Leiter des Nationalparks hat ein Buch geschrieben
Pionierarbeit in Berchtesgaden – Dr. Hubert Zierl erinnert sich an falsche Bären und andere Schwierigkeiten
Dr. Hubert Zierl (87) hat den Aufbau des Nationalparks Berchtesgaden von Anfang an begleitet, als erster Leiter. Zuvor war er im Nationalpark Bayerischer Wald Chef des Nationalparkforstamtes. Über die Gründerjahre hat er nun ein Buch veröffentlicht. Große Herausforderungen, aber auch skurrile Begegnungen mit Auerhahn und als Bären verkleidete Touristen sind Teil seiner Erinnerungen.
In einem Buchprojekt haben Sie Ihre Erinnerungen aus den frühen Jahren der Nationalparke Berchtesgaden und Bayerischer Wald veröffentlicht. Wieso genau zu diesem Zeitpunkt?
Dr. Hubert Zierl: Anlässlich der Feier des 100. Geburtstags des Naturschutzgebietes Königssee 2021 animierte mich der ehemalige Vorsitzende des BUND, Professor Dr. Hubert Weiger, meine Erinnerungen über die Anfänge des Nationalparks Berchtesgaden ab dem Jahr 1978 niederzuschreiben. Davor war ich fünf Jahre im Nationalpark Bayerischer Wald tätig. Ich schloss diese Zeit mit ein - so etwas wie meine Lehrjahre in Sachen Nationalpark. Nach einem Jahr war ich mit dem ersten Entwurf fertig. Jetzt folgte die endgültige Fassung.
Im Nationalpark Bayerischer Wald standen Sie Anfang der 1970er-Jahre an der Spitze des Nationalparkforstamtes, später folgte die Gründung des Nationalparks Berchtesgaden, dessen Führung Sie übernahmen. War es immer Ihr Ziel, Karriere zu machen?
Zierl: Um die Stelle als Leiter der Nationalparkverwaltung habe ich mich nicht beworben. Sie ist mir angeboten worden. Mit der Leitung einer Institution auf der unteren staatlichen Ebene kann man kaum Karriere machen. Ich bin auf meiner bereits vorher erreichten Position als Forstdirektor bis zur Versetzung in den Ruhestand sitzen geblieben. Mich hatte die Aufgabe gereizt, eine Pionierarbeit zu übernehmen. In meiner Dissertation hatte ich mich bereits mit Natur- und Urwäldern befasst. Berchtesgaden bot zudem die Möglichkeit, das in die Praxis umzusetzen. Außerdem bestanden persönliche Beziehungen: Meine Mutter war in Berchtesgaden 1907 als Tochter des Förster Ludwig Richstein geboren. Mein Großvater war Revierleiter in einem Revier am Untersberg.
Die Herausforderungen in beiden Parken waren zu Beginn groß. Womit hatten Sie es im Bayerischen Wald zu tun?
Zierl: Die Wälder im Bayerischen Wald waren durch den Brennholzbedarf der Glasindustrie seit dem 14. Jahrhundert intensiv genutzt worden. In der Zusammensetzung der Baumarten waren sie in Richtung Fichtenwälder verändert worden. Sie wurden immer wieder von Borkenkäfern befallen. Zunächst galt es, die naturfernen Fichtenwälder wieder zu naturnahen Bergmischwäldern weiterzuentwickeln, um sie anschließend ohne Eingriffe des Menschen sich selbst zu überlassen.
Sie waren nicht nur der erste, sondern auch der mit Abstand am längsten tätige Leiter des Nationalparks Berchtesgaden. In dieser Zeit hatten Sie mit vielen Widerständen zu kämpfen. Wer beim Nationalpark arbeiten wollte, bekam drohende Hinweise, wie Sie berichten. Kam das Konzept der „nicht aufgeräumten Wälder“ nicht gut an?
Zierl: Wir Mitteleuropäer haben die Erfahrungen im Umgang mit ursprünglicher Natur verloren. Wir sind zum Teil heute noch der Meinung, dass die Natur unserer regulierenden Hand bedarf. Um im Wald optimalen wirtschaftlichen Erfolg zu erzielen, sind steuernde Eingriffe notwendig. Hierfür gibt es bewährte naturnahe Waldbauverfahren. In diesem Sinn habe ich auch meine forstliche Ausbildung erlebt. Nationalparke verfolgen keine wirtschaftlichen Zwecke. Natur sich selbst zu überlassen, ist ihre Idee. Wir empfinden das als bedrohend. Wer die Natur befürwortend in Kauf nimmt, muss mit Widerstand rechnen. Ja, Bedrohungen gab es. Manche waren sicher ernst gemeint. Viele empfand ich als Antreiberei, keine als lebensbedrohend.
Sie mussten zu Beginn einen Personalstamm aufbauen. Woran erinnern Sie sich dabei?
Zierl: Bei meinem Weggang aus dem Nationalpark Bayerischer Wald 1977 hatte ich dort in meinem Nationalparkforstamt ungefähr 160 Mitarbeiter. Hier in Berchtesgaden waren wir anfangs fünf Personen. Die wichtige Verbindung zur örtlichen Bevölkerung brachte Franz Rasp, Bauer vom Hartllehen in Maria Gern mit. Er war Gemeinderat im Markt Berchtesgaden. Seine Erfahrungen als Bergsteiger und Bergführer in örtlichen und internationalen Verbänden waren mir mehr als hilfreich. Nach zehnjährigem Bestehen des Nationalparks kam der im Nationalpark liegende Bereich des Forstamtes Berchtesgaden zur Nationalparkverwaltung. Der nun um den Forstbetrieb erweiterten Nationalparkverwaltung wurde eine Abteilung Verwaltung zugebilligt. Deren Leiter wurde Alfred Spiegel-Schmied. Er brachte aus der Verwaltungsleitung der aufgelösten staatlichen Kurklinik Stanggaß kommend ein gerütteltes Maß an Erfahrung und Routine mit.
Zu Ihrer aktiven Zeit spielte lediglich der Luchs als Großer Beutegreifer eine Rolle. 20 Sichtungen im Raum Berchtesgaden wurden ihnen zugetragen. Luchs und Braunbär hätte bei der natürlichen Zuwanderung ihre Zustimmung gehabt. Gab es dafür Kritik?
Zierl: Von den etwa 20 Luchsbeobachtungen halte ich vier bis fünf als realistisch. Zwei davon sind mit Protokollen von Polizei und Zoll dokumentiert. Darin wird das Tier als rund 70 Zentimeter groß beschrieben, mit getigertem Fell, Pinselohren und Stummelschwanz. Da gibt es nicht viele Möglichkeiten der Interpretation. Die anfänglichen Einwände gegen eine Rückkehr des Luchses verstummten allmählich. Bei einigen Schafhaltern hielt sie noch länger an. Bär und Wolf standen zu meiner aktiven Zeit nicht ernsthaft zur Diskussion. Ihre natürliche Zuwanderung hätte meine Zustimmung gehabt. Bei Besuchen in osteuropäischen Ländern konnte ich funktionierenden Herdenschutz mit Hirten und Schutzhunden erleben. Von dort nahm ich den Spruch mit: ‘Wo Luchs, Wolf und Bär ihre Fährten ziehen, wächst der Wald.’
Welche Erinnerung haben Sie an jene Berliner Besucher, die sich Mitte der 1990er-Jahre mal als Bären verkleidet hatten?
Zierl: Die ersten Quellen über Informationen von Bärenbeobachtungen im Wimbachtal 1994 waren vage. Bald darauf wurden uns Fotos zugespielt. Sie waren äußerst unscharf und schlecht zu interpretieren. Weil das Bild im Hintergrund einen markanten Felsrücken aufwies, machte ich mich auf die Suche. Ich fand ihn auch: Natürlich inzwischen längst ohne Bären. Ich wollte mir schon ein Glas Honig besorgen, um Bäume damit zu bestreichen. Die nächste nachgewiesene Bärenbeobachtung lag damals im Lungau, Luftlinie etwa 70 Kilometer. Für Bären ist das keine Entfernung. Auch einer Zeitung waren Fotos von den Bären zugespielt worden. Die Erklärung für die Wimbachbären kam schließlich durch Urlaubsgäste. Sie hatten beobachtet, wie einer der ‘Bären’ seine Gesichtsmaske abgenommen hatte. Ein Brief aus Berlin kurz darauf klärte die Sache endgültig auf. Die Absender teilten mir mit, dass sie in Bärenverkleidung erleben wollten, wie die Welt aus Sicht eines Bären aussehe. Als Ort ihres Unternehmens hatten sie einen Nationalpark gewählt - in der Annahme, dort nicht beschossen zu werden.
Umweltbildung wurde im Nationalpark Bayerischer Wald von Anfang an Aufmerksamkeit geschenkt. Wie war es in Berchtesgaden?
Zierl: Aus Personalmangel war Umweltbildung im Nationalpark Berchtesgaden zunächst schwach vertreten. Schrittweise gelang mir, unter Leitung einer engagierten ehemaligen Praktikantin, eine erfolgreiche Umweltbildungsabteilung aufzubauen. Sie bestand ausschließlich aus Frauen mit großer Begeisterung an der Sache.
Kurz vor Ihrer Pensionierung hatten Sie ein Dienstaufsichtsverfahren am Hals. Wie kam es dazu?
Zierl: Gegen Ende meiner Tätigkeit als Leiter des Nationalparks Berchtesgaden besuchten mich zwei Schönauer Bergsteiger. Sie hatten bei einer Unternehmung eine Bergsteigerkapelle entdeckt. Darauf Tafeln, auf denen die Namen abgestürzter Kameraden verzeichnet waren. Sie wollten gleiches auf Kühroint mit Blick auf den Watzmann verwirklichen. Mein Dienstvorgesetzter und oberster Chef der Baubehörde im Landratsamt, Landrat Martin Seidel, wollte meine Meinung dazu wissen. Ich signalisierte mein Einverständnis, falls die Kapelle in Zuordnung zu den bestehenden Gebäuden erstellt würde. Nach der von der Nationalparkverwaltung ausgestellten Fahrerlaubnis zum Objekt legten die Initiatoren und ihre Mithelfer los. Ein Vertreter des Naturschutzes bemängelte, dass die Angelegenheit eine Ausnahmegenehmigung einer höheren Naturschutzbehörde erfordert hätte - und erstattete Anzeige. Das vom Kläger angestrebte Dienstaufsichtsverfahren überstanden der Landrat und ich schadlos.
Sie freuten sich, als in der heimischen Presse „Unser Nationalpark“ zu lesen war. Zudem gründeten Sie die „Freunde des Nationalparks“. Was nehmen Sie aus Ihrer Zeit im Nationalpark Berchtesgaden bis heute mit - außer die Narbe des Auerhahns an Ihrem Unterarm?
Zierl: Der Auerhahn auf der Bindalm war als angriffslustig bekannt. Ich wollte ihn eigentlich nur mit meinem Teleobjektiv heranziehen. Er entschloss sich jedoch für eine Tuchfühlung, die schmerzhaft war. Ich bin dankbar, dass ich die berufliche Chance bekam, den Nationalpark Berchtesgaden in seiner Pionierphase aufzubauen. Natur- und Urwälder begleiten mich seit meiner Dissertation. Die Themen in der Praxis gestalten und umsetzen zu können, war spannend. Als Glücksfall empfinde ich es, sie auch nach meiner Pensionierung vor Ort weiter verfolgen zu können. Anlässlich einer Exkursion in den Nationalpark im August, zu dessen 45. Geburtstag, habe ich überzeugende Erfolge erlebt. Das hat mich gefreut.
Das Buch „Erinnerungen und Erfahrungen aus den frühen Jahren der Nationalparke Berchtesgaden und Bayerischer Wald“ ist unter anderem im Nationalparkzentrum Berchtesgaden erhältlich.
kp