Karina Rommel und Florian Freundl im Porträt
Stöhrhaus wird zum Familienbetrieb: Neue Wirtsleute setzen soziale Akzente
Die beliebte Schutzhütte auf 1894 Metern Höhe hat neue Pächter und Wirtsleute: Die Heilerziehungspflegerin Karina Rommel und der Koch Florian Freundl freuen sich sehr auf ihre neue Aufgabe. Im Gespräch erzählen sie, wie sie dieses Abenteuer angehen und wieso sie Menschen mit Beeinträchtigung eine Chance zur Mitarbeit im Hüttenalltag geben wollen.
Marktschellenberg - Manchmal darf man einfach nicht aufgeben und muss dranbleiben. Und mit etwas Glück erfüllt sich manchmal schneller als gedacht ein Traum: Schon vor zwei Jahren haben es Karina Rommel und Florian Freundl mit einer Bewerbung beim DAV Berchtesgaden versucht. Doch damals sind sie zu spät dran, der Zuschlag geht an ein weibliches Duo. Als die beiden Wirtinnen nach einem Jahr genug haben und der DAV erneut auf Suche geht, zögern die beiden nicht lange. Seit wenigen Tagen ist es ganz offiziell: Für sie beginnt Mitte Mai die Saison im Stöhrhaus - und damit ein völlig neuer Lebensabschnitt.
„Als wir uns bei einer Untersberg-Überschreitung vor zwei Jahren mit den langjährigen Pächtern unterhalten haben, kam uns die Idee, einfach etwas Anderes, etwas Neues zu starten. Und das in Verbindung mit Karinas Idee für ein soziales Projekt“, erinnert sich Florian. Der 41-Jährige ist gelernter Koch, stammt aus Schneizlreuth und sammelte jahrelang Erfahrung im internationalen Catering und Verkauf. Karina ist 38 Jahre alt, kommt aus Bad Reichenhall und arbeitet als Heilerziehungspflegerin mit Menschen mit Behinderung zusammen. Doch das ist nicht der einzige Grund für diese Idee.
Kennen die Probleme nur zu gut
Florians jüngster Sohn hat ebenfalls eine Beeinträchtigung. Nicht nur deswegen, sondern auch wegen Karinas Arbeit in einer Außenwohngruppe einer Einrichtung wissen die beiden, wie schwer es für diese Menschen ist, in der Gesellschaft wahrgenommen und akzeptiert zu werden. „Man sollte ihnen die Gelegenheit geben, aus ihrem Alltag herauszukommen. Sie wohnen und leben in einer Einrichtung, also an Ort und Stelle, und kommen nie raus. Sie sollen etwas Neues sehen“, erklärt die 38-Jährige. Dazu gehöre auch, überhaupt mal Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt zu erhalten, sich auszuprobieren und anerkannt zu werden - wie Menschen ohne Beeinträchtigung es eben auch tun.
„Natürlich bedeutet das für den Hüttenalltag, dass wir das unseren Gästen schon so präsentieren müssen, dass es vielleicht mal etwas dauert oder etwas nicht ganz so gut klappt. Damit andere einfach sehen: Die können auch was, die entwickeln sich weiter und gehören in die Mitte unserer Gesellschaft“, so Karina. Auch deshalb sei es ihr ein Herzenswunsch, damit die Betroffenen das Gefühl erhalten: Sie sind auch außerhalb der Einrichtung wichtig und erhalten dort Zuspruch und Wertschätzung. „Vielleicht nehmen sich manche Betriebe an uns ein Beispiel.“
„Die Gesellschaft ist bereit dafür“
Auch Florian kennt diese Erfahrungen, wobei er auch sagt: Heutzutage sei die Bereitschaft größer als noch vor 20 Jahren. „Wenn wir beispielsweise mit unserem Sohn im Restaurant sind, spürt man das schon: Egal ob Personal oder Gäste, mit ihm wird viel mehr auf Augenhöhe geredet. Die Gesellschaft ist bereit dafür und deshalb ist uns das ein wichtiges Anliegen.“
Diese Menschen sollen sich mitten im Leben befinden - genau da, wo sie hingehören.
Von Anfang an stand fest, dass der ältere Sohn - ebenfalls gelernter Koch - mit ins Stöhrhaus ziehen und seinen Vater in der Küche unterstützen wird. Ab Sommer bereichert auch der jüngere Sohn die Schutzhütte - Florian und Karina machten damit aus der Not eine Tugend. Denn für freie Plätze in Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen gibt es jahrelange Wartezeiten und im Sommer endet die Schullaufbahn für den jüngeren Sohn. Zufälligerweise ist DAV-Geschäftsführerin Gabi Schieder-Moderegger die Lehrerin von ihm, und als sie von den Eltern erfuhr, dass sie vor einem Problem stehen, sagte sie zu ihnen: „Nehmt ihn doch einfach mit hoch auf die Hütte.“ Für Florian und Karina ein Glücksfall, denn im Stöhrhaus ist alles behindertengerecht eingerichtet. Mit dieser Zusage wurde der Familienbetrieb perfekt.
Neue Räume im Inneren
Platz wäre durchaus noch vorhanden, denn im Inneren der Schutzhütte entstehen im Frühjahr ein neuer Seminar- und Allzweckraum und ein weiteres Personalzimmer. Ansonsten wollen die neuen Wirtsleute gar nicht viel verändern, auf der Speisekarte finden sich auch weiter traditionelle Gerichte, Brotzeiten und hausgemachte Kuchen. Doch es wird auch für Vegetarier Optionen wie Kaspress- oder Spinatknödel geben. Florian: „Man muss heutzutage auch vegetarische Alternativen anbieten, ohne geht es nicht mehr. Aber darauf legen wir nicht unser Hauptaugenmerk. Vielleicht machen wir mal was Ausgefallenes, aber warum sollten wir auf fast 1900 Metern Höhe etwas anderes machen?“ Man wisse, was die Einheimischen schätzen, etwa ein typischer Frühschoppen oder gemütliche Musik. „Wir werden das Rad nicht neu erfinden.“
In Gesprächen mit anderen Hüttenwirten haben sie sich schon Tipps eingeholt und über ihren neuen Alltag informiert. „Urlaub ist das nicht“, wurde ihnen klargemacht, aber das wussten sie schon vorher. Als Quereinsteigerin werden es für Karina die ersten Erfahrungen im Service-Bereich. Normalerweise mag sie es nicht so, im Mittelpunkt zu stehen, und arbeitet lieber gerne im Hintergrund. „Ich muss mich daran erst gewöhnen“, gibt sie zu. Doch ihr und Florian wird das Motto helfen, mit dem sie jede Aufgabe angehen: „Geht ned, gibts ned“. Das sei schon immer ihre Einstellung gewesen, deshalb werde man auch stets nach Lösungen schauen und daran arbeiten. „Wir wollen, dass die Menschen zufrieden gehen und gerne wieder zu uns kommen. Man kann über alles sprechen und dann findet man einen Weg“, glaubt er.
Auf 1894 Metern Höhe funktioniert nicht immer alles
Karina: „Auf einer solchen Höhe wird nicht immer alles funktionieren. Da muss man kreativ sein, das geht nicht immer nach dem gleichen Schema.“ Auch das haben sie von den Vorgängern erfahren: Das erste Jahr wird ein Lernprozess, bei dem ein Problem gelöst wird und das nächste schon an der Tür klopft. „Natürlich schauen wir uns die ersten ein, zwei Saisons erstmal alles an, aber wir planen unsere Zukunft mit dem Stöhrhaus schon langfristiger.“
Auf die Frage, was für sie der Reiz an der ersten Selbstständigkeit ausmacht und warum diese auf gleich 1894 Metern Höhe stattfinden muss, antwortet der Koch: „Wir sind gerne in der Natur unterwegs und lieben es zu klettern, zu wandern und mit dem Mountainbike unterwegs zu sein. Schon zu Beginn meiner Lehrzeit hatte ich den Hintergedanken, etwas Eigenes zu machen, und warum sollte man beides nicht einfach miteinander kombinieren?“ Dazu die gewaltige und beeindruckende Kulisse - ein unschlagbarer Anreiz.
„Dort oben möchte man wirklich jeden Tag einschlafen und aufwachen - auch wenn viel Arbeit dazwischen liegt“, weiß Florian. Karina pflichtet ihm bei und sagt: „Man kann einfach dem Trubel entfliehen und hat seine Ruhe.“ Sie wollten etwas Neues hier in ihrer Heimat starten, und da sie eh schon nach Feierabend oder an den Wochenenden viel Zeit in den Bergen verbringen, war diese neue Aufgabe irgendwie naheliegend.