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Menschen mit Behinderung und ihre beeindruckende Arbeitsleistung

Zu Besuch bei den Pidinger Werkstätten: „Ich weiß, worauf ich schauen muss“

Anton Mayr in den Pidinger Werkstätten
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Anton Mayr arbeitet seit 20 Jahren in der Schreinerei der Pidinger Werkstätten und weiß genau, worauf es bei seiner Arbeit ankommt.

Viele haben falsche Vorstellungen über die Fähigkeiten von Menschen mit Behinderung, insbesondere wenn es um Arbeit geht. Ein weit verbreitetes Missverständnis ist, dass sie nicht in der Lage seien, produktiv zu sein oder keinen Beitrag zur Arbeitswelt leisten könnten. Diese Vorurteile sind jedoch weit von der Realität entfernt, wie ein Besuch in den Pidinger Werkstätten beweist.

Piding – Die Räumlichkeiten der Pidinger Werkstätten kennen wohl die meisten vom beliebten Christkindlmarkt. Doch wie sieht dort der Alltag aus? Wie arbeiten die Menschen und was wird alles produziert? Während ich mich als Besucherin am Eingang anmelde, kommt mir ein junger Mann mit Rucksack und Bergschuhen entgegen. Er mustert meinen Rucksack und meine Sneakers und fragt freundlich: „Und, geht’s auch zum Wandern?“ Leider nicht, und wir müssen beide über unsere ähnlichen Outfits lachen.

Da kommt auch schon Florian Huber hinzu, der mich an dem Tag durch die Werkstätten führen wird. Er klärt mich darüber auf, dass es für die Mitarbeiter ein umfangreiches arbeitsbegleitendes Kursprogramm gibt. Neben sportlichen Betätigungen wie Wandern, Schwimmen und Gymnastik können sich die Mitarbeiter auch künstlerisch beschäftigen oder ihr Lesen, Rechnen und Schreiben verbessern. Jeder Mitarbeiter kann zwei der 47 Kurse belegen. Finanziert wird das Kursprogramm aus Spenden. Zudem existiert für jeden Mitarbeiter ein spezieller Förderplan. Dort wird der Ist-Zustand evaluiert und ein komplexes, individuelles Förderprogramm mit Zielen erstellt. Die Entwicklung des Mitarbeiters wird regelmäßig dokumentiert.

Die Pidinger Werkstätten der Lebenshilfe BGL (PWLH) gibt es seit 50 Jahren. Rund 260 Menschen mit Behinderung aus dem Landkreis Berchtesgadener Land arbeiten hier und erfahren dabei berufliche Förderung und Bildung. Neben der beruflichen Rehabilitation handeln die Pidinger Werkstätten auch unternehmerisch. Den Mitarbeitern stehen Arbeitsplätze in verschiedenen Bereichen zur Verfügung: Dienstleistungen, Holz, Metall, Küche, Hauswirtschaft, Wäscherei, Schon- und Fördergruppe sowie ausgelagerte Arbeitsplätze.

Die Arbeit wird in einzelne Schritte zerlegt

Doch nun wollen wir uns die Arbeitsplätze genauer ansehen. Florian Huber erklärt, dass es viele verschiedene Arbeitsgruppen gibt, und führt mich in den ersten Raum der Produktion. Hier wird eine Sauglanze, ein Medizinprodukt, hergestellt. Mit ihr werden Flüssigkeiten aus Behältern gesaugt. Die Mitarbeiter sitzen konzentriert an mehreren Tischen, jeder ist für einen bestimmten Arbeitsschritt zuständig.

„Normalerweise macht so etwas eine einzige Person. Wir zerlegen die Arbeit in Einzelschritte, um Menschen die Teilhabe zu ermöglichen. Die Menschen haben damit eine Arbeit, der sie gewachsen sind“, sagt Huber. Klar ist, dass hier alles hygienisch sauber verarbeitet sein muss. In jedem Arbeitsbereich gibt es mehrfache Qualitätskontrollen. Das gesamte Unternehmen arbeitet mit einem zertifizierten Managementsystem.

Florian Huber von den Pidinger Werkstätten

In jeder Arbeitsgruppe sind Menschen mit ganz verschiedenen Beeinträchtigungen

Ein Aufnahmekriterium bei den Pidinger Werkstätten ist ein „Mindestmaß an wirtschaftlicher Arbeit“. Das bedeutet, dass ein gewisser wirtschaftlicher Beitrag vom Mitarbeiter geleistet werden muss. Je nach Behinderung fällt dieser jedoch ganz unterschiedliche aus. „Wir haben auch einfachste Arbeiten für stark Beeinträchtigte“, betont Huber. Es gibt verschiedene Arbeitszeitmodelle, auch Teilzeit und solche mit mehr Ruhepausen.

Die Arbeitsgruppen werden immer so gemischt, dass Mitarbeiter aus allen Arten von Behinderung dabei sind. Jede Gruppe wird von Fachkräften geleitet und begleitet, die Handwerksmeister oder Gesellen mit einer zweijährigen Zusatzausbildung in Sonderpädagogik sind. 60 dieser Fachkräfte gibt es im gesamten Unternehmen.

Nach einem Jahr Berufsbildung folgt die Vertiefung

Im nächsten Raum stoßen wir auf die Verpackungsgruppe. Hier werden vor allem Salzprodukte der Reichenhaller Saline als Dienstleistung verpackt. Eine junge Frau versiegelt eine Salzdose mit einem Aufkleber. Das Siegel muss hierbei auf eine ganz bestimmte Position. Ganz schön knifflig, aber die Dame meistert das mit Bravour. Sie erzählt, dass sie zunächst im BBB war und nun sehr gerne diese Arbeit macht. Der BBB (Berufsbildungsbereich) umfasst ein Jahr, in dem die Mitarbeiter die gesamten Arbeitsbereiche kennenlernen. Im Anschluss folgt der Vertiefungsbereich, bei dem man sich auf eine Arbeit spezialisiert.

Die Mitarbeiter bestücken Verkaufsdisplays der Saline (links) und versiegeln einzelne Produkte (rechts unten). Die Sauglanze (rechts oben) wird in Einzelschritten hergestellt.

Mehrere Kollegen der jungen Frau bestücken währenddessen Verkaufsdisplays mit verschiedenen Gewürzsalzen und prüfen, ob diese richtig verklebt sind. Als Anleitung dient hier ein Packschema mit verschiedenen Farben. Zusätzlich gibt es auch immer Arbeitsanweisungen mit unterstützter Kommunikation, also mit Bildern, für die, die nicht lesen können. Ein weiterer Mitarbeiter labelt die bestückten Kartons und stapelt sie auf einem Wagen. Daneben verpackt ein junger Mann Holzaufsteller für Brauereien, die in der hauseigenen Schreinerei gefertigt wurden, und stellt sie gemäß einem Stapelplan auf eine Palette.

Hohe Arbeitssicherheit bei den Maschinen

Wir marschieren ins gegenüber liegende Gebäude zum Fachbereich Holz. Ein bisschen mulmig wird mir anfangs bei dem Gedanken schon, dass die Menschen hier mit Geräten arbeiten, an denen sie sich verletzten könnten. „Wir haben eine sehr hohe Sicherheitsquote“, beruhigt mich Florian Huber. „Die Maschinen werden von der Fachkraft eingestellt und die Mitarbeiter werden genau unterwiesen.“ Der Maschinenraum ist wie eine reguläre Schreinerei ausgestattet, nur sind die Arbeitsplätze ergonomisch angepasst und die Maschinen haben zusätzliche Schutzvorrichtungen. Auch hier geht es hochprofessionell zu.

An der Leimstation treffen wir Anton Mayr. „Ich bin seit über 20 Jahren in der Schreinerei. Ich habe Übung und weiß, worauf ich schauen muss“, versichert er und demonstriert geschickt, was er gerade zu tun hat. Wir gehen zur nächsten Halle. Dort sitzt Manuel Rödding an einer Werkbank und klebt Teile in einen Holzrahmen. Ihm mache die Arbeit Spaß, sagt er. In der Auslieferungshalle kann man die vielen Produkte sehen, die in der Schreinerei gefertigt werden, vom Holzlattenrost über Aufsteller bis hin zu Blumenkästen für den Baumarkt.

Manuel Rödding im Fachbereich Holz

Überall wird fleißig angepackt

Weiter geht es zur Spezialgruppe Briefmarken – ein Paradies für Sammler. Die Marken werden ausgeschnitten, vom Umschlag gelöst, sortiert, in Mischbeutel verpackt und schließlich im Laden verkauft. Regelmäßig schaut auch ein Profi die Marken durch und geht mit einer Auswahl zu Auktionen. Neben der Gruppe steht schon der nächste Mitarbeiter, der mit der Erstellung des Speiseplans beschäftigt ist. Ein Zimmer weiter werden Werkzeugtaschen mit Hilfe eines Bildplans bestückt.

Die Briefmarken werden nach verschiedenen Kriterien sortiert.

Beim Fachbereich Metall angekommen, prüft ein Mann hochkonzentriert, sehr schnell und mit geschickten Handgriffen die zusammengesetzten Teile für eine Textilmaschine. Ich bin beeindruckt. Die Wäscherei fällt in den Hygienebereich, daher schauen wir den Mitarbeitern nur durch ein Glas aus einiger Entfernung zu. Auch in der Küche herrscht reges Treiben, weil später noch 100 Gäste erwartet werden. Sie haben ehrenamtlich beim Christkindlmarkt mitgeholfen und sollen nun ein Dankeschön erfahren.

Das Entgelt liegt unter dem Mindestlohn

Die Mitarbeiter der Pidinger Werkstätten arbeiten aber nicht nur hier oder in der Zweigstelle Anger. Es gibt auch ausgelagerte Arbeitsplätze, bei denen Firmen die Arbeitsleistung zur Verfügung gestellt wird – quasi ein Leiharbeitermodell. Auch schaffen es immer wieder Mitarbeiter direkt auf den sogenannten regulären Arbeitsmarkt.

Florian Huber erklärt, dass der Verdienst in den Werkstätten unter dem Mindestlohn liegt. „70 Prozent von dem, was wir erwirtschaften, müssen wir in Löhnen auszahlen. Die Vergütung ist ein ergänzendes Zugeld zu dem Geld aus den Sozialtöpfen.“ Ein Highlight sei jedoch, dass die Mitarbeiter sozialversicherungspflichtig angestellt sind. Die Rentenversicherung richte sich hierbei nicht nach der eigentlichen Vergütung, sondern nach dem bundesdeutschen Durchschnittsgehalt.

Während mein Besuch zu Ende geht und wir zum Ausgang über den Hof schlendern, gehen die ersten Mitarbeiter in Mittagspause. Mein Eindruck: Die Atmosphäre ist angenehm, alle gehen herzlich und respektvoll miteinander um. Die Menschen sind motiviert und stolz auf das, was sie leisten. Und das dürfen sie auch sein. Hier geht es nicht nur um Teilhabe, sondern auch um professionelle Arbeit. Ein Wermutstropfen bleibt, und das ist das geringe Entgelt. Hier ist der Gesetzgeber gefordert, Menschen mit Behinderung zu ermöglichen, ihren Lebensunterhalt durch ihre berufliche Tätigkeit auch selbst finanzieren zu können und ihnen damit auch die nötige Wertschätzung für ihre Leistung entgegenzubringen.

mf

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