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„Reine Glaskugelleserei“

Höherer Hebesatz - weniger Einnahmen: Stadtrat Reichenhall wegen Grundsteuer vor Dilemma

Bad Reichenhall mit Hochstaufen
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Bad Reichenhall

Die Grundsteuerreform zwang den Stadtrat zu einer schwierigen Entscheidung. Er musste neue Hebesätze festlegen, obwohl noch nicht alle Daten vorliegen - eine „reine Glaskugelleserei“, wie es der Oberbürgermeister nannte. Paradox: Trotz Erhöhung wird die Stadt aber weniger einnehmen.

Bad Reichenhall - Die Grundsteuer ist eine wichtige Einnahmequelle für Bad Reichenhall. Sie betrug im Jahr 2023 fast 3,3 Millionen Euro. Wegen der Grundsteuerreform musste der Stadtrat nun die Hebesätze festlegen. Das Problem: Es gibt noch nicht alle Grundsteuermessbeträge vom Finanzamt. Bei der Grundsteuer A (land- und forstwirtschaftliche Betriebe) liegen Messbeträge für 147 der 226 Objekte vor, bei der Grundsteuer B (alle sonstigen Grundstücke) für 7149 der 8936 Objekte. Daher basiert die Festlegung auf Schätzungen. Und trotz Erhöhung wird die Stadt wohl weniger einnehmen.

Die Grundsteuerreform, initiiert durch das Bundesverfassungsgericht wegen veralteter Einheitswerte, führt zu wesentlichen Veränderungen bei der Berechnung der Grundsteuer. In Bayern wurde ein neues flächenbezogenes Berechnungsmodell 2021 beschlossen, das ab 2025 in Kraft tritt. Die Hebesätze werden mit den Messbeträgen multipliziert, die das Finanzamt festlegt.

„Echte Dilemmasituation“

„Wir befinden uns in einer echten Dilemmasituation“, meinte Oberbürgermeister Christoph Lung in der Stadtratssitzung. Denn: Mit gleichbleibenden Hebesätzen hätte die Stadt ein Drittel Mindereinnahmen. Ein Einfamilienhaus mit großem Grundstück werde nun wesentlich höher bewertet als größere Mietshäuser. „Wie weit können wir erhöhen und den Bürger belasten? Wie viel Mindereinnahmen können wir uns leisten?“, fragte der Oberbürgermeister.

Der Hebesatz für die Grundsteuer A sollte laut Beschlussvorschlag auf 400 Prozent und für die Grundsteuer B auf 490 Prozent festgelegt werden – wobei für die Grundsteuer B eigentlich ein Hebesatz von 590 Prozent nötig wäre, um die gleichen Einnahmen zu erzielen. Die Folge: Mindereinnahmen von mindestens 300.000 Euro. Lung bezeichnete das Vorgehen mit einem ersten Schritt. „Wenn wir sehen, dass die Mindereinnahmen zu hoch sind, werden wir noch mal nachziehen.“ Sprich: Sobald die Daten vollständig sind, könnte der Hebesatz für die folgenden Jahre noch angepasst werden.

bisheriger Hebesatznötiger Hebesatz für gleiche Einnahmenbeschlossener Hebesatz
Grundsteuer A (Land-/Forstwirtschaft)350 %400 %400 %
Grundsteuer B380 %590 %490%

„Die berühmte Oma in ihrem Haus“

Fritz Grübl (FWG) war mit dem Vorschlag nicht d’accord. „Warum muss ich einen Hebesatz ansetzen, der 300.000 Euro Mindereinnahmen macht?“ Lung brachte als Beispiel die ältere Dame in ihrem Einfamilienhaus mit Garten ins Spiel, die durch die Reform nun deutlich mehr Grundsteuer zahlen müsse und sprach von „sozialer Härte“.

„Ja, die berühmte Oma in ihrem Haus“, scherzte Friedrich Hötzendorfer (FWG). Es gehe schließlich nicht darum, dass die Stadt mehr Einnahmen wolle, sondern dass diese gleich blieben. Dennoch werde er für den Vorschlag stimmen – eine „Wahl zwischen Not und Elend.“ Bei gleichbleibenden Hebesätzen läge das Defizit ja bei 1,1 Millionen Euro.

„Das alte Mütterchen in ihrem Einfamilienhaus ist spekulativ“, erklärte Guido Boguslawski (Grüne-SPD). Vielleicht läge da ja auch „Geld unter der Matratze. Wir haben keine Ahnung, wer mehr oder weniger betroffen ist.“ Lung räumte ein, dass sein Beispiel fiktiv gewesen sei. Natürlich könne da auch ein Millionär wohnen. Boguslawski sprach sich dafür aus, den Hebesatz direkt bei 560 Prozent anzusetzen. „Das sind 300.000 Euro, die wir nicht haben. Wir müssen sparen und jetzt verschenken wir das.“

„Man weiß nicht, was rauskommt“

Manfred Hofmeister (Bürgerliste) hielt es hingegen für sinnvoll, Erfahrungen zu sammeln und ein Nachsteuern offenzuhalten. Auch Michael Nürbauer (Grüne-SPD) befand den Vorschlag für gut. „Man weiß nicht, was rauskommt“, betonte Martin Schoberth (CSU) in Bezug auf Boguslawskis Einwand. „Deshalb macht es Sinn, sich als ersten Step heranzutasten und nächstes Jahr über die nächste Stufe zu diskutieren.“

Vera Kaniber (FWG) sprach von einer Verschiebung. „Die alte Frau zahlt dann im nächsten Jahr mehr. Ich werde trotzdem dafür stimmen, damit das vom Tisch ist.“ Solange man nicht alle Messbeträge habe, „ist es reine Glaskugelleserei“, gab Lung zu. Mit zwei Gegenstimmen wurden schließlich die beiden neuen Hebesätze festgelegt. (mf)

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