Rinder-Haltung der Zukunft
„Tier-Schinderei“: Droht im Streit mit Berlin das „Ende der Landwirtschaft“ in der Alpenregion?
Der Kompromiss für die Rinderhaltung der Zukunft steht: Die Kombi-Haltung bleibt – aber nur mit Auslauf auch im Winter. „Unmöglich“, sagen Landwirte im Alpenvorland. Ein Ortsbesuch.
Altenau – In Altenau im Kreis Garmisch-Partenkirchen steht ein Wirtshaus, das bekannt ist, weil es die Bürger vor Jahren selbst wieder aufgesperrt haben. In Altenau steht die Kirche St. Anton, deren Glocken laut und mächtig läuten. Und in Altenau steht an jeder Ecke ein Bauernhof, prächtige, kleine Bauten, oft Jahrhunderte alt. „Das hier ist wirklich noch eine heile Welt“, sagt Klaus Solleder, Kreisobmann des Bauernverbands. Er kommt aus dem benachbarten Unterammergau und – so groß das klingen mag – er sieht diese heile Welt bedroht.
Erster Gesetzentwurf war Katastrophe für Landwirte
Für die Landwirte war ein erster Gesetzesentwurf zum Thema Tierschutz aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium eine Katastrophe. Sie haben protestiert und argumentiert. In Berlin errangen sie einen Teilerfolg. Die Kombinationshaltung, bei der die Kühe im Winter im Stall stehen und im Sommer auf die Weide getrieben werden, bleibt (wir berichteten). Doch damit ist die kleinteilige Landwirtschaft im Alpenraum noch nicht gerettet. Jetzt versuchen die Bauern mit allen Mitteln, einen zweiten Absatz aus dem Papier zu streichen. Im Winter, so steht es da, sollen die Kühe zweimal in der Woche Auslauf erhalten. Unmöglich, sagen die Bauern. Bleibt die Novellierung, fürchten sie in Altenau und drumherum, müssten viele Betriebe mit Kombinationshaltung aufgeben.
Ein Besuch bei Josef Niklas, Landwirt aus Altenau. 18 Kühe versorgt er. Genau der Durchschnitt im Kreis Garmisch-Partenkirchen pro Hof. 400 Milchviehbetriebe gibt es in der Region, die meisten in Kombinationshaltung. Im Dorf sind es sieben von zehn mit Sommerweidehaltung. So nennen’s die Landwirte lieber. Weil das freundlicher klingt, und näher dran an der Realität sei. „Jahrtausende alt. Eine hoch artgerechte Tierhaltung“, sagt Stefan Gabler, Leiter des Amts für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Weilheim. Im Oberland haben sie sich alle zusammengeschlossen, das Amt, die Landwirte, die Verbände, Politiker über beinahe alle Parteien hinweg. Eine Allianz der Aufklärung soll das sein. Unter ihnen hat sich das Gefühl breitgemacht: Diejenigen, die da über sie entscheiden, wüssten gar nicht, wie die Realität am Alpengürtel aussieht.
„Die reißen sich ja einen Haxen ab, wenn’s glatt ist“
Die Region zwischen Berchtesgaden und Oberstdorf ist geprägt von kleinen Betrieben, die ihre Kühe auf Almen und Weiden treiben, für die Landwirtschaft Tradition, Kultur und Idealismus ist. Der Süden des Landes mit seinen Postkarten-Motiven sieht so aus, weil es sie gibt, sagen sie dort. Wer kümmere sich sonst um die Wiesen und Almen? 30 Hektar Grünland bewirtschaftet Josef Niklas. Elf seiner Rinder hat er bereits ausgetrieben auf die Weide, die er sich mit neun Bauern teilt. Geht das Gesetz durch, hat der Mann ein Problem. Auf seinem Bauernhof fehlt der Platz für Auslauf im Winter. Er müsste die Kühe dann auf die Straßen des Ortes leiten. Bei Schnee, bei Eis und gegen ihren Willen. „Die reißen sich ja einen Haxen ab, wenn’s glatt ist“, sagt Josef Niklas.
Auf seinem Hof haben sich die Wahrer der hiesigen Landwirtschaft getroffen, Bürgermeister, Landräte, Vertreter vom Amt, Landwirte. Regina Schuster, Gemeinderätin und Bäuerin aus dem kleinen Schöffau, berichtet von ihrem Biohof. Dort dürfen die Kühe auch im Winter raus, dort ist aber auch genug Platz. „Die gehen schon raus, aber noch lieber wieder rein. Man hat vergessen, den Kühen zu sagen, dass sie Winterauslauf toll finden sollen. Sie wollen im Winter nicht unbedingt Kuhjogging machen.“ Noch dazu würden sich Tiere in (höchst natürliche) Rangkämpfe verwickeln. Für die Bauern, viele im Nebenerwerb, würde das viele Stunden Mehrarbeit bedeuten jede Woche. Nicht zu vergessen die Gefahr für Tiere auf Eis. „Eigentlich ist das Tier-Schinderei“, sagt Klaus Solleder, der Bauern-Obmann.
Kosten von 600.000 Euro
Also werden sie wieder nach Berlin schreiben. Sie werden sich bedanken für das Entgegenkommen. Sie werden aber auch sagen, dass es mehr Änderungen braucht. Die Alternative hieße: Höfe umbauen, Laufställe errichten. Bei einem Betrieb von Josef Niklas’ Größe bedeutet das Kosten von mindestens 600 000 Euro. Amtsleiter Stefan Gabler sagt: „Das wäre das Ende der Landwirtschaft.“