Sichtungen in Freilassing, Salzburg und Ainring
Hund Max auf der Flucht: Neun Tage, drei Städte und eine unglaubliche Rettung
Der Albtraum eines jeden Hundebesitzers: Max ist erst wenige Tage bei Florian Zintl, als sich der Hund losreißt und abhaut. Neun Tage irrt er durch die Gegend, durch Salzburg, Freilassing und das Ainringer Moos. In der Zwischenzeit lassen Florian und Sabine Strobel nichts unversucht, um ihn zu finden. Es entwickelt sich eine unvorstellbare Suchaktion - mit einer überraschenden Wende, mit der niemand gerechnet hat.
Freilassing/Mitterfelden - Was Florian und Sabine zu erzählen haben, klingt fast schon zu unglaublich, um wahr zu sein. Selbst Tage später ist den beiden die nervenaufreibende Zeit noch anzumerken. Und irgendwie muss man dabei unweigerlich an den „Problemhund“ Buddy denken, dem im Tierheim schon ein dauerhafter Aufenthalt drohte. Alles beginnt an einem Sonntag, an dem es eigentlich einen Grund zur Freude gibt: Florians Freundin, die Tochter von Sabine, feiert ihren Geburtstag. Zu diesem Zeitpunkt ist der Pflegehund Max genau eine Woche bei dem 18-Jährigen. Er selbst hat zwar eine Hündin, aber sich um Pflegetiere zu kümmern, stellt für ihn ein Herzensanliegen dar.
Deshalb engagiert er sich im Tierschutz und kommt über den Freilassinger Verein Ankerhunde an den Rüden, der aus Kroatien stammt. Dort lebt er ein Jahr lang, wächst in einem Zwinger auf, eher er nach Deutschland gebracht wird. Für Florian ist es nicht der erste Pflegehund, doch er merkt schnell: „Er war ein richtiger Angsthund, der zitterte, kaum aktiv war und nur herumlag.“
Geschirr und Leine halten ihn nicht auf
Als der Vierbeiner von Sabine an diesem besagten Sonntag abgeholt und nach Freilassing gefahren wird, weil Florian noch arbeiten muss, passiert es: Auf der Autofahrt verkriecht sich Max so sehr unter dem Sitz, dass er nicht mehr herauszubekommen ist. Sie will ihn im Auto zur Ruhe kommen lassen, doch auf einmal steht er neben ihr. „Das Sicherheitsgeschirr samt Leine hing noch am Sitz, vermutlich durchgebissen. Er lief noch zweimal die Straße auf und ab, dann war er weg“, erinnert sich Sabine. Und nun beginnt das Abenteuer, dass nicht nur die beiden für neun Tage auf Trab halten wird.
Sie rufen beim Ankerhunde-Verein an, informieren die Tierschutzorganisation Tasso und die Polizei. Alles nimmt seinen Lauf, dabei ein steter Begleiter: die Angst. „Wir haben gedacht: Den kriegen wir erst wieder kriegen, wenn er zusammengefahren wird“, schildern sie. Max irrt durch Freilassing, wird im Bereich des TSV-Stadions gesehen, dann an der B20, im Zentrum, am Globus-Parkplatz und dann bei Perach. „Wir sind bei jeder Sichtung ins Auto gestiegen und losgefahren. An Feiern war nicht mehr zu denken“, berichtet Sabine.
Max irrt ohne Pausen durch die Gegend
Schon bald merken sie, dass es keinen Sinn macht, ihm hinterherzufahren. Max ist rast- und ruhelos, und jedes Mal, wenn sie nach einer Sichtung vor Ort ankommen, ist er schon weitergezogen. „Über Facebook haben wir den Hinweis bekommen, dass man bei Angsthunden ohne professionelle Hilfe keine Chance hat. Ich habe ja selbst Hunde, aber ich wusste auch nicht, dass sich entlaufende Hunde nach kürzester Zeit an niemanden mehr erinnern und sich im Flucht-Modus befinden“, so die Freilassingerin.
Sie stellen Kontakt her zu Andrea Streitwieser aus Tüßling, die sich unter anderem auf die Suche nach vermissten Tieren spezialisiert hat und ihnen während der gesamten Suchaktion mit wertvollen Tipps zur Seite steht. „Wir sollten an der Entlaufstelle bleiben, da es sehr wahrscheinlich ist, dass er dorthin zurückkehrt“, sagt Florian. Die Tüßlingerin fährt extra nach Freilassing und bringt eine große, schwere Lebendfalle mit. In der Zwischenzeit kochen Florian und Sabine eine Suppe mit Leberwurst, legen Spuren aus, bestücken die Falle mit Futter - alles noch an diesem besagten Sonntag, selbst als es schon stockfinster wird. Schlafen gehen kommt an diesem Tag für niemanden der Beteiligten infrage.
Nachts arbeiten, tagsüber suchen
In der Nacht meldet sich die Polizei mehrmals bei der Familie. Max wird erst am Penny-Parkplatz gesichtet, dann auf einem Feld und schließlich auf der B20, die sogar kurzzeitig seinetwegen abgesperrt wird. Als Sabine mit ihrem Hund am Montagmorgen in einem Waldstück in der Nähe unterwegs ist, taucht Max plötzlich vor ihnen auf. Er verschwindet wieder, doch hier hält er sich zwei Tage lang auf. Florian sucht sogar im strömenden Regen nach ihm und durchkämmt den Wald. Sie bauen eine Futterstelle auf, legen wieder Spuren, stellen Live-Kameras auf. „Ich hatte Nachtdienst und meine Tage sahen so aus: nachts gearbeitet und tagsüber nach dem Hund gesucht. Auch Flo hat vollen Einsatz gezeigt“, erläutert Sabine.
Es ist ein emotionales Auf und Ab: Bei jeder Meldung keimt Hoffnung auf, doch die Enttäuschung folgt vorerst auf Schritt und Tritt. Nach zwei Tagen erreicht sie nachts um 3 Uhr die Nachricht, dass er stadteinwärts in Richtung Freilassing läuft. Zwei Stunden später, um 5 Uhr, wird er an der letzten Tankstelle vor der Autobahn in Salzburg gesichtet. Sabine: „Ich hätte heulen können, als ich das gehört habe. Wir saßen richtig auf glühenden Kohlen.“ Packt er diese gefährliche Stelle? Kehrt er vielleicht sogar um? Die Nerven liegen blank.
Salzburg wird zum emotionalen Tiefpunkt
Dann, um 6 Uhr, folgt die Erleichterung: Max taucht an der Christian-Doppler-Klinik in Salzburg auf, also auf der anderen Seite der Autobahn. Florian schaltet die österreichische K9-Rettungshundestaffel ein und informiert die Salzburger Polizei, kontaktiert ein Tierheim und meldet sich bei mehreren Radiosendern. Dann ist Max plötzlich einen Tag verschwunden. Die Suchprofis aus Österreich beruhigen die beiden, verbreiten Zuversicht, bieten Halt. Sabine: „Emotional gesehen war Salzburg der Tiefpunkt.“ Auf einmal wird Max wieder gesehen: erst bei der Red Bull Arena und dann beim Casino in Klessheim.
Hier treibt er sich zwei Tage lang herum, ehe er in Richtung Klinik und Europark läuft. Auf einem Bauernhof in der Nähe wird er wieder entdeckt. Dort findet Florian sogar Fell von ihm - und baut die nächste Futterstelle auf. Der Erfolg bleibt weiterhin aus. In der Zwischenzeit notieren sich Florian und Sabine die Sichtungen, markieren sie auf einer Karte mit den jeweiligen Uhrzeiten und versuchen zusammen mit den Profis aus Österreich und Tüßling vorherzusagen, wo Max als Nächstes hinlaufen könnte.
Sogar Fremde helfen mit
Es beteiligen sich auch immer mehr Fremde an der Suchaktion, weil Sabine in zahlreichen Facebook-Gruppen darauf aufmerksam macht. Die Suchaktion wird hundertfach geteilt und verbreitet. „Personen, die wir nicht kannten, halfen stundenlang beim Spurenlegen oder verteilten die Flyer, von den wir über 400 Stück gedruckt hatten. Eine Frau kam sogar extra vom Chiemsee hierhergefahren, um zu helfen.“
Als der Hund wieder nicht mehr auftaucht, sinkt auch bei Florian die Zuversicht. „Ich dachte: Das war's, den kriegen wir nicht mehr. Wir wussten einfach nicht, wo er war.“ Doch Max taucht beim Siezenheimer Steg auf und spaziert wieder auf die deutsche Seite. Erst nähert er sich tatsächlich der Wohnung von Florian in Mitterfelden, doch dann dreht er in Richtung Freibad ab. Schließlich hält er sich mehrere Tage im Ainringer Moos, einem Moor-Gebiet, auf.
Neue Hoffnung im Ainringer Moos
Auch dort bauen sie wieder Futterstellen und Live-Kameras auf. Sie werden von Bienen und Stechmücken gestochen, arbeiten bis in die Dunkelheit hinein, trotz Gewitter. Seit einer Woche läuft die Suchaktion schon, und jetzt gibt es das erste Mal einen Hoffnungsschimmer: Max tankt bei einer Futterstelle neue Kraft und frisst etwas. „Schon in Salzburg wurde er bei den Sichtungen als klapperdürr bezeichnet, mit herausstehenden Knochen. Endlich hat er etwas gefressen“, denken sich Florian und Sabine.
Die Hoffnung ist groß, dass er zur Futterstelle zurückkehrt. In der Zwischenzeit informiert Sabine die örtlichen Jäger, damit der Hund nicht versehentlich mit einem Reh vertauscht und erschossen wird. Der nächste Hoffnungsschimmer: An einer Futterstelle bei Florians Wohnung fehlt etwas. War es Max? Oder doch nur eine Katze oder ein Marder? Jedenfalls liegt der Hund später auf einmal auf der B304 zwischen Freilassing und Teisendorf. Mitten auf der Fahrbahn, total kraftlos, die Autos fahren um das arme Tier herum. Natürlich kommen Sabine und Florian wieder zu spät, als sie vor Ort auftauchen - Max ist ihnen immer einen Schritt voraus.
Mit den Nerven und Kräften am Ende
Die Suchaktion zerrt auch an den Nerven und Kräften der beiden, doch sie geben nicht auf und machen immer weiter. Als Sabine wieder im Nachtdienst arbeitet, folgt die große Überraschung: Ihr Handy klingelt im Minutentakt, Max ist in der Nähe von Florians Haus. „Er hat mich angeschaut und ist dann im Gebüsch verschwunden“, erinnert sich der 18-Jährige. Trotz dieser ganzen Tortur und der erst kurzen Zeit bei Florian findet Max den Weg zu ihm zurück nach Mitterfelden. Doch das große Finale sollte erst noch folgen.
Sie wollen ihn in die Lebendfalle locken, die sie aus dem Ainringer Moos abgebaut und zu Florians Wohnung transportiert haben. Im nahen Kaufland-Geschäft fragen sie nach Hühnerfett als Lockmittel - als Unterstützung erhalten sie drei frische Brathendl. Die Falle wird präpariert, und dann heißt es, wie so oft bei dieser Odyssee: abwarten und hoffen.
Die Brathendl verschmäht
Erst wird Max nicht mehr gesichtet, doch dann, es dämmert bereits, taucht er wieder auf. Als würde er den Braten riechen, legt er sich neben die Lebendfalle. Die Spannung ist kaum auszuhalten, denn er geht - und kommt dann wieder. Er läuft schon in Florians Wohnung, entwischt aber. Doch beim zweiten Mal klappt es - dank einer List des 18-Jährigen.
Als dieser in die Wohnung hineinläuft, bemerkt er im Augenwinkel, wie ihm der Hund ins Innere folgt. Auf dem Balkon der Hochparterre-Wohnung warte seine Freundin, bis Max wirklich in der Wohnung ist, und gibt Florian Bescheid. Er springt vom Balkon, eilt um das Gebäude herum - und kann gerade noch rechtzeitig die Haustür schließen.
Nachbar verfolgt den Nervenkrimi
Ein Nachbar, der das Geschehen von seinem eigenen Balkon aus verfolgt hat, ruft dann ganz aufgeregt bei Sabine in der Nachtschicht an. Auch ihr Handy klingelt wieder im Minutentakt. Sie können ihr Glück kaum fassen, als die Odyssee endlich ein glückliches Ende genommen hat. „Uns ist eine riesige Last von den Schultern gefallen“, berichten sie.
Sehr dankbar sind sie für die Unterstützung, die sie die ganze Zeit erhalten haben: nicht nur von den fremden Helfern, sondern auch von den ehrenamtlichen Tierrettungsprofis aus Tüssling und Österreich. Auch die örtliche Rehkitzrettung half mit und stellte eine Wildkamera zur Verfügung. „Ohne die professionelle Hilfe hätten wir das nicht geschafft“, sind sich Florian und Sabine einig.
Dauerhaftes Zuhause gefunden
Und wie geht es Max inzwischen? Nach mehrere Infusionen beim Tierarzt und viel Schlaf erholt er sich immer mehr - und taut charakterlich richtig auf. „Das faszinierende ist: Er weicht nicht mehr von Florians Seite, ist total liebesbedürftig und schon deutlich zutraulicher geworden“, berichtet Sabine. Zurückhaltend und schüchtern ist er noch immer, das wird vermutlich auch immer so bleiben, aber der zitternde Angsthund ist nicht mehr wiederzuerkennen.
Auch der gelernte Fahrrad-Monteur, der sich momentan auf Jobsuche befindet, meint: „Er hat sich total verändert.“ Für ihn war schnell klar: Nach diesem Abenteuer kann und will er den Rüden nicht mehr hergeben. „Ich werde kein neues Zuhause für ihn finden, bei dem ich weiß, dass es ihm so gut geht wie bei mir.“
Der 18-Jährige hat schließlich alles nur erdenklich Mögliche für Max getan - und vielleicht hat der Vierbeiner genau deswegen den Weg wieder zurück gefunden. (ms)


