Lücke am Altar? Pfarrvikar Pater Fidelis im Gepräch
Immer weniger Ministranten in Berchtesgaden: Wie die Kirche junge Leute stärker binden will
Immer weniger Kinder und Jugendliche entscheiden sich für den Dienst am Altar in Berchtesgaden. Die Kirche sieht diese Entwicklung mit Sorge, bleibt aber zuversichtlich und setzt auf neue Strategien.
Berchtesgaden – Was früher selbstverständlich war, wird heute zur Herausforderung: Immer weniger Kinder entscheiden sich für den Dienst am Altar. Auch im traditionsreichen Stiftsland Berchtesgaden wird es schwierig, Kinder und Jugendliche für das Ministrieren zu gewinnen – und noch schwerer, sie langfristig zu halten. Das berichten mehrere Kirchenmitglieder, die die Entwicklung in den Pfarreien mit Sorge beobachten. Pfarrvikar Pater Fidelis bleibt aber zuversichtlich.
Dabei gibt es sie noch – die starken Momente, in denen die Ministrantenschar durchaus beeindruckt: etwa zu Ostern oder während der Christmette an Heiligabend, wenn der Pfarrer feierlich einzieht, begleitet von einer großen Gruppe Jugendlicher. Doch solche Bilder sind zunehmend selten geworden. In vielen Gottesdiensten werden die Ministrantenbänke nur von wenigen besetzt. Die Reihen lichten sich – nicht nur symbolisch.
Das Ministranten-Amt: Ein bayernweites Problem und seine lokalen Auswirkungen
Ein im Kirchendienst in Bischofswiesen Tätiger fasst es so zusammen: „Früher war es selbstverständlich, dass fast jedes katholische Kind nach der Erstkommunion Ministrant wurde. Heute muss man um jeden Einzelnen werben.“ Pfarrvikar Pater Fidelis Dudek, im Stiftsland Berchtesgaden für die Ministrantenarbeit zuständig, sieht die Entwicklung differenziert. „Mit aktuell rund 160 Ministranten dürfen wir auf eine starke Gruppe junger Menschen blicken“, sagt er. Mit Freude und Engagement würden sich diese in den Gottesdienst und darüber hinaus einbringen. Doch auch er weiß: „Natürlich gibt es Schwankungen zwischen den einzelnen Pfarreien.“ Gerade kleinere Gemeinden tun sich oft schwer, ausreichend Nachwuchs zu finden.
Der generelle Rückgang ist kein lokales Phänomen. Bayernweit ist die Zahl der Ministranten seit dem Höchststand um das Jahr 2008 deutlich gesunken. Im Erzbistum München und Freising, zu dem das Stiftsland Berchtesgaden gehört, waren im Jahr 2020 rund 20.200 Ministranten aktiv – ein leichter Rückgang im Vergleich zu früheren Jahren. In anderen bayerischen Diözesen ist der Rückgang deutlicher: In Würzburg sank die Zahl in fünf Jahren von 17.500 auf 12.500, in Bamberg von 10.500 auf 8.500.
Ein zusätzlicher Knick war die Corona-Pandemie. Über Monate hinweg konnten keine Gruppenstunden stattfinden, Erstkommunionfeiern wurden verschoben oder fielen aus, Gottesdienste waren nur eingeschränkt möglich – vielerorts wurde in dieser Zeit überhaupt nicht mehr ministriert. Wer ohnehin am Überlegen war, aufzuhören, fand in den Lockdowns einen Anlass, sich endgültig zurückzuziehen. Auch der übliche Nachwuchs nach der Erstkommunion blieb aus: Das Thema Ministranten geriet in der Pandemie vielerorts in den Hintergrund – und auch im Stiftsland war das spürbar.
Einblick in die aktuelle Ministrantenarbeit und die vielfältigen Lösungsansätze
Die Ursachen des Rückgangs sind jedoch vielfältiger. „Natürlich spielen gesellschaftliche Veränderungen eine Rolle – etwa weniger Kinder in ländlichen Regionen oder ein größerer Freizeitdruck“, sagt Dudek. Hinzu kommen veränderte Freizeitgewohnheiten, eine Fülle von Alternativangeboten und die zunehmend geringere kirchliche Bindung vieler Familien. Dudek betont: „Wir erleben aber immer wieder, dass Kinder gerne ministrieren, wenn sie persönlich angesprochen und gut begleitet werden. Viel hängt vom Engagement vor Ort ab.“
Um die Nachwuchsarbeit zu stärken, setzen die Pfarreien im Stiftsland auf eine Mischung aus direkter Ansprache und Gemeinschaftserlebnissen. „Vielerorts werden neue Wege gegangen – über Schnuppertage, Aktionen mit der Schule oder ganz einfach durch die persönliche Einladung durch den Pfarrer oder andere Ministranten“, berichtet Dudek. Besonders wirksam sei es, wenn junge Menschen erleben, dass sie gebraucht werden – und dass der Dienst am Altar mehr sein kann als nur bloße Routine.
Außerhalb des Gottesdienstes sorgen Gruppenstunden, Ausflüge und Freizeiten für Zusammenhalt. „Die Gemeinschaft außerhalb des Gottesdienstes stärkt den Zusammenhalt und ist oft der Schlüssel für langjähriges Engagement“, sagt Dudek. Auf Ebene der Erzdiözese bietet das Jugendamt Schulungen, Materialien und Veranstaltungen an. „Auch die gegenseitige Unterstützung über Pfarreigrenzen hinweg ist ein wichtiger Baustein“, betont der Pfarrvikar.
Veränderungen, Anpassungen und die Bedeutung von Gemeinschaft im Ministrantendienst
Ein zentrales Element ist dabei, dass ältere Jugendliche Verantwortung übernehmen. „Erfahrene Ministranten wachsen oft ganz natürlich in Leitungsrollen hinein“, erklärt Dudek. „Ihre Nähe zur Gruppe ist ein großer Vorteil.“ Im Pfarrverband Stiftsland Berchtesgaden, zu dem die Pfarreien in Berchtesgaden, Bischofswiesen und Marktschellenberg gehören, gibt es viele engagierte Haupt- und Ehrenamtliche, die sich für die Ministrantenarbeit einsetzen. „Wenn wir diese Arbeit weiterhin bewusst fördern und Raum für Gemeinschaft schaffen, dann kann die Ministrantenarbeit auch in Zukunft eine tragende Säule unserer Kirche bleiben“, sagt Dudek. Dabei wird darauf geachtet, dass die verbleibenden Ministranten nicht überfordert werden. „Wo nötig, wird flexibel geplant oder über Pfarreigrenzen hinweg unterstützt. Die Ministranten erleben sich so nicht als allein gelassen, sondern als Teil eines größeren Ganzen“, sagt der Seelsorger.
Trotz struktureller Veränderungen und gesellschaftlicher Entwicklungen sieht Dudek die Zukunft nicht pessimistisch. Im Gegenteil: „Der Ministrantendienst ist ein großes Geschenk für jede Pfarrei. Junge Menschen übernehmen Verantwortung, gestalten die Liturgie mit und wachsen im Glauben und in der Gemeinschaft. Diese Erfahrung prägt oft fürs Leben.“ Die festlichen Momente an Weihnachten oder Ostern zeigen, was Ministrantenarbeit bewirken kann. Doch entscheidend für ihre Zukunft sind die Sonntage dazwischen, die Gruppenstunden, die gemeinsamen Ausflüge oder das einfache Gespräch nach der Messe. Nur wo echte Gemeinschaft entsteht, wächst auch Engagement, weiß nicht nur Pater Fidelis Dudek. Das Stiftsland steht vor der Aufgabe, diese Räume zu schaffen - und zudem weiter auszubauen: durch Struktur, Wertschätzung und zudem kreative Jugendarbeit. (kp)
