Nach Entdeckungen bei Betrieben der Molkerei Berchtesgadener Land
„Raus aus dieser Tierqual, raus aus diesem Leid“: Animal Rights Watch vertritt klare Haltung
Mit ihrem Video zur Molkerei Berchtesgadener Land hat Animal Rights Watch (Ariwa) für Aufsehen gesorgt. Die Agrarreferentin des Tierschutzvereins, Scarlett Treml, gibt Einblicke in die allgemeine Arbeit der Aktivisten, wie die Aufnahmen zu den vier Betrieben der Molkerei entstanden sind und warum „Cem Özdemir nicht nur den Wählerwillen, sondern vor allem den Schutz von Tieren mit Füßen tritt“. Auch ein Rosenheimer Ariwa-Mitglied vertritt eine klare Meinung und fordert, das Verhältnis von Menschen zu Tieren neu zu denken.
Piding - Vergangene Woche waren die Aktivisten damit an die Öffentlichkeit gegangen, dass ihr Aufnahmen aus 16 Ställen in Bayern und Baden-Württemberg vorliegen, welche langanhaltende Schmerzen und Leiden bei der Anbindehaltung von Rindern dokumentierten. Zuerst war nur von mehreren Betrieben mit Schildern und Milchtransportern bekannter Molkerei-Unternehmen sowie eines Bio-Verbandes die Rede. Vor wenigen Tagen wurde es konkreter, als Ariwa in einem Instagram-Video die Molkerei Berchtesgadener Land mit schlechten Haltungsbedingungen in vier Bauernhöfen konfrontierte, woraufhin die Firma umgehend reagierte.
Wie der Tierschutzverein erklärt, werden ihm die Aufnahmen meistens zugeschickt. „Wir prüfen, wie valide das Material der Whistleblower und Rechercheaktivisten ist, ob sich zum Beispiel an der genannten Adresse wirklich ein landwirtschaftlicher Betrieb befindet. Dann bereiten wir alles vor und veröffentlichen die Informationen“, schildert die 34-jährige Agrarreferentin Scarlett Treml. Auch für sie war es „interessant, dass ein Milchtransporter einfach mal verfolgt worden ist, um zu schauen, wo hält der denn überall“. Das sei schließlich nichts Verbotenes und habe sich vermutlich einfach spontan und zufällig so ergeben.
Großes Einzugsgebiet der Molkerei
Wo genau die Bilder und Videos entstanden sind und ob diese auch tatsächlich dort aufgenommen wurden, wie es in dem Instagram-Beitrag von Ariwa behauptet wird, lässt sich aus Sicht der Redaktion nicht sicherstellen und überprüfen. „Wir kriegen das nur zugespielt, die Namen halten wir geheim“, so Treml. Und auch die Molkerei gibt nur bekannt, dass die vier Betriebe nicht im Berchtesgadener Land liegen, aber Mitglieder sind. Das Milcheinzugsgebiet erstrecke sich von Garmisch-Partenkirchen im Westen bis ins Salzburger Land im Osten. „Bitte haben Sie Verständnis, dass wir nicht konkreter werden“, teilt eine Sprecherin des Unternehmens mit.
Sich auf fremde Grundstücke zu begeben oder in Gebäude einzudringen, bringt natürlich auch juristische Folgen mit sich. „Jede Tierrechtsorganisation hat immer wieder damit zu tun, weil einem dann Hausfriedensbruch vorgeworfen wird. Das kommt durchaus vor“, sagt Treml, die damit aber keine Erfahrungen hat, da sie erst seit vier Monaten bei Ariwa als Referentin tätig ist.
„Durch das Unternehmen getäuscht“
Die Reaktionen auf das Video zur Molkerei Berchtesgadener Land fallen auf dem Instagram-Kanal von Ariwa überwiegend positiv aus. Treml: „Es gibt immer wieder Menschen, die sich angegriffen fühlen, wenn man sie mit Wahrheiten konfrontiert. Aber im Fall der Molkerei sind die meisten einfach nur sauer: nicht aus uns, sondern auf die Märchen, die ihnen vorgespielt werden.“ Viele User wären enttäuscht und fühlen sich als Verbraucher durch das Unternehmen auch getäuscht.
„Die Industrie gaukelt uns mit Bildern auf den Verpackungen, mit Kühen auf großen Weiden, etwas vor. Die meisten Tiere stehen angekettet den Großteil ihres Lebens nur im Stall und fristen ein Dasein wie Geister“, erzählt die 34-Jährige und verweist auch auf die körperlichen sowie seelischen Schmerzen, welche die Tiere erleiden würden.
Wie Max Weiß Mitglied wurde
Das Tierleid war auch einer der Gründe, weshalb sich Max Weiß dazu entschieden hat, Tierschutzaktivist zu werden und sich nur noch vegan zu ernähren. Der 38-Jährige ist Mitglied der Rosenheimer Ortsgruppe von Ariwa, die laut Treml nichts mit den Veröffentlichungen zur Molkerei zu tun hatte. Er arbeitet mittlerweile Vollzeit bei der Organisation Plantbasedtreaty. „Ich war lange Zeit Vegetarier und habe Milch- sowie Eiprodukte weiter konsumiert“, erklärt Weiß. Es waren mehrere Momente und Phasen, die zu einem Umdenken geführt haben.
Der 38-Jährige war lange Zeit im Ausland auf Reisen und erlebte dort wilde Tiere hautnah. Dann wohnte er mehrere Monate auf einem „Demeter“-Bauernhof. „Ich merkte, dass hier etwas nicht stimmt. Als ich sah, wie ein neugeborenes Kalb sofort von seiner Mutter getrennt wurde und welch tristes Leben die Schweine führen mussten, da fragte ich mich: Und das soll ,Demeter‘-Qualität sein?“ Schlussendlich fiel der Groschen, nachdem sich Weiß ein Video von einem veganen Influencer angeschaut hatte.
Vegane Ernährung polarisiert
Seitdem versucht er unter anderem bei Infoveranstaltungen auf die ökologischen Auswirkungen der Tierhaltung aufmerksam zu machen. Ihm fällt auf, „dass das Thema vegane Ernährung immer mehr von Konservativen und Rechten benutzt wird, um zu polarisieren“. Dabei sei die wissenschaftliche Faktenlage eindeutig, was die negativen Auswirkungen zum Beispiel beim CO₂-Ausstoß angehe.
„Wir müssen unser Verhältnis zu Tieren neu denken“, fordert er. Ein wichtiges Anliegen ist ihm unter anderem der Verzicht auf die Anbindehaltung. „Ich wohne in einem kleinen Dorf und bekomme tagtägliche die ganzjährige Anbindehaltung mit. Ich will den Menschen verdeutlichen, wie groß das Leiden der Tiere durch dieses Haltungssystem ist. Wenn wir als Menschen auch nur einen Tag so leben müssten wie die Tiere, würden wir verrückt werden“, ist sich Weiß sicher.
Die Kritik an der Anbindehaltung
Auch für Scarlett Treml kann es beim Thema Anbindehaltung keine zwei Meinungen geben. „Eigentlich dürften wir über eine solche Art der Haltung gar nicht mehr sprechen, weil klar sein sollte, dass sie gegen diverse Paragrafen im Tierschutzgesetz verstößt“, betont sie. Es sei auch nicht der richtige Weg, die Tiere in alternative Haltungssystem wie den Laufstall hineinzupferchen, da dieser ganz andere Probleme mit sich bringe und ebenfalls nachweislich mit Leid verbunden sei. „Die einzige Lösung aus unserer Sicht: Raus aus dieser Tierqual, raus aus diesem Leid! Ganz aussteigen aus diesem Weg und umsteigen auf den Pflanzenbau, den massiven Ausbau der pflanzlichen Landwirtschaft und damit der pflanzlichen Agrar- und Ernährungswende.“
Und es fehlt das Bekenntnis dazu, dass wir jetzt wirklich schnell in die Alternativen sehr viel Geld und Forschung stecken müssen.
Treml findet, dass es vor allem am politischen Willen dazu fehlt, Landwirte bei diesem Umstieg zu helfen. „Und es fehlt das Bekenntnis dazu, dass wir jetzt wirklich schnell in die Alternativen sehr viel Geld und Forschung stecken müssen.“ Es brauche Aufklärungskampagnen, um die gesellschaftliche Akzeptanz für den Umstieg zu erreichen. „Damit auch die Leute die Probleme und die Lösungen dafür verstehen. Aber da ist leider immer noch die Industrie am stärkeren Hebel mit ihren manipulativen Werbungen.“
Das Unverständnis über die neuen Tierschutzgesetze
Auch wenn die neuen Tierschutzgesetze noch nicht endgültig verabschiedet sind: Der Entwurf und die Haltung des Grünen-Bundeslandwirtschaftsministers Cem Özdemir stieß den Aktivisten sauer auf. „Mit der Entscheidung, die tierquälerische Anbindehaltung weitere zehn Jahre zu erlauben, tritt Cem Özdemir nicht nur den Wählerwillen, sondern vor allem den Schutz von Tieren mit Füßen.“ Dass sowohl Molkerei-Unternehmen wie Schwarzwaldmilch als auch der gesamte Lebensmitteleinzelhandel untätig blieben, zeige, dass diese Industrie nur auf eines ausgelegt sei: Profitmaximierung.
Treml findet: „Damit muss endlich Schluss sein. Anstatt die Verantwortung rückgratlos in die nächste Regierung abzuschieben, muss der Bundeslandwirtschaftsminister die Anbindehaltung im Zuge der anstehenden Tierschutzgesetz-Novelle in allen Formen umgehend untersagen.“ Nur weil die Politik „schläft und keinen Innovationen voranbringt, um den Landwirten Alternativen anzubieten“, sollte das Thema Anbindehaltung nicht auf dem Rücken der Tiere ausgetragen werden.
Wie sieht es mit der Dialogbereitschaft aus?
Auf die Frage, warum Ariwa nicht einfach auf die betroffenen Landwirte und die Molkerei Berchtesgadener Land zugegangen ist, um den Dialog zu suchen und auf die Probleme hinzuweisen, erzählt Treml: „Es war eine bewusste Entscheidung, dass wir das nicht machen. Wir haben ja auch Betriebe aufgedeckt mit ,Naturland‘-Logo, also Deutschlands zweitgrößtem Bio-Verband, wo wir genau dasselbe Problem entdeckt haben wie bei der Molkerei.“ Sie habe Naturland angeschrieben und auf die Entdeckungen hingewiesen, doch keine Antwort erhalten.
In der Vergangenheit machte sie schon mehrmals die Erfahrungen, dass ein Dialog zu nichts führe. „Dann geben die einem Zahlen und stellen dar, wie nachhaltig sie doch sind und wie wichtig ihnen Tierwohl ist. Aber die werden sich niemals auf ein Gespräch auf Augenhöhe mit uns einlassen, um mit uns wenigstens ein Gedankenexperiment zu machen, was denn wäre, wenn die Werke umgestellt werden.“
Doch wenn das Unternehmen oder die Landwirte ein offenes Gespräch und Dialogbereitschaft auf Augenhöhe zusichern, dann würde sich Ariwa dem auch nicht verwehren. „Da würde ich, da würden wir nicht Nein sagen“, betont Treml.

