Zwei Einsatzfahrzeuge kommen vergangene Woche nur mit Mühe zu einem Unfall in Bischofswiesen durch. Der Grund: Die Verkehrsteilnehmer haben keine ordentliche Rettungsgasse gebildet. Zu sehen ist die Situation auf einem Video des BRK Berchtesgaden. Sprecher Markus Leitner gibt im Interview mit BGLand24.de Auskunft über den Vorfall und darüber, wie die Rettungskräfte damit umgehen.
Bischofswiesen - Am 21. Februar hat sich auf der B20 an der Abfahrt zum Sportplatz ein Unfall ereignet. Eine 47-jährige Bischofswieserin wollte von der Bundesstraße links in die Riedherrengasse abbiegen und wurde dabei von einer 46-jährigen Schönauerin übersehen, die auf den wartenden Wagen auffuhr. Dabei wurden sowohl die beiden Fahrerinnen als auch der Beifahrer der Bischofswieserin verletzt und in die Kreisklinik Bad Reichenhall gebracht. Beide Fahrzeuge wurden stark beschädigt und es kam zu einer erheblichen Verkehrsbehinderungen. Auf einem Video sieht man deutlich, dass sowohl die Freiwillige Feuerwehr Bischofswiesen als auch ein Rettungswagen des BRK Berchtesgaden Schwierigkeiten hatten, zur Unfallstelle vorzudringen, weil die Rettungsgasse nicht ordentlich gebildet wurde.
Markus Leitner, Pressesprecher des BRK Berchtesgadener Land, erklärt, wie Rettungskräfte mit solchen Situationen umgehen
Die Videosequenz ist relativ kurz. Hatten noch mehr Einsatzfahrzeuge Schwierigkeiten, die Stelle zu passieren?
Nein, zum Glück nur das Feuerwehrfahrzeug und der erste Rettungswagen aus Berchtesgaden, wobei vorher schon Einsatzkräfte der Ortsfeuerwehr an der Unfallstelle waren und die Lage im Griff hatten.
Erleben die Rettungskräfte des BRK häufig, dass von den Verkehrsteilnehmern keine Rettungsgasse gebildet wird?
Das kommt im Alltag immer wieder vor und liegt vor allem an der allgemein recht hohen Verkehrsdichte und dass viele Leute meinen, die Rettungsgasse sei nur auf der Autobahn relevant. Rettungswagen und Feuerwehrautos sind aber breiter und passen auch in der Stadt, auf Landstraßen und auf Forstwegen nicht mehr durch, wo ein Pkw vielleicht noch passieren kann. Daran sollte man auch immer denken, wenn man wo parkt und vielleicht auch nur kurz stehen bleibt.
Rettungsgasse ist also ein sehr weiter Begriff und fordert Eigenverantwortung von uns allen. Denn auch wenn kein Schild konkret regelt, dass ich wo nicht parken darf, kann es trotzdem so eng werden, dass Einsatzfahrzeuge nur noch sehr langsam oder gar nicht mehr passieren können oder durch unvorhersehbare Reaktionen andere riskante Ereignisse entstehen. Man also grundsätzlich immer im Hinterkopf haben, dass zu jeder Zeit und überall ein Notfall passieren kann, es manchmal auch um Leben und Tod geht und jeder von uns durch rücksichtsvolles und solidarisches Verhalten seinen Beitrag leisten kann, dass eine Einsatzfahrt ohne Zeitverzögerung und möglichst stressfrei für die Retter verläuft.
Hat das BRK ein bestimmtes Prozedere, falls keine Rettungsgasse gebildet wurde? Werden die Verkehrsteilnehmer darauf hingewiesen? Wie wird dann gefahren?
Grundsätzlich muss man davon ausgehen, dass das niemand absichtlich macht, sondern einfach nur gedankenlos und weil man sich am Verhalten anderer Leute orientiert. Wenn der Vordermann keine Rettungsgasse bildet, mach ich es auch nicht und wenn schon jemand schlecht oder falsch parkt, animiert das andere Leute wie eine Art Freibrief, es auch so zu machen. Die Einsicht bei den Autofahrern erfolgt meist dann und etwas spät, wenn sie selbst im Stau erleben, wie eng es tatsächlich wird und wie sich die Einsatzfahrt verzögert.
Bei den Einsätzen bleibt meist keine Zeit für einen großen Dialog, weil sich unsere Leute fast immer um einen Patienten kümmern und ihn in eine Klinik bringen müssen. Kein Einsatzort ist wie der andere und unsere Leute entscheiden individuell – meist macht es Sinn, die letzten hundert Meter zu Fuß weiterzugehen, damit schnell jemand am Patienten ist. Alternativ kann man manchmal über Radwege oder über einen kleinen Umweg von der Gegenrichtung anfahren. Wenn wir vorher schon durch Infos im Notruf wissen, dass die Zufahrt beispielsweise durch parkende Autos eng oder sogar blockiert ist, dann ist das Gold wert und wir können gleich vorab alternativ planen und Fehlversuche vermeiden.
Welche Konsequenzen kann eine fehlende Rettungsgasse und der damit verbundene Zeitverzug mit sich bringen?
Nicht in jedem Einsatz geht es um Leben und Tod. Das Fatale ist aber, dass wir das selbst vorab nicht immer genau genug wissen, solange kein Arzt oder Sanitäter den Patienten tatsächlich gesehen hat und wir uns auf die immer wieder sehr emotional verzerrten Angaben aus dem Notruf verlassen müssen. Es gibt aber tatsächlich Notfälle und Krankheitsbilder, bei denen jede Minute zählt, damit der Patient überlebt oder keine dauerhaften gesundheitlichen Schäden davonträgt.
Auch ohne Stau muss man als Verkehrsteilnehmer bei Blaulicht und Martinshorn Platz machen. Dies geschieht jedoch mitunter sehr chaotisch, wie man immer wieder beobachten kann. Werden die Fahrer von Einsatzfahrzeugen speziell für solche Situationen geschult oder ist die reale Erfahrung die „beste“ Schule?
Unsere Rettungs- und Notfallsanitäter wachsen langsam mit der Sache, absolvieren vorab als dritte Einsatzkraft auf dem Fahrzeug ein Praktikum, bevor sie selbst als Fahrer eingesetzt werden, wobei sie lernen, wie erfahrende Kollegen Einsatzfahrten absolvieren und wie andere Autofahrer auf Blaulicht und Martinshorn reagieren. Das Stressige dabei ist, dass wir eigentlich immer mit allem rechnen müssen. Am meisten hilft uns, wenn das Verhalten der anderen Verkehrsteilnehmer so früh wie möglich kalkulierbar ist: Das geht recht einfach, wenn ich als Autofahrer den Blinker setze und damit signalisiere, dass ich das Einsatzfahrzeug erkannt habe und nach einer Möglichkeit suche, auszuweichen, Platz zu machen oder anzuhalten.
Es bringt null, wenn alle Autofahrer plötzlich abrupt abbremsen oder chaotisch ausweichen, obwohl für den Rettungswagen gar kein Platz ist, um beispielsweise in einer engen Straße oder auf einer dichten Kreuzung zu passieren. Entscheidend ist, dass jeder etwas mitdenkt und auch auf den Gegenverkehr und das Verhalten der anderen Verkehrsteilnehmer achtet – sie gegebenenfalls schon präventiv durch eigenes, vorbildhaftes Verhalten darauf hinweist, dass sie für eine Rettungsgasse nicht weit genug am Rand fahren.
Rettungsgasse richtig bilden
Der ADAC gibt auf seiner Website darüber Auskunft, wie man die Rettungsgasse bei mehreren Spuren richtig bildet. Hier fahren die Fahrzeuge auf der ganz linken Spur nach links, die übrigen nach rechts. Bei einspurigen Straßen außerhalb geschlossener Ortschaften muss man an den rechten Fahrbahnrand fahren, damit der linke Teil der Straße für die Rettungskräfte frei bleibt. Innerorts gibt es keine klare Regelung, hier muss nur unverzüglich Platz geschaffen werden. Die Rettungsgasse muss übrigens nicht erst bei Stau gebildet werden, sondern bereits dann, wenn der Verkehr stockt und man nur noch mit Schrittgeschwindigkeit vorankommt. Wer keine Rettungsgasse bildet, muss mit einer saftigen Strafe rechnen. Der Bußgeldkatalog listet ein Bußgeld zwischen 200 und 320 Euro auf. Die Rettungsgasse darf ausschließlich von der Polizei, den Rettungsdiensten, der Feuerwehr sowie Abschleppunternehmen befahren werden. Wer unerlaubt eine Rettungsgasse nutzt, riskiert neben dem Bußgeld von mindestens 240 Euro auch noch zwei Punkte in Flensburg und ein einmonatiges Fahrverbot.
mf