere Wartesaal und die Gaststätte haben nun eine ganz andere Bestimmung gefunden. Für den ehemaligen Kiosk plant ein weiteres Team eine neues Konzept.
Stacheder und Konhäuser betreiben im alten Bahnhof das Atelier Stacheder (vormals an der Ghersburgstraße). In der „Raumstation“, dem Treffpunkt des Vereins „Raum & Zeit“ ein Stockwerk höher, hatte Stacheder durch Zufall im vergangenen Jahr erfahren, dass die Stadt das Erdgeschoss nach Schließung der Gaststätte Ende des Jahres 2023 vermieten würde.
Für Stacheder, der studien- und danach berufsbedingt lange Zeit in Würzburg und später in Leipzig lebte, war „Raum & Zeit“, wie er sagt, vor einigen Jahren genau das Richtige, um mit seiner Familie auch im privaten Bereich wieder in Bad Aibling anzudocken. Mit dem Mietvertrag für das Erdgeschoss ergibt sich für den 40-Jährigen und seine 31-jährige Geschäftspartnerin Cosima Konhäuser nun beruflich der perfekte Bogen. Es hatte zunächst mehrere Bewerber für die Räumlichkeiten gegeben, aber mit dem Zuschlag durch den Aiblinger Stadtrat und dem Auszug der Vormieter konnte das junge Team Anfang des Jahres loslegen.
Mittlerweile arbeiten die beiden bereits innerhalb der historischen Mauern, „auch wenn wir noch nicht so weit sind, wie wir gerne wären“, sagt Cosima Konhäuser. „Es ist eine anstrengende Zeit“, sagt auch Johannes Stacheder. „Aber die alten Räume neu in Szene zu setzen ist ja genau unser Ding als Kreativbüro.“ Dass es dabei auch viel um Handgemachtes geht, kommt den beiden Machern gerade recht. Die Bodenfliesen haben sie zum Teil in knalligem Blau gestrichen, ebenso eine der drei Zugangstüren. Die Tür zum Besprechungsraum ist mit einem großen Bullauge versehen und gibt zugleich einen Blick auf den Bahnsteig frei; die ehemals vom Zigarettenrauch und dicker Luft vollkommen vergilbten Wände und die runden Abdeckungen der Lüftungsanlage sind in frischem Weiß gestrichen.
So verändert sich der alte Aiblinger Bahnhofskiosk




Ein knallpinker Flamingo aus einer Werbekampagne für eine heimische Brauerei zieht im Besprechungsraum den ersten Blick auf sich. Der zweite fällt auf ein nostalgisches weiß-blaues Kaffeeservice. „Das ist von meiner Oma“, sagt Stacheder. Von der Großmutter seiner Frau aus Oschatz stammen die beiden Sessel, die noch im Eingangsbereich auf ihren richtigen Einsatzort warten:„Die haben ihre Großeltern zur Hochzeit bekommen. Als meine Frau und ich geheiratet haben, saßen wir auf diesen Sesseln.“ Vieles hier hat seine eigene Geschichte. Auch die viel genutzte Werkbank aus Stacheders Zeiten des Kommunikationsdesign-Studiums, die alte Garderobe der Bahnhofswirtschaft und sogar noch die Ticketschalter-Verglasung mit den ovalen „Durchsprechern“. Dahinter verbirgt sich aktuell das Lager der DLRG Bad Aibling, doch wird sie sich optisch wie so einiges anderes auch noch gestalterisch integrieren lassen, sind sich Stacheder und Konhäuser sicher.
„Making of“: Aus dem alten Aiblinger Bahnhof wird ein Kreativbüro




Die frühere Wartehalle nutzt das Team jetzt als Studio für seine Foto- und Videoarbeiten. Neben Stativen, Scheinwerfern und Requisiten, die die kreativen Köpfe auch selbst entwerfen, designen und „basteln“, stapeln sich hier im Moment noch Kisten mit Werkzeug, Farbkübel und Malerequipment. Bis zum 25. April soll alles fertig sein – da wird offiziell die Eröffnung gefeiert. Dann soll auch die Außenkommunikation an die Reihe kommen, denn: „Das Studio soll auch ein Ort des Austausches und der Begegnung werden“, wünschen sich Stacheder und Konhäuser, die vor Ort unter anderem Unternehmertreffen planen und Kreativworkshops mit ihren Kunden veranstalten. Beispielsweise auch in der eigenen Siebdruckwerkstatt, die sie in der ehemaligen Küche der Bahnhofswirtschaft einrichten wollen.
Auch die Fassade soll ein neues Gesicht bekommen
Das Bahnhofsgebäude soll auch von außen attraktiver werden. Wie Teresa Jancso vom Stadtmarketing betont, wird die Stadt als Eigentümerin und Vermieterin die Akteure hierbei finanziell unterstützen. Gespräche über die Gestaltung seien bereits im Gange. Federführend hierbei sind die beiden Mieter, der Verein „Raum & Zeit“ und das Atelier Stacheder. „Das ist eine ideale Kombination, dass sich hier die kreativen Köpfe zusammentun. Ich bin mir sicher, dass das ein sehr schönes und stimmiges Ergebnis werden wird“, so Jancso.
Kennengelernt haben sich beiden gebürtigen Aiblinger erst im vergangenen Jahr – „über unsere Kinder im Kinderhaus Camino“. Nach wenigen Gesprächen über ihre Arbeit haben der Kommunikationsdesigner und die marketingerfahrene Masterandin der Wirtschaftswissenschaften beschlossen, beruflich miteinander neue Wege zu gehen. „Marketing trifft Kunst“ lautet ihre Philosophie, mit der sie für und mit ihren Kunden Projekte entwickeln – von Plakaten und Flyern über Setdesigns und Messestände bis hin zu Videoclips, Kampagnen und Marketingstrategien. „Dabei steht immer die künstlerische Komponente im Vordergrund“, ist beiden wichtig. Wobei sie betonen: „Wir sind ein Kreativbüro. Das bedeutet aber nicht, dass unsere Projekte immer ,knallig, bunt und Punkrock‘ sein müssen, sondern wir schaffen auch den Spagat zu ,minimalistisch, edel und prägnant‘. Manchmal ist es nur ein kleines, überraschendes Detail, das den Unterschied macht und unsere Arbeit von anderen abhebt.“
Für alle, die den alten Bahnhofs-Kiosk vermissen, hat das Warten bald ein Ende. Auch in diesem Raum, der nicht zum Atelier Stacheder gehört, finden momentan kräftige Umbau- und Renovierungsarbeiten statt. Ein Snackbox-Team wird dort im April einen E-Kiosk eröffnen. Das Angebot im E-Kiosk reicht von Wasser, Softdrinks und Kaffee über Snacks und Sandwiches bis zu Süßigkeiten und Knabbereien.
Auch im Inneren wurde die Ausarbeitung mit Bezug auf die Geschichte der Stadt Bad Aibling und ihres Bahnhofs umgesetzt. Ein großes Wandbild zeigt etwa eine Dampflok auf der linken und die Kirchzeile auf der rechten Seite. Der E-Kiosk öffnet mit dem ersten Zug des Tages und schließt mit der Abfahrt des letzten Zuges.
Das „Snackbox-Team“ betreibt auch den Snackautomaten, der bereits vor dem Bahnhofsgebäude installiert ist und an dem sich die Kunden rund um die Uhr bedienen können.



