55 Jahre Karstadt-Gebäude in Rosenheim – Teil 2:
„Südostbayerns großstädtisches Warenhaus“ eröffnet – Aber Bauschmerzen mit dem „Betonsilo“
Am 16. April jährt sich die Eröffnung des heutigen Karstadt-Gebäudes zum 55. Mal. Wir blicken anhand von Berichten aus dem OVB-Zeitungsarchiv auf die Bauarbeiten ab 1968 zurück. Im zweiten Teil gelangen wir endlich bei der feierlichen Eröffnung von „Südostbayerns großstädtischem Warenhaus in Rosenheim“ an. Aber auch die Abneigung der Rosenheimer gegen das als „Betonsilo“ verunglimpfte Aussehen kommt zur Sprache.
Rosenheim - Im November des Vorjahres war Richtfest gefeiert worden, indessen gingen die Arbeiten am Karstadt-Neubau im Januar 1970, drei Monate vor Eröffnung, mit Hochdruck weiter. „Zahlreiche Schaulustige säumten die Münchener Straße, um die Balanceakte mit dem Riesenkran mitzuverfolgen. Bestaunt wurde auch der 90 Tonnen schwere Riesenkoloss, dessen Anschaffung eine Münchener Firma eine Million Mark gekostet hat. Die Demontage des Kletterkrans in Rosenheim ist auch dementsprechend kostspielig: Sie kommt auf rund 6000 Mark“, berichtet das Oberbayerische Volksblatt (OVB) am 21. Januar. Längst hatte man die enorme Hürde einer Flutung der Baugrube Ende 1968 überwunden und seit dem Vorjahr war das Warenhaus immer mehr in die Höhe gewachsen.
„Über der Münchener Straße in Rosenheim schwebte am Montagabend ein zwölf Tonnen schwerer Autokran. Der Ausleger eines riesigen Krans hatte ihn an die 30 Meter hoch gehoben und auf die Dachgeschossdecke des Karstadt-Hauses gesetzt.“ Bauleiter Otto Bestier junior schilderte der Zeitung: „Es hat alles wunderbar geklappt. Vor 20 Uhr war der Transport auf das Dachgeschoss vollendet, wir hatten ursprünglich mit einer Arbeit bis Mitternacht gerechnet!“ Den ganzen Tag über habe in luftiger Höhe geschäftiges Treiben geherrscht: „Arbeiter zerlegten den 43 Meter hohen Kletterkran, der für die Arbeiten am Neubau eingesetzt war, in 30 Einzelteile. Stärkste Hilfe war dabei der auf das Dachgeschoss gehievte Autokran. Er hob die einzelnen Metallstücke, die oft mehrere Tonnen wiegen, bis zur Brüstung. Hier ergriff sie der auf der Münchener Straße wartende Riesenkran und verlud sie auf vier bereitstehende Tieflader.“
55 Jahre Karstadt-Gebäude in Rosenheim – Teil 2: „Südostbayerns großstädtisches Warenhaus“ eröffnet – Aber Bauschmerzen mit dem „Betonsilo“
Ende September 2007 wurden bereits 50 Jahre Karstadt Rosenheim gefeiert. „Wir haben Grund zum Jubeln“, zitierten die-OVB-Heimatzeitungen damals Bürgermeisterin Gabriele Bauer (CSU). Gerade durch Karstadt bekomme die Einkaufsstadt Rosenheim ein besonderes Profil. Andererseits gab es aber auch 1995 eine Feier zum 25-jährigen Bestehen in Rosenheim, wie damals die Zeitung schrieb. Wie kann das sein? Ist es vielleicht so, wie beispielsweise mit den Jubiläen des Herbstfests? „Es kommt darauf an, worauf man als Datum des Jubiläums Bezug nimmt“, erläutert Herbert Borrmann, früher selbst Abteilungsleiter bei Karstadt und renommierter Kenner der Stadtgeschichte.
Im April 1957 hatte „Oberpollinger“, München, seit 1927 im Besitz der „Karstadt“-Aktiengesellschaft, das alteingesessene Kaufhaus Wilhelm KG in Rosenheim übernommen. Nach umfangreichen Umbauten wurde das Haus am 9. November 1957 als „Kaufhaus Oberpollinger“ wiedereröffnet. Dies wäre also das Datum für das Jubiläum 2007. „Das Jubiläum, welches etwa 1995 gefeiert wurde, war jenes der Eröffnung des Kern-Gebäudes des inzwischen unter der Marke ‚Galeria‘ stehenden Kaufhauses“, so Borrmann weiter. „Diese fand nach umfangreichen und zwischenzeitlich durch einen Wassereinbruch auf der Baustelle verzögerten, von 1968 zwei Jahre andauernden Bauarbeiten am 16. April 1970 statt.“
Über 60.000 Artikel auf 6200 Quadratmetern
„Morgen Vormittag um 9 Uhr ist es in Rosenheim soweit: Dann eröffnet in der Innstadt das größte und zugleich erste Warenhaus mit Vollsortiment in Südostbayern. Das neue Haus von ‚Karstadt‘, das mit einem Investitionsaufwand von 17 Millionen Mark in 20 Monaten errichtet wurde, ist die südlichste Niederlassung des größten europäischen Einzelhandelsunternehmens in der Bundesrepublik“, vermeldet unterdessen ein Beitrag im OVB vom 15. April 1970. „In sechs Verkaufsebenen präsentiert es auf 6200 Quadratmeter Verkaufsfläche über 60.000 Artikel des täglichen, mittelfristigen wie langfristigen Bedarfs. Rund 550 Mitarbeiter stehen zu Diensten des Kunden.“
„Das ursprünglich als Textil-Kaufhaus geführte, nun auf Vollsortiment erweiterte, neu errichtete Warenhaus ist ganz auf Kundenidentifizierung ausgerichtet. Der Käufer soll sich wohlfühlen. Die Bedingungen für eine optimale Einkaufsatmosphäre schaffte man durch vorwahlgerechte Warenpräsentation, das heißt der Kunde kann frei, ohne Behinderung durch Trennelemente, an die Ware heran“, heißt es in dem Beitrag weiter. „Bewusst wird somit die Möglichkeit zum ‚Stöbern‘ gegeben. Hinzu kommt die wirkungsvolle Ausstattung der Verkaufsräume. Grundtendenz der Gestaltung: weiße Möbel auf orange-, beige- und grünfarbenen Fußböden, großzügige Verwendung von Teppichböden. Besonderer Wert wurde auf warmtöniges Licht mit reizvollen Kontrastwirkungen gelegt. Vorherrschender Gesamteindruck: Moderne Gestaltung ohne Effekthascherei.“
Zahlreiche Neuheiten für das Einkaufserlebnis
„Auf etwa 970 Quadratmeter Verkaufsfläche dominiert die Lebensmittelabteilung mit einem vielfältigen Angebot, das auch Frischfleisch nicht vermissen lässt und auch verwöhnten Gaumen gerecht wird — was speziell am Kuchenbüfett zum Ausdruck kommt“, wird die Einrichtung näher beschrieben. „Das Tiefgeschoss ist über eine feste Treppe direkt von der Straße aus zu erreichen. Dies dürfte der Frequenz der rustikalen ‚Brotzeitecke‘, wie man den Schnellimbiss getauft hat, zugutekommen. Vom Erdgeschoss aus wird die Verbindung zu dieser Ebene durch Rolltreppen und Personenaufzug hergestellt.“
Damals wie heute: Gillitzerblock mit Karstadt gehört zu Rosenheims wichtigsten Ecken




Zahlreiche Neuheiten würden das Einkaufserlebnis fördern: „So gibt es einen pavillonähnlichen Shop für Strickmoden, der als zwölfeckiger Kern ausgebildet ist und den Mittelpunkt des zweiten Obergeschosses darstellt. Einen ähnlichen Anziehungspunkt bietet das dritte Obergeschoss mit einem Achteck-Shop für Sport und Autozubehör. Auch das Nähzentrum im ersten Obergeschoss ist als Shop ausgestaltet worden. Für die Jugend wurde im Erdgeschoss ein Modeshop mit Lederwaren eingerichtet. Auf dieser Ebene präsentiert das Warenhaus zudem einen Aktionsshop, dessen Angebot ständig wechselt.“ Besonderen Erfolg würden die Einrichtungs-Fachleute vom Trachtenstand bieten, „der zum Ausdruck bringt, wie sehr man sich bemüht hat, in Warendarbietung und Gestaltung die bayrische Mentalität zu berücksichtigen. Die feste Einrichtung eines Trachtenstands in dieser Form ist hier zum ersten Mal in einem deutschen Warenhaus verwirklicht worden.“
Nette Geste für die Nachbarschaft bei Eröffnung
„Südostbayerns großstädtisches Warenhaus in Rosenheim“, lautete die Überschrift eines Beitrags im OVB vom 16. April 1970. „Die regionale Presse Südostbayerns und die Fachpresse des Bundesgebietes waren anlässlich der Eröffnung des Karstadthauses in Rosenheim zu einer Konferenz geladen worden. Bei dieser Gelegenheit sprach Direktor Merker von der Karstadt-Hauptverwaltung in Essen einführende Worte. Er gab dabei der Überzeugung Ausdruck, dass der örtliche Einzelhandel durch die verstärkte Anziehungskraft des neuen Karstadt-Hauses ebenfalls erheblich gewinnen wird. Das neue großstädtische Kaufhaus in Rosenheim müsse sich mit dem internationalen Angebot der Weltstadt München sowohl in der Vielgestaltigkeit, wie auch hinsichtlich der Preise auseinandersetzen“ Merk habe gesagt: „Wir hoffen, dass die Kollegen am Orte mit uns an einem Tau ziehen bei der Absicht, Rosenheim als Einkaufszentrum Südostbayerns, zu fördern und weiterzuentwickeln.“
„Die Zahl der Mitarbeiter im Karstadt-Haus wurde auf 550 erhöht, gegenüber 270 des früheren Bestandes. Darunter 80 Pendler, die früher auswärts ihre konnten Arbeitsstellen hatten, sesshaft gemacht“, erfahren wir weiterhin, „Schließlich wurde in dieser Pressekonferenz noch eine nette Geste des Hauses Karstadt gegenüber der Nachbarschaft bekanntgegeben. Für die erlittene Unbill während der zweijährigen Bauzeit wurden insgesamt neunzig stattliche Geschenkkörbe an die Nachbarn verteilt. Für gestern Abend waren noch 180 namhafte Persönlichkeiten als Ehrengäste zu Karstadt geladen.“
„Blume des Einzelhandels“
„Eine viel beachtete Rede hielt Einzelhandelsverbandsvorsitzender Heinz Haubitz. Er anerkannte die Rücksichtnahme des Karstadt-Hauses, das übrigens auch Verbandsmitglied sei, auf die bayerischen Gepflogenheiten und Geschmacksrichtungen. Aufmachung und Gestaltung des neuen Kaufhauses in Rosenheim seien bestens gelungen“, erfahren wir dann noch am Folgetag aus einem Artikel. „Der Einzelhandel Rosenheims habe sich der Entwicklung der vergangenen Jahre gestellt und diese gemeistert. Karstadt habe mit dem neuen Haus eine Dominante gesetzt, welche wesentlich dazu beitragen werde, Rosenheim als wirtschaftlichen Mittelpunkt zu stärken. Dank gebühre dem Hause Karstadt, dass es in der Stadtmitte geblieben und nicht auf die ‚grüne Wiese‘ gegangen sei. In den kommenden Jahren werde ein leistungsfähiges Haus mit einem Voll-Warensortiment ein wichtiger Gegenpol gegenüber der großen Anziehungskraft Münchens sein.“
„Das Haus Karstadt in Rosenheim bezeichnete Haubitz als eine ‚Blume in dem Strauß des bayerischen und deutschen Einzelhandels‘. Möge es sich als eine ‚Rose ohne allzuviel Dornen‘ erweisen, sagte Haubitz humorvoll und beziehungsreich. Ihm folgte Betriebsrat Netteldorf aus Berlin, der namens der 50.000 Karstadt-Mitarbeiter dem neuen Hause Glück und Erfolg und den darin Beschäftigten eine gute Arbeitsatmosphäre wünschte“, so der Bericht und schließt: „Nach einem Rundgang durch die einzelnen Stockwerke traf man sich im Hotel Crombach zu einem kalten Büfett und zu fröhlicher Unterhaltung.“
Ende gut, alles gut?
Ende gut, alles gut? „Ein Gesprächsthema ist zurzeit in Rosenheim die Sorge über das Aussehen des künftigen Kaufhauses Karstadt, das an der Münchener Straße wie ein Betonsilo in die Höhe wächst.“ Wie wir einem Beitrag im OVB vom 27. Oktober entnehmen können, gab es bereits während des Baus kritische Stimmen zum künftigen Aussehen des Kaufhauses. Karstadt berief damals extra eine Pressekonferenz ein, bei der auch der Vertreter von Professor Paolo Nestler, dem Planer des Hauses teil. Diese verwiesen darauf, dass Platten aus gebrochenem Carrara-Marmor mit Weißzement die Fassade schmücken würden. „Eine solche Platte wurde am Bauwerk bereits aufgehängt, um der besorgten Bevölkerung eine Vorstellung von dem künftigen Aussehen zu vermitteln. Zur Auflockerung der Fassade tragen zwölf Zentimeter vorstehende Wülste an den Rändern der Platten bei.“
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Diese Lösung für die Fassade fand jedoch letztlich keine Liebe bei den Rosenheimern, wie das Stadtarchiv zu berichten weiß. Sie fand daher im Rahmen der Aus- und Sanierungsarbeiten zwischen 1994 und 1997 beseitigt. „Die bestehende, ungeliebte Eckfassade von 1970 wurde in ihrer Höhe reduziert, hell verputzt und mit großen Öffnungen versehen.“ Wie schon in den 1960ern führte das an dieser Stelle der Rosenheimer Innenstadt sehr instabile Erdreich und der hohe Grundwasserstand zu Verzögerungen beim Bau. In der Presse war sogar von „Deutschlands kompliziertester Tiefbaustelle“ zu lesen. (hs)



