Lokal gedachte Nahversorgung der Zukunft
Automatisiertes Einkaufen in Berchtesgaden: Kommt das Pilot-Projekt für die Ortsmitte?
Nach dem Aus des letzten Nahversorgers in Berchtesgaden, plant Gemeinderat Hans Kortenacker einen personal-freien Vollsortimenter. Dieser soll ein normales Einkaufserlebnis bieten und lokal verankert sein. Doch wird die Bevölkerung diese neue Art des Einkaufens annehmen?
Berchtesgaden – Zwischen digitaler Innovation und dem Wunsch nach einem klassischen Einkaufserlebnis bahnt sich in Berchtesgaden eine neue Idee ihren Weg: ein kleiner, weitgehend personal-freier Vollsortimenter mitten im Ortszentrum – zugeschnitten auf die Bedürfnisse der Bevölkerung, betrieben nicht von einem Konzern, sondern im besten Fall lokal verankert. Nach dem Aus des letzten Nahversorgers im Ortszentrum will Gemeinderat und Unternehmensberater Hans Kortenacker (Bürgergruppe Berchtesgaden) diesen Ansatz weiterverfolgen. Unterstützung anderer Parteien gibt es.
„Man kann nicht erwarten, dass ein großer Händler dauerhaft große Jahresverluste in Kauf nimmt, um den Lebensmittelladen zu erhalten“, sagt Hans Kortenacker. Stattdessen brauche es nach dem Aus des einzig verbliebenen Lebensmittelmarktes eine pragmatische Lösung: ein kleines, aber gut sortiertes Geschäft mit einer überschaubaren Verkaufsfläche – nicht mehr. Der Markt von Berchtesgaden, so Kortenacker, müsse einladend wirken, ein normales Einkaufserlebnis bieten – ohne sterile Touchscreens oder Automatenzeilen. „Keine vier Waschmittel, sondern eben eines. Keine sechs Klopapiermarken, sondern zwei.“ Dafür aber frische Ware, wie Obst und Gemüse, ausgewählte Produkte – und eine Atmosphäre, die zum Wiederkommen einlädt.
Die Besonderheit: Das Konzept basiert auf maximaler Effizienz – fast alles läuft automatisiert. Zutritt erfolgt per Identifikation, etwa durch eine App oder ein Kartensystem. Kameras überwachen das Geschehen im Laden, der Einkauf wird digital erfasst, bezahlt wird am Self-Checkout. „Alles läuft DSGVO-konform“, betont Kortenacker, der seit mehreren Wochen mit Unternehmen im Gespräch ist, die solche oder ähnliche Geschäftskonzepte verwirklichen. Das System sei längst im Einsatz – in Großstädten, aber auch in Krankenhäusern, Stadthotels, in Firmenkantinen oder kleinen Bahnhofsshops.
Automatisiertes Einkaufen mit lokalem Charakter
Für Berchtesgaden müsse das Konzept freilich angepasst werden: keine Standardlösung, sondern ein Projekt mit lokalem Charakter. „Wir wollen kein Konkurrenzangebot zu bestehenden Geschäften schaffen“, sagt Kortenacker. Vielmehr gehe es darum, Nahversorgung dort zu ermöglichen, wo sie derzeit fehlt – in zentraler, aber bezahlbarer Lage. Eine B-Lage, etwa am Rathausplatz, sei denkbar. Derzeit läuft die Sondierungsphase: Drei mögliche Interessenten haben bereits ihr Interesse signalisiert. Auch passende Immobilien sind vorhanden. „Ich denke, dass es an der Immobilie nicht scheitern wird“, sagt der Gemeinderat. Was jetzt noch fehle, sei ein Betreiber – jemand mit Einzelhandelserfahrung, der das Projekt mit Überzeugung und lokalem Gespür umsetzt.
Kortenacker sagt, dass es ganz ohne Hilfe nicht möglich sein wird: „Wir als Gemeinde müssen unterstützend tätig werden.“ Zwar werde es einen Eigenbetrieb der Kommune in keinem Fall geben, wohl aber die Bereitschaft zu vernetzen, Prozesse zu begleiten und politisch Rückendeckung zu geben. Die Erstkalkulation wird in Kürze erwartet – und könnte die Weichen stellen für eine echte Alternative zum aktuell noch bestehenden Lebensmittelmarkt, der in wenigen Tagen schließen wird.
Zukunftsperspektiven und Herausforderungen
Bereits unmittelbar nach der Schließungsankündigung des Edeka-Markts in der Metzgerstraße hatte Kortenacker Kontakt zu zwei Projektverantwortlichen aus Hamburg und Lübeck aufgenommen, die auf 24/7-Shop-Konzepte spezialisiert sind. Gemeinsam wurde ein Ortsrundgang in Berchtesgaden unternommen, um potenzielle Standorte zu evaluieren. Im Anschluss daran fand ein Treffen mit Berchtesgadens Bürgermeister Franz Rasp im Rathaus statt, bei dem auch mehrere Gemeinderatsmitglieder anwesend waren. Für Grünen-Gemeinderätin und dritte Bürgermeisterin Iris Edenhofer ist die Fortführung einer lokalen Einkaufsmöglichkeit ein Herzensprojekt. Erst kürzlich hatte sie eine Unterschriftenaktion ins Leben gerufen - zum Erhalt eines Nahversorgers vor Ort.
Dass personal-freies Einkaufen die Zukunft sein wird, davon ist Kortenacker überzeugt. Doch er weiß auch: „Die große Frage ist, ob es die Bevölkerung annimmt.“ Denn nur wenn Akzeptanz, Bedarf und eine wirtschaftliche Tragfähigkeit zusammenkommen, könne ein solches Projekt gelingen. Den „kleinen, feinen Vollsortimenter“ sieht Hans Kortenacker nicht als Rückschritt, sondern als Modell mit Zukunft – gerade auch für die ältere Bevölkerung. Damit sie weiterhin im Herzen Berchtesgadens einkaufen kann – unkompliziert, wohnortnah und ohne auf den nächsten Großmarkt angewiesen zu sein. „Entweder wir probieren es – oder eben nicht“, sagt Kortenacker. Er hat sich für die erste Variante entschieden. (kp)
