Ulrike Schweiger wurde vor Kurzem zur Direktkandidatin der Grünen für den Wahlkreis Traunstein gewählt. Im Interview erzählt die Freilassingerin, wie sie den Wahlabend erlebt hat, welche Themen ihr im Wahlkampf wichtig sind und warum Klimaschutz für sie nach wie vor alternativlos ist.
Freilassing - Der Bundestagswahlkreis Traunstein umfasst die Landkreise Traunstein und Berchtesgadener Land. Rund 200.000 Wahlberechtigte dürfen am 28. September 2025 aus diesem Wahlkreis ihre Stimme abgeben. Seit einigen Wochen ist klar, dass die Freilassingerin Ulrike Schweiger für die Grünen in den Bundestag einziehen möchte. Die Sprecherin des Kreisverbandes Berchtesgadener Land und des Ortsverbandes Freilassing wurde bei der Aufstellungsversammlung einstimmig zur Direktkandidatin gewählt.
Frau Schweiger, Glückwunsch zu Ihrer einstimmen Wahl zur Direktkandidatin. Wie ist es Ihnen am Tag der Wahl ergangen?
Ich war nervös. Weniger, dass ich reden muss, das mache ich gern. Mein Name Schweiger ist hier nicht Programm. Ich war an dem Abend aber die einzige Kandidierende. Es sind zwei Kreisverbände, die sich in diesem Wahlkreis zusammenfinden. Ich hatte mich zuvor bei beiden Kreisverbänden vorgestellt. Es war überall sehr positiv, aber ich habe dort schon auch Zweifel und Diskussionen gespürt. Es war mir ein Anliegen, dass ich alle mitnehme, auch wenn ich ohne Gegenkandidaten antrete. Diese Aufgabe geht nur als Team. Deswegen habe ich mich wahnsinnig in die Rede reingehängt. Eine Frau muss alle Themen abdecken. Dieser Unterschied ist immer noch da. Es war dann ein richtiger Motivationsschub für mich, dass die Wahl einstimmig war.
Sie sprechen davon, dass Sie als Frau mehr geben müssen. Nun sind die auch die erste weibliche Direktkandidatin der Grünen im Wahlkreis. Ist das für Sie wichtig?
Nein. Das Thema Frauenpolitik stammt aus meinem eigenen Leben. Ich bin kein Politprofi, sondern Lebensprofi. Aber dass ich die erste weibliche Kandidatin bin, ist für mich gar kein Thema. Ich denke, dass ich im Wahlkampf diejenige bin, die es perfekt auf den Punkt bringen kann. Für die beiden Kreisverbände hat das auch gepasst. Und obwohl wir eine feministische Partei sind, hat das in dem Fall keine Rolle gespielt.
Ist ja erfreulich, wenn man schon so weit ist.
Da sind wir wirklich schon weit. Ich bin ja viel unterwegs. Wir haben so viele Frauen an der vordersten Front. Das hat der Partei gut getan, aber wir haben immer noch viel Arbeit vor uns. Ich höre immer noch von Parteifreunden, was denn Männer von der Frauenpolitik hätten. Echt jetzt? Warum muss man immer noch argumentieren? Ich habe ja auch letztes Jahr den Wahlkampf gemacht, da bin ich teilweise vom Glauben abgefallen, was mir Frauen aus ländlichen Kommunen teilweise erzählt haben.
Zum Beispiel?
Eine junge Frau wollte beim ersten Kind drei Jahre lang daheim bleiben. Der Arbeitgeber hat nach eineinhalb Jahren gefragt, ob sie früher zurück kommen könnte, auch wenn es nur geringfügig wäre. Sie war dazu bereit und rief bei der Kommune an, um den Betreuungsplatz schon nach zwei statt drei Jahren zu bekommen. Ein paar Tage später rief der Bürgermeister an und fragte, warum sie sich nicht selbst um ihr Kind kümmert. Meine Kinder sind erwachsen. Ich war alleinerziehend. Ohne sich ein Netzwerk zu schaffen mit anderen Familien, die mich unterstützt haben, wäre das nicht möglich gewesen.
Letztes Jahr im Frühjahr in einer Gemeinderatssitzung, da sagte der Bürgermeister: „Betreuungsplätze sind bei uns nicht das Thema, weil es unseren Frauen so gut geht, dass sie daheim bleiben können.“ Hallo? Rentenansprüche, Altersarmut? Da könnte ich im Dreieck springen. Das heißt doch nicht, dass die Frau sich nicht um ihre Kinder kümmern will. Es geht auch nicht nur um den Betreuungsplatz, sondern dem Unternehmen fehlt die Arbeitskraft und die Frau hat weniger Rentenansprüche.
Ein Mann wird ja auch nie gefragt, wie er seinen Job schafft, obwohl er Kinder hat.
Auch bei den Mandatsträgerinnen ist das so: Sitzungen sind meist abends. Ein Mann geht selbstverständlich hin, eine Frau muss das alles planen. Bei den jungen Männern gibt es da schon ein Umdenken, aber die werden teilweise von den Arbeitgebern ausgebremst. Vaterschaftsurlaub - und da meine ich nicht die lächerlichen zwei Wochen - ist natürlich für den Arbeitgeber schwierig, aber man findet eine Lösung. Man muss sich halt zusammensetzen.
Der Wahlkampf steht bevor. Welche Themen sind Ihnen da wichtig?
Dass wir als Grüne in unserer DNA den Klimaschutz haben, ist alternativlos. Bei dem
Vortrag von Harald Lesch in Reichenhall ging es erst um Wetterextreme. Diese Woche war auch die Weltkonferenz zur Biodiversität. Es ist für mich erschütternd, dass das Wort Klimaschutz so ein Unwort geworden ist. Wir müssen es wieder positionieren und die Menschen mitnehmen. Das ist die Basis von allem. Bevor ich über Frauenpolitik, Migration, Wirtschaft spreche, über den Wohlstand im ländlichen Raum: Wenn ich mich nicht vorher um den Klimaschutz kümmere, wird das andere schon fast ad absurdum geführt. Lebensraum bewahren ist ja eigentlich ein sehr konservativer Ansatz.
Aufgrund meiner Lebensgeschichte ist die Frauenpolitik für mich Thema. In Österreich läuft es zum Beispiel beim Gewaltschutz besser. Ich bin zudem bei der Caritas als Ehrenamtskoordinatorin teilzeitbeschäftigt, dadurch liegt mir auch das am Herzen. Auf das Thema Migration habe ich einen klaren und kritischen, keinen verherrlichenden Blick. Wir müssen das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung ernst nehmen. Auch die grüne Politik will keine Kriminellen, keine Gefährder. Da hat ja die jetzige Regierung auch einiges umgesetzt. Ich möchte aber nicht die Rechte der Geflüchteten mit dem Problem der Integration gleichsetzen.
Ich habe über drei Jahrzehnte in einem internationalen Bankkonzern gearbeitet. Dort ist mir bewusst geworden, dass gerade börsennotierte Unternehmen nicht nachhaltig arbeiten. Die Manager bekommen Fünf-Jahres-Verträge. Wenn sich ihre Arbeit im Aktienkurs niederschlägt, werden sie weggelobt. So kann sich ein Unternehmen nicht nachhaltig, stabil und für Krisen gewappnet entwickeln. Wenn ein Unternehmen Stellen streicht, steigt der Aktienkurs. Das ganze Börsenthema hat nichts mehr mit gesunder Wirtschaft zu tun. Wohlstand ist ein Begriff, der immer in den Medien herumgeistert. Was wollen wir denn noch mehr? Und wie definieren wir Wohlstand? Für mich bedeutet Wohlstand, dass ich den Wasserhahn aufdrehen und das Wasser trinken kann. Ist es Wohlstand, dass ich zwei Autos habe? Oder dass ich eines habe und mir ein zweites ausleihe, wenn ich alle fünf Wochen ein zweites brauche –
wie im Berchtesgadener Tal.Sie haben gerade bedauert, dass Klimaschutz ein Unwort geworden ist. Haben sich die Grünen das Thema selbst kaputt gemacht – Stichwort Heizungsgesetz?
Wir haben uns vorgenommen, uns nicht mehr wie bisher Asche auf unser Haupt zu streuen. Das Bundesverfassungsgericht hat 2021 gesagt, dass der Klimaschutz verschärft und konkretisiert werden muss. Daran muss sich auch eine Unionsregierung halten. Die Umsetzung des Heizungsgesetzes war Mist. Aber noch größerer Mist war, wie das teilweise die Medien forciert haben, wie furchtbar das alles ist.
Wenn ich vom Innungsmeister der Installateure höre, dass sich die Leute sich Öl- und Gasheizungen gegen seinen Rat einbauen lassen – jeder in dem Metier weiß, dass das bald nicht mehr finanzierbar ist, und das hat nichts mit den Grünen zu tun – dann ist es unverantwortlich von manchen Medien und einigen politischen Mitbewerbern, da draufzuschlagen. Es geht doch um den Nutzen. Was haben die Menschen davon? Und es geht um die soziale Abfederung von diesem Investment.
Wir haben auch zu viel gegenformuliert. Wir wollen nicht auf die anderen eindreschen, sondern zeigen, wofür wir sind. Für Frieden, für Demokratie. Es gibt ja auch die humorvolle Strategie wie: Wenn du anderen den Hund nehmen willst, werde Mitglied bei den Grünen. Wenn du für alles schuld sein möchtest, werde Mitglied bei den Grünen. Das ist mein Ding: Frech, Ärmel hoch und Attacke. Man muss sich nicht alles gefallen lassen.
Der Ton wird immer rauer. Politische Gegner behaupten, die Grüne Jugend möchte Haustiere verbieten, die Grünen seien eine Verbotspartei.
Wer verbietet das denn? Das ist nicht nur Blödsinn, sondern Fake News par excellence. Das erschüttert mich schon, was da an Aussagen kommt. Die sind ja besessen. Wir müssen uns nicht mögen. Es gibt aber auch CSUler, die das nicht mehr wollen. So langsam habe ich das Gefühl, dass das Pendel wieder zurück schwenkt. Es gibt Ministerpräsidenten, die mit einer schwarz-grünen Koalition gut zurechtkommen und erfolgreich arbeiten. Wir Grüne können nicht die Welt retten. Es geht alles nur geschlossen. Über den Weg dorthin können wir ja reden. Es geht auch beim Klimawandel nicht um Meinungen, sondern um Messungen, um Fakten.
Mit Fakten erreicht man inzwischen gewisse Leute nicht mehr. Das sieht man am Wahlkampf in den USA. Welchen Ausweg gibt es da?
Da bin ich auch überfragt. Ich kann das nur in meinem eigenen Umfeld und im Wahlkampf angehen. Damit mache ich mich vielleicht auch angreifbar. Ich komme aber aus dem Sport. Wenn ich was mache, dann möchte ich gewinnen. Ich werde mein Bestes geben. Für mich ist ein Listenplatz ausschlaggebend, der den Namen aussichtsreich verdient. Ich möchte unser Team im Wahlkampf bekannt machen, das sehr kompetent ist. Allein in unserer Kreistagsfraktion sitzen 50 Prozent Landwirt:innen. Da muss man schon fragen: Wo sitzt denn hier die Kompetenz? Wir haben ganz klar Lösungen. Und wenn jemand eine bessere Idee hat, nur her damit. Wir müssen fernab vom populistischen Geplärre nachhaltige Konzepte entwerfen und damit die Demokratie stärken. Ich habe keine Lust mehr, mich mit falschen Zuschreibungen auseinanderzusetzen. Wir müssen auch klarer werden. Wir sind da schon auf einem guten Weg.
Die Grünen sind oft in Großstädten stark. Der Wahlkreis Traunstein ist hingegen ländlich geprägt. Wie möchten Sie die Interessen des ländlichen Raums nach Berlin bringen?
Einfach dadurch, dass ich einen guten Listenplatz habe und gewählt werde. Wir haben im Februar die Listenaufstellung für den Landesverband Bayern. Ich habe den Münchnern und denen aus dem Münchner Speckgürtel schon gesagt: Ländlicher Raum bin ich. Dafür stehe ich ein. Sobald der Listenplatz feststeht, werden wir unser Konzept aufbauen.
Frau Schweiger, herzlichen Dank für das Gespräch. (mf)