Seit über 20 Jahren auf Erkundungstour
Verfallene Almen in der Berchtesgadener Bergwelt - Florian Kastner kennt bereits Hunderte von ihnen
Seit mehr als 20 Jahren erkundet Florian Kastner die Berchtesgadener Bergwelt auf der Suche nach verfallenen Almen. Mittlerweile ist das Leben auf Almen nicht mehr soweit verbreitet wie noch vor 100 Jahren, deshalb gibt es immer weniger Almbetriebe.
Berchtesgaden - 17 prall gefüllte Ordner zieren die Schränke von Florian Kastner. Handschriftlich und mit hunderten Fotos versehen hat er dort die Standorte aller Almen des Berchtesgadener Talkessels notiert, noch vorhandener und längst verfallener. Etwas Vergleichbares gibt es nicht. Welche Mühe und Strapazen die Vorfahren auf sich nehmen mussten, das analysiert der Heimatforscher seit fast 25 Jahren.
Almgeschichten in Kastners Privatbibliothek
“Alte Berchtesgadener Almen und Almgeschichten” - so heißt der 210 Seiten dicke und mit hunderten Bildern versehene Schmöker. Seine Bibliothek ist gewaltig. Etliche Berchtesgaden-Bücher stehen hier in Reih und Glied. Es sind Werke von heute und aus der Vergangenheit. In einer Holzkiste lagert eine rund 100 Jahre alte Abhandlung des Münchner Diplomlandwirts Karl Ranke: “Die Alm- und Weidewirtschaft des Berchtesgadener Landes”. Es ist die schriftliche Arbeit an der Technischen Hochschule München zur Erlangung der Würde eines Doktors. “Ein ganz seltenes Exemplar”, sagt Florian Kastner.
Wer ist Florian Kastner überhaupt?
Kastner ist 38 Jahre alt. Mit vier war er mit seinen Eltern das erste Mal auf dem Untersberg, mit fünf besuchte er den Funtensee. “Seit ich denken kann, bin ich in den Bergen”, sagt der gebürtige Berchtesgadener, der im Salzbergwerk als Hauer unter Tage im Bergbau arbeitet. Wenn es das Wetter zulässt, geht er hoch in die Berge, die meiste Zeit allein. “Ich gehe in meinem eigenen Tempo und muss mich an niemandem orientieren”, sagt er. Sein Ziel: Abgelegene Plätze. Orte, an denen nichts los ist und die nur wenige kennen. Er sucht dann alte Almen und deren Standorte.
Kastners Urgroßvater stammt aus dem Krennlehen in Schönau am Königssee. Er war eines von 16 Geschwistern. Das Almleben seiner Vorfahren sei schon immer der Schwerpunkt des eigenen Interesses gewesen, sagt Florian Kastner.
So findet Kastner die Almen, die er besuchen möchte
Ende der 1990er-Jahre begann er mit dem Vermerken alter Almen und Hütten. Einst gab es davon sehr viele. Etliche sind mittlerweile verschwunden, wurden abgerissen - oder die Natur hat sich den Standort von damals zurückgeholt. Das Internet war noch nicht so ausgereift, weiß Kastner. Den Bayernatlas, einen Kartenviewer des Freistaates Bayern mit Karten, Luftbildern und weiteren Themenkarten, gab es noch nicht - nur alte Papierkarten und Holzstiche mit Verweisen zu ehemaligen Standorten von Almen. Dort, wo Überreste auf alte Bauten schließen ließen, setzte Kastner an. Er forschte in der Heimatliteratur, stellte Zusammenhänge her, notierte Erkenntnisse.
Heute sagt er: “Ich kenne so gut wie jedes Gebäude in den Bergen, das mal existierte.” Er hat Verzeichnisse angelegt, sauber handschriftlich, an einen Druck erinnernd. Ehemalige Jagdhütten hat er kartografiert, Holzstuben für Waldarbeiter, die Almen des Berchtesgadener Talkessels vom Untersberg bis zum Steinernen Meer und darüber hinaus im Lattengebirge. Die 17 Ordner sind eine wissenschaftliche Aufarbeitung, die mehr als 20 Jahre in Anspruch nahm, und von der man behaupten kann, dass es im Ansatz nichts Vergleichbares gibt. Hunderte Hütten, Kaser und Stuben hat er gefunden und alles dazu niedergeschrieben.
Früher gab es mehr Almen
“Wir hatten mal ein reichhaltiges Almgebiet”, sagt Florian Kastner. Zum Funtensee gehörten etwa mehr als 15 Almen, auch die Wasseralm zählte eine vergleichbare Menge. In Berchtesgaden gab es eine eigene Rinderrasse, die kleinwüchsigen “Berchtesgadener Katzen”, die dank ihres geringen Gewichts von rund 250 Kilo und absoluter Schwindelfreiheit auch schwierige Steige meistern konnten. Die höchsten bestoßenen Almen lagen auf mehr als 2150 Metern. Heutzutage treibt in Berchtesgaden kein Landwirte sein Weidevieh mehr so weit nach oben.
Mehr Rücksicht für den Almbetrieb
“Ich habe eine große Sympathie für unsere Landwirtschaft”, sagt Florian Kastner: “Das sind unsere Kulturpfleger und bei uns ist die Landwirtschaft eben noch kleinstrukturiert.” Man müsse auf die Almen achten. Gäbe es diese nicht mehr, würde alles zuwachsen und verschwinden. In den vergangenen Jahrzehnten ist diese Befürchtung häufig eingetreten, weiß der Bergmann. Deshalb fordert er von Wanderern und Radfahrern mehr Rücksicht gegenüber den Almbauern, die einer Arbeit nachgehen, deren Wert besonders wertvoll sei.
Wechselalm - aber was ist das?
Florian Kastner hat sich mit vielen alten Almbauern unterhalten, mit Sennerinnen, Landwirten, Hüterjungen und Archivaren, die ihm aus der Vergangenheit berichteten. Er hat Notizen gemacht und die Zeitzeugen-Gespräche aufgezeichnet. Dabei ist er auch auf Kuriositäten gestoßen, etwa jene bei der bereits verfallenen Oberlahneralm auf dem Weg Richtung Funtensee auf 1400 Metern - auf dem Gebiet des heutigen Nationalparks Berchtesgaden. Neun weideberechtigte Almbauern bewirtschafteten die mittlerweile selten gewordene Wechselalm. “Jedes Jahr war ein anderer Almbauer dran”, sagt Florian Kastner. Es sei schriftlich geregelt gewesen, wer das Vieh wann hochtrieb - nur alle neun Jahre kam der Landwirt dran.
Die Suche nach Almen und Kasern hat Florian Kastner weitestgehend abgeschlossen. Die Erkenntnisse und hunderte Fotos warten fein säuberlich gesammelt in den Regal füllenden Ordnern. Was er damit noch vorhabe? Mal sehen, sagt Kastner. Gut möglich, dass die Aufzeichnungen nochmal von Nützlichkeit sind.
kp

