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„Man kann nur schützen, was man kennt“

Markus Leitner auf Tuchfühlung mit Geiern und Gämsen: Der ‚Adlergraf‘ des Nationalparks Berchtesgaden

Mit einer großen Kamera sieht Wildtierfotograf Markus Leitner deutlich mehr. Trotzdem muss er die bis zu 30 Kilogramm schwere Foto- und Alpinausrüstung rauf- und runtertragen.
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Mit einer großen Kamera sieht Wildtierfotograf Markus Leitner deutlich mehr. Trotzdem muss er die bis zu 30 Kilogramm schwere Foto- und Alpinausrüstung rauf- und runtertragen.

Markus Leitner, bekannt als der 'Adlergraf', dokumentiert das Leben der Greifvögel im Nationalpark Berchtesgaden. Seine Arbeit ist eine Mischung aus Geduld, Faszination und Respekt für die Natur. Doch es ist nicht immer einfach, die wilden Tiere zu fotografieren.

Berchtesgadener Land/Ramsau – Markus Leitner lebt, was er fotografiert: wilde Berge, scheue Tiere, stille Augenblicke. Mit Kamera und Fernglas durchstreift der “Adlergraf” den Nationalpark Berchtesgaden und dokumentiert die letzten großen Greifvögel sowie Gämsen in ihrer ursprünglichen Welt. Ein Gespräch über das Warten, das Staunen – und warum man Natur nur schützen kann, wenn man sie wirklich kennt.

Herr Leitner, Sie sind leidenschaftlicher Bartgeier-Beobachter und regelmäßig im Nationalpark Berchtesgaden unterwegs. Vergangenes Jahr wurden Vinzenz und Wiggerl ausgewildert. Welche besonderen Momente konnten Sie mit ihnen – mit der Kamera – erleben?
Markus Leitner: Ich war zweimal ganz nah dabei und durfte bei der Auswilderung für Hansruedi Weyrich einspringen, der sonst für die Vulture Conservation Foundation fotografiert, aber damals bei den Braunbären in Alaska war. Die Tage waren spannend, aber auch sehr fordernd, weil erstmals Markus Söder samt großem Medienrummel anwesend war. Am Vorabend habe ich in Toni Wegscheiders dunkler Garage fotografiert, wie wir die Federn der beiden Geierbuben für die Wiedererkennung im Flug blondiert und die Sender anprobiert haben. Am nächsten Morgen folgten die Veranstaltung am Klausbachhaus, der Aufstieg mit den Geiern bei schweißtreibender Hitze hinauf in die Halsgrube und schließlich die Auswilderung. Besonders dramatisch war der 30-Meter-Absturz von Wiggerl bei einer Rangelei mit Vinzenz. Weil er noch nicht flugfähig war und in der Steinschlagzone saß, haben wir kurzerhand ein Rettungsteam organisiert, ihn eingefangen und zurückgetragen. Am 30. Juni konnte ich schließlich Wiggerls ersten Flug filmen – ein einzigartiger Moment, zumal er bei der Landung gleich von einer Gamsgeiß attackiert wurde.

Der im Baum sitzende Reichenhaller Gänsegeier „Hänsel“ wird vom revierinhabenden Mäusebussard attackiert, dem der riesige Besucher nicht wirklich geheuer ist.

Sie verbringen jede freie Minute in der Natur, oft allein. Was fasziniert Sie nach all den Jahren noch immer an dieser zeitintensiven Art der Fotografie?
Leitner: Das Spannende ist, dass trotz aller Erfahrung nichts planbar ist. Jeder Moment bleibt unverfälscht echt. Gerade in unserer digitalen Welt ist das eine intensive Erfahrung für alle Sinne. Ich muss mir alles selbst erarbeiten – es gibt keine Abkürzungen, keine inszenierten Szenen wie im Zoo oder an Futterstellen, wo alle Fotografen dieselben Bilder machen.

Haben Sie bei Ihren Exkursionen ein konkretes Motiv im Kopf oder lassen Sie sich treiben?
Leitner: Ich genieße in erster Linie die Ruhe in der Natur, habe aber immer den großen 80-Liter-Rucksack samt Kamera dabei. Natürlich plane ich auch, wo ich zu welcher Zeit sein sollte. Jahreszeit, Wetter, Licht, Temperatur und Wind beeinflussen das Verhalten der Tiere enorm. Wer ernsthaft Wildtiere fotografieren will, sollte sich intensiv mit ihnen beschäftigen. Schon aus Respekt – denn ein gutes Bild rechtfertigt niemals, dass man das natürliche Verhalten stört.

Wie oft waren Sie im vergangenen Jahr unterwegs?
Leitner: Meine GPS-Uhr zeigt 138 aufgezeichnete Bergtouren, vermutlich waren es sogar noch ein paar mehr. Manchmal war der Akku leer oder ich habe vergessen zu tracken.

Besonders dramatisch war der 30-Meter-Absturz von Wiggerl bei einer Rangelei mit Vinzenz. Weil er noch nicht flugfähig war und in der Steinschlagzone saß, musste er eingefangen und zurückgetragen werden.

Sie tragen den Spitznamen „Adlergraf“. Was verbindet Sie mit diesem Begriff?
Leitner: Der ursprüngliche Adlergraf war Max Graf von Arco-Zinneberg, der vor etwa 175 Jahren junge Adler aus Horsten holte. Diese Aushorstungen wurden in Tonlithografien dokumentiert, und an einigen dieser Horste brüten Adler bis heute. Das zeigt, wie alt diese Standorte sind. Der Name Adlergraf ist für mich ein Symbol: Er steht für den Wandel von der Ausrottung zum Artenschutz. Ich selbst fotografiere vor allem Steinadler und versuche, den Menschen über meine Bilder Respekt und Faszination für diese Tiere zu vermitteln. Und um zu schützen, muss man die Natur erst einmal kennen – deshalb verwende ich oft den Hashtag #dukannstnurschützenwasdukennst.

Kürzlich hatten Sie ein besonderes Erlebnis mit einem jungen Adler. Was ist passiert?
Leitner: Ich fotografierte gerade einen Mauerläufer in einer Felswand, als plötzlich ein junges Adlerweibchen im Sturzflug wenige Meter über meinen Kopf hinwegsauste. So nah, dass ich den Luftzug spürte und sogar ihren Geruch wahrnahm. Im Bild sieht man später noch das Blut der Gams, die sie kurz zuvor gerissen hatte. Ein Erlebnis, das sich tief einprägt.

Sie sagen, Adlerfotografie erfordere eine hohe Frustrationstoleranz. Warum?
Leitner: Die Reviere sind riesig, oft über 50 Quadratkilometer. Wilde Tiere folgen nicht unseren Regeln. Vieles hängt von Erfahrung ab – aber auch von Glück. Wer nicht bereit ist, bei Eiseskälte oder Hitze stundenlang draußen zu sein, wird oft enttäuscht. Aber das gehört dazu. Es geht nicht darum, immer Adler zu sehen – sondern draußen zu sein, sich anzustrengen und die Natur auf sich wirken zu lassen.

Warum hat der Steinadler trotz jahrzehntelanger Projekte im Nationalpark nie die Popularität des Bartgeiers erreicht?
Leitner: Der Steinadler war hier nie ganz ausgerottet, es gab immer versteckte Horste. Bartgeier hingegen galten als ausgestorben. Ihre Rückkehr berührt die Menschen emotional, zumal sie durch ihre Größe und friedliche Lebensweise faszinieren. Bartgeier wirken mit fast drei Metern Spannweite wie fliegende Dinosaurier. Außerdem bevorzugen viele Menschen symbolisch Tiere, die keine anderen Lebewesen töten – was zeigt, wie entfremdet wir vom Kreislauf des Lebens geworden sind.

Auch Mauerläufer haben Sie intensiv beobachtet. Was macht diese Vögel so besonders?
Leitner: Der Mauerläufer ist einzigartig: Er lebt in senkrechten und überhängenden Felswänden, wo selbst erfahrene Kletterer scheitern. Trotz härtester Bedingungen findet er dort Nahrung und versteckt sich perfekt getarnt in Felsspalten. Nur wenn er seine Flügel ausbreitet, leuchtet er wie ein rot-weiß-schwarzer Schmetterling. 2023 brüteten Mauerläufer unterhalb eines Adlerhorsts – die Anwesenheit der Adler schützte sie vor Feinden wie Sperber und Habicht, und die Adler profitierten davon, dass der Mauerläufer die vielen Insekten von der Beute aus dem Horst holt 

Der Auerhahn leidet vor allem durch die Klimaerwärmung am Lebensraumverlust, da alles schneller zuwächst, sein Nachwuchs aber sonnenbeschienene Freiflächen braucht.

Sie beobachten auch Gämswild. Was hat sich seit dem Wegfall des Jagddrucks verändert?
Leitner: Innerhalb weniger Wochen beruhigen sich Gams und Rotwild deutlich. Tiere, die vorher bei der kleinsten Störung flohen, bleiben plötzlich ruhig neben den Wegen stehen und grasen. Sie erkennen, dass Wanderer ungefährlich sind. Das zeigt, dass Verhaltensänderungen mindestens so wichtig sind wie reine Bestandszahlen.

Sie beschäftigen sich intensiv mit dem Gamswild-Monitoring...
Leitner: Ich glaube nicht, dass die absolute Stückzahl allein das Verbissproblem widerspiegelt. Viel wichtiger ist, wie Tiere sich verhalten. Weniger Jagddruck bedeutet weniger Stress, Tiere müssen nicht in unzugängliche Lagen ausweichen und fressen nicht notgedrungen junge Bäume. Schutzwälder könnten dadurch langfristig besser regenerieren. Wir sollten weniger ideologisch diskutieren und stattdessen offen, ehrlich und wissenschaftlich fundiert entscheiden.

Auf Ihren Social-Media-Kanälen erreichen Sie tausende Menschen. Was macht die Faszination Ihrer Bilder aus?
Leitner: Es geht mir nicht um das spektakulärste Foto, sondern um die Geschichte dahinter. Jedes Tier hat eine Persönlichkeit, besonders langlebige Arten wie Steinadler oder Bartgeier. Ich versuche zu zeigen, wie ihr Leben wirklich aussieht – auch, wie der Mensch positiv oder negativ darauf Einfluss nimmt.

Trägt Wildtierfotografie zum Naturschutz bei?
Leitner: Ja, auf jeden Fall. Menschen schützen nur, was sie kennen und wertschätzen. Aber Wildtierfotografie kann auch Schaden anrichten, wenn sie rücksichtslos betrieben wird. Deshalb mache ich keine geführten Touren, keine genauen Standortangaben und verzichte auf Effekthascherei.

Welche Pläne haben Sie für dieses Frühjahr?
Leitner: Steinadler bleiben mein Hauptfokus. Gerade beobachte ich ein Revier, in dem ein neues junges Weibchen aufgetaucht ist. Das alte Weibchen, 22 Jahre alt, lebt noch – sie hält sich aber eher am Rand auf. Wenn Zeit bleibt, beschäftige ich mich auch mit Uhus, Sperlingskäuzen, Raufußhühnern oder besonderen Gästen wie einem jungen Gleitaar, der kürzlich kurz bei uns Station gemacht hat. Es gibt immer etwas zu entdecken. (kp)

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