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Ansprechpartner für belastende Einsätze

Wenn Helfer Hilfe brauchen: Wie Polizist Bernd Heller aus Bad Aibling Kollegen zur Seite steht

Erster Polizeihauptkommissar Bernd Heller (61) ist nicht nur stellvertretender Dienststellenleiter der Polizeiinspektion Bad Aibling, sondern auch zertifizierter Peer.
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Erster Polizeihauptkommissar Bernd Heller (61) ist nicht nur stellvertretender Dienststellenleiter der Polizeiinspektion Bad Aibling, sondern auch zertifizierter „Peer“.

Sie helfen Menschen in Not und Gefahr – doch manchmal benötigen Polizisten nach belastenden Einsätzen auch selbst Hilfe. Wie diese Hilfe – durch sogenannte „Peers“ – aussieht, verrät Bernd Heller, Vize-Chef der Bad Aiblinger Polizei.

Bad Aibling – Bei schweren Verkehrsunfällen, Unglücksfällen mit vielen Toten wie beim Zugunglück von Bad Aibling oder bei Gewalttaten im häuslichen Bereich – die Polizei kommt zur Hilfe. Doch wer kommt den Einsatzkräften zur Hilfe, wenn belastende Einsätze wie Schatten auf deren Seelen liegen? Dann können sich die Beamten unter anderem an die sogenannten Peers wenden. Einer von ihnen ist Erster Polizeihauptkommissar Bernd Heller (61), stellvertretender Dienststellenleiter der Polizeiinspektion Bad Aibling. Was hinter dem Begriff „Peer“ steckt, wie er die Belastung seiner Kollegen bereits im Vorfeld minimieren will und welche Einsätze ihn noch heute verfolgen, darüber hat der 61-Jährige, im Interview mit dem OVB gesprochen.

Das Bad Aiblinger Zugunglück mit zwölf Todesopfern, in der eigenen Familie misshandelte Kinder oder Gewaltdelikte, bei denen sich auch die Polizisten teilweise in Lebensgefahr begeben: Viele Einsätze wirken bei den Einsatzkräften sicherlich noch lange nach. Welche Möglichkeiten gibt es für Angehörige der Polizei, sich nach belastenden Einsätzen Hilfe zu holen?

Bernd Heller: Da gibt es mehrere Möglichkeiten. Zum einen gibt es den polizeilich-sozialen Dienst mit Sitz im Polizeipräsidium Oberbayern Süd in Rosenheim, der für das gesamte Präsidium zuständig ist, und innerhalb der bayerischen Polizei auch noch die polizeilichen Seelsorger, die für derartige Fälle ebenfalls zur Verfügung stehen. Seit rund vier Jahren gibt es zudem die sogenannten Peers, zu denen ich auch gehöre. Wichtig ist, dass es sich dabei um Anlaufstellen handelt, die angesprochen werden können, ohne den Dienstweg einzuhalten. Somit wird ausgeschlossen, dass sich Kollegen in einer akuten Belastungssymptomatik auch noch vor mehreren Leuten dafür rechtfertigen müssen.

Was genau verbirgt sich hinter dem Begriff Peer?

Heller: Peers sogenannte Kollegenhelfer, gibt es in Deutschland in etwa seit den 90er-Jahren, in den USA bereits seit den 80ern. In Deutschland wurden sie zunächst vor allem bei der Feuerwehr und im Rettungsdienst installiert, relativ schnell dann aber auch bei der Polizei. Letztlich handelt es sich bei den Peers der Polizei um aktive Polizeibeamte, die in der Regel über eine gewisse Berufserfahrungen verfügen und die verschiedene Lehrgänge, beispielsweise im psychologischen Bereich durchlaufen, ehe sie als Peer zertifiziert werden. In dieser Funktion stehen sie dann Kollegen als Ansprechpartner zur Seite. Die Peers selbst sind direkt dem polizeilich-sozialen Dienst des Präsidiums unterstellt und werden von dort auch immer wieder fortgebildet.

Aber wieso braucht es überhaupt die Peers, wenn es eine psycho-soziale Fachkraft gibt, die diese Aufgabe übernehmen kann?

Heller: An welche Stelle sich ein Betroffener, der unter einer akuten Belastung leidet, letztlich wendet, ist jedem selbst überlassen und ganz unterschiedlich. Ein Vorteil des Peer ist sicherlich, dass er als Polizist mit Berufserfahrung weiß, von was der Betroffene spricht. In vielen Fällen hat er ähnliche Situationen, sprich belastende Einsätze, bereits selbst erlebt.

Das Zugunglück im Jahr 2016 in Bad Aibling (links), bei dem zwölf Menschen ihr Leben verloren hatten, oder im Jahr 2018 die Attacke einer Frau, die in Feldkirchen-Westerham mit einer Axt auf Polizisten losgegangen war (rechts): Einsätze, die Polizeibeamten oftmals nicht einfach abschütteln können.

Welche Ihrer Einsätze waren so belastend, dass sie sich bei Ihnen im Gedächtnis eingebrannt haben?

Heller: Da gab es mehrere Situationen, an die ich, auch wenn sie schon lange zurückliegen, auch heute noch oft denke und bei denen ich lange gebraucht haben, sie zu verarbeiten. Kurz nachdem ich meine Ausbildung absolviert hatte, musste ich zu einem Unfall ausrücken, bei dem ein Fahrzeug gegen einen Lichtmast geprallt war und bei dem drei Personen gestorben sind und eine in Lebensgefahr schwebte. Ich kannte die zwar alle nicht persönlich, zwei der Todesopfer waren aber Polizisten. Daran muss ich auch heute noch oft denken. Ebenso an einen Einsatz, bei dem ein Mann mit einem Messer in der Hand auf mich zugekommen ist und ich kurz davor war, von meiner Dienstwaffe Gebrauch zu machen. Was ich dann aber nicht musste, weil das Messer fallengelassen wurde.

Was war in diesem Fall für Sie belastender? Die Gefahr, selbst verletzt oder getötet zu werden, oder der Gedanke, die Waffe ziehen und einen Menschen zumindest verletzten, wenn nicht sogar töten zu müssen?

Heller: Das ist schwer zu sagen. Beides war mit Sicherheit eine Belastung. Der Gedanke, eine Schusswaffe ziehen und eventuell einsetzen zu müssen, vielleicht noch ein bisschen mehr. Bislang musste ich – Gott sei Dank – in meiner gesamten Polizeilaufbahn noch nie von der Schusswaffe Gebrauch machen.

Welche Einsatzarten haben sich denn Ihren Erfahrungen nach als besonders belastend für Polizeibeamte herausgestellt?

Heller: Das sind auf der einen Seite natürlich die Einsätze, bei denen man selbst oder der Streifenpartner in Gefahr geraten könnte und die Möglichkeit besteht, verletzt oder sogar getötet zu werden. Auf der anderen Seite sind es aber auch Einsätze, bei denen man einen persönlichen Bezug herstellen kann. Verkehrsunfälle mit Kindern können für Polizeibeamte, die selbst Kinder – vielleicht dann auch noch im gleichen Alter – haben, besonders belastend sein. Auch Einsätze rund um häusliche Gewalt sind oftmals sehr schwierig.

Nachsorge ist wichtig, doch wie sieht es mit der Vorsorge aus? Gibt es da auch Strategien?

Heller: Ja, das ist auf jeden Fall notwendig und eine ganz wichtige Aufgabe der Peers. Wir sind regelmäßig in den verschiedenen Dienststellen unterwegs und geben dort Dienstunterricht. Da erfahren die Beamten dann auch, auf was sie sich psychisch bei bestimmten Einsätzen einstellen müssen, was passieren kann. Da bekommen die Einsatzkräfte dann auch schon ein paar Tipps an die Hand, was nach einem belastenden Einsatz helfen kann, den Kopf freizubekommen. Ich mache es nach schweren Einsätzen auch immer so, dass ich die Beamten, die im Einsatz waren, am Tag danach frage, wie es ihnen geht, wie sie geschlafen haben. Bereits da merkt man ja auch manchmal, wenn das Thema weiter in ihnen arbeitet.

Besteht die Gefahr, dass Beamte, denen Einsätze auf der Seele liegen, Angst davor haben, dass Kollegen oder die Gesellschaft sie nicht mehr als Respektspersonen betrachten?

Heller: Im Einsatz eigentlich nicht, denn da funktioniert man in der Regel einfach und weiß, was jetzt zu tun ist. Die Belastungssymptome kommen meistens erst danach. Aber auch hier ist es bei der Polizei wie in der gesamten Gesellschaft, dass es immer mehr Verständnis und Akzeptanz für psychische Probleme gibt. Da hat sich in den vergangenen Jahren viel getan. Auch die Vorgesetzten bei der Polizei haben erkannt, dass es Kollegen gibt, die manchmal Hilfe brauchen, was es den Kollegen dann natürlich auch leichter macht, sich darauf einzulassen. Es ist einfach auch nicht mehr zeitgemäß, dieses Thema unter den Tisch zu kehren. Eine seelische Unterstützung gehört zu einem professionellen Bild heutzutage dazu.

Gibt es auch Fälle, bei denen Sie merken, dass der Job für einen Kollegen vielleicht einfach nicht der richtige ist?

Heller: Das ist eine schwierige Frage, die ich eigentlich gar nicht beantworten kann. Denn letztlich muss der betroffene Kollege für sich selbst individuell die Frage beantworten, ob das vielleicht eine Einzelfall-Situation war und er gut darüber hinwegkommt, oder ob ihn vielleicht über einen langen Zeitraum Flashbacks wegen des Einsatzes plagen. Die Entscheidung, ob er das aushalten kann oder eben nicht, muss er letztlich selbst treffen. Bevor er eine so weitreichende Entscheidung trifft, hat er aber eben die Möglichkeit, verschiedene Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen. Auch dazu kann sich jeder Kollege vertrauensvoll an den polizeilich-sozialen Dienst wenden.

Sie sind bei Einsätzen selbst mit seelischen Belastungen konfrontiert, übernehmen dann aber als Peer – salopp gesagt – noch zusätzlich die Aufgabe eines „seelischen Müllschluckers“ für die Kollegen. Wer hilft Ihnen bei dieser Doppel-Belastung?

Heller: Es stimmt natürlich schon, dass es da auch Situationen für einen Peer gibt, die er dann selbst mit sich herumträgt. Ich weiß zwar, welche Lösungsmöglichkeiten es gibt, um nicht selbst in ein Loch zu fallen oder depressiv zu werden. Dennoch muss man an die Themen natürlich immer mit einem gewissen Maß an Empathie herangehen. Man kann dem Gegenüber ja nicht nur sagen: „Das wird schon wieder.“ Auch als Peer muss man dann aber reagieren, wenn es einem zu viel wird und die Probleme Überhand nehmen und eine Belastungsgrenze überschritten wird. Wobei es manchmal aber sogar so ist, dass man denkt, wie gut man es doch eigentlich selbst hat, weil einem dann eigene Probleme vielleicht sogar kleiner erscheinen.

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