Autofrei, nachhaltig, vernetzt
Alpine Pearls – Berchtesgaden sagt leise Servus: Ein ambitioniertes Projekt mit ernüchternder Bilanz
Das Tourismusnetzwerk Alpine Pearls sollte für nachhaltigen Urlaub in den Alpen sorgen. Doch fast zwei Jahrzehnte später ziehen sich die deutschen Mitglieder zurück. Die Umsetzung der Ziele scheiterte an verschiedenen Hürden.
Berchtesgaden – Die Idee war ambitioniert: Urlaub in den Alpen – autofrei, nachhaltig, vernetzt. 2006 startete mit Alpine Pearls (Perlen der Alpen) ein internationales Tourismusnetzwerk, das genau dieses Versprechen einlösen wollte. Doch fast zwei Jahrzehnte später ist das einstige Gründungsmitglied Berchtesgaden längst kein Mitglied mehr, und auch Bad Reichenhall hat im Februar 2025 die Reißleine gezogen. Still und ohne große öffentliche Diskussion hat sich das Berchtesgadener Land verabschiedet – aus einem Verbund, der viel versprach, aber vor Ort kaum wirksam wurde.
Alpine Pearls ging aus zwei EU-Projekten hervor (Alps Mobility I & II) und vereinte zeitweise knapp 30 Orte aus dem gesamten Alpenraum – von Frankreich über Deutschland bis nach Slowenien. Die Mitgliedsgemeinden verpflichteten sich zur Umsetzung klar definierter Kriterien: verkehrsberuhigte Ortszentren, Shuttle-Services, E-Bikes und eine Mobilitätsgarantie für Gäste ohne eigenes Auto. In manchen Orten funktionierte das auch – dort wurden E-Autos und -Bikes schon früh Teil des touristischen Alltags.
In Berchtesgaden hingegen blieb die Vision lange Zeit Theorie. Bereits 2014 bilanzierte der Berchtesgadener Anzeiger, dass vom Modell der sanften Mobilität im Ort kaum etwas zu sehen sei. Die Marke „Alpine Pearls“ wurde nie spürbar in die lokale Tourismusstrategie eingebunden. Viele Gäste wussten nicht, dass sie sich in einer sogenannten „Perle der Alpen“ befanden.
Die Entscheidung, auszutreten, fiel im Stillen, wie Bürgermeister Franz Rasp auf telefonische Nachfrage erklärt: „Wir haben das damals in die Hand unseres Tourismusverbandes Bergerlebnis Berchtesgaden gelegt.“ Die Verantwortung für die Mitgliedschaft sei beim Tourismusverband gelegen, der nach einer internen Neuausrichtung prüfen sollte, ob ein Verbleib sinnvoll sei. Rasp formuliert es diplomatisch: „Die Touristiker mussten sagen, ob sich das lohnt. Ob es einen Mehrwert gibt.“
Deutlicher wird er, wenn es um die Umsetzung der ambitionierten Ziele geht: „An der Greifbarkeit der Umsetzung – daran haperte es immer.“ Zwar habe es einen guten Austausch mit dem Netzwerk gegeben, doch gerade bei zentralen Themen wie dem Ausbau des ÖPNV sei die tatsächliche Wirkung vor Ort schwer zu bewerten. „Touristisch war das Preis-Leistungs-Erlebnis nicht das, was wir gebraucht hätten“, so Rasp. Ein wichtiger Punkt aus seiner Sicht: die heterogene Struktur des Netzwerks. Große Orte wie Chamonix trafen teils auf Dörfer mit wenigen Hundert Einwohnern. Gemeinsame Standards seien da schwer durchzusetzen gewesen.
Alpine Pearls in Berchtesgaden: Eine Vision, die nicht ankam – Analyse der Gründe
Bereits in den Jahren zuvor war die Kritik im Berchtesgadener Gemeinderat deutlich laut geworden. Gemeinderat Hans-Jürgen Kortenacker (Berchtesgadener Bürgergruppe) sprach schon 2014 von einem „aufgeblähten Apparat“ und fragte öffentlich, „was die eigentlich genau machen und wo das Budget und die Mitgliedsbeiträge hinfließen“. 2021 legte er nach und nannte Alpine Pearls einen „zahnlosen Tiger“. Auch der heutige Tourismuschef Dr. Bartl Wimmer (Grüne), Vorsitzender des Zweckverbands Bergerlebnis Berchtesgaden, kritisierte damals, dass man sich „in der Vergangenheit Mitgliedschaften geleistet habe, deren Sinn man nicht erkennen könne“. Seine Forderung: eine ehrliche Kosten-Nutzen-Abwägung.
Tatsächlich war der Mitgliedsbeitrag über Jahre hinweg fünfstellig, wie Bürgermeister Rasp bestätigt: Erst 12.000, später dann 13.000 Euro jährlich. Für einen Kurort wie Berchtesgaden kein Pappenstiel – und schwer zu rechtfertigen, wenn die erhoffte Wirkung ausbleibt. Zwar brachte die Mitgliedschaft einzelne Vorteile – etwa Impulse beim E-Bike-Verleih oder die Einführung der Gästekarte mit kostenloser ÖPNV-Nutzung – doch vieles davon wäre ohnehin Teil des Trends zu mehr Nachhaltigkeit gewesen, sagt Rasp aus heutiger Sicht. Der konkrete Nutzen durch Alpine Pearls? Schwer zu greifen.
Zukunft der Nachhaltigkeit im Tourismus: Berchtesgaden setzt auf lokale Maßnahmen
2022 versuchte Alpine Pearls einen Neustart. Der Verein wurde in einen Europäischen Verbund für territoriale Zusammenarbeit (EVTZ) überführt – eine EU-Rechtsform, die grenzüberschreitende Projekte und Fördermittel ermöglichen soll. Bürgermeister Rasp unterstützte diesen Schritt zunächst, um potenzielle Fördergelder nicht zu verspielen. Doch kurz darauf entschied sich Berchtesgaden zum Austritt. Ob der EVTZ-Status wirklich neue Dynamik bringt, bleibt fraglich. Auf dem Papier klinge das gut, hieß es aus der Lokalpolitik, aber wenn nichts davon im Ort ankommt, nutze es auch nichts. Auch Bad Reichenhall zeigte sich ernüchtert und beschloss im Februar im Stadtrat den Austritt. Damit ist der letzte deutsche Alpine-Pearls-Ort aus dem Netzwerk ausgeschieden.
Alpine Pearls bleibt eine Idee mit ernüchternder Bilanz. Der Wunsch nach sanftem, autofreiem Tourismus ist aktueller denn je – gerade im Berchtesgadener Land, wo in der Hauptferienzeit regelmäßig die Verkehrsmassen rollen. Doch das Label allein genügte nicht, um echte Veränderung zu bewirken. Auch wenn das zehnjährige Bestehen der Alpine Pearls einst noch groß in Bad Reichenhall gefeiert wurde: Nachhaltigkeit entsteht nicht durch internationale Netzwerke, sondern durch konkrete Maßnahmen vor Ort, weiß auch Rasp. Berchtesgaden als Tourismusregion hat daraus seine Konsequenzen gezogen. Ohne Groll, aber entschieden. „Wir sind nicht im Bösen oder Zorn auseinandergegangen“, sagt Bürgermeister Rasp rückblickend. Die Lehre bleibt: Wer Wirkung erzielen will, muss greifbar sein – sichtbar und erlebbar. Genau daran sind die Alpine Pearls in Berchtesgaden am Ende gescheitert. (kp)