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Betroffene aus Berchtesgaden schildert Erfahrungen

Christine B. und ihr Kampf mit der Barriere(un)freiheit: „Ich bin jeden Tag auf Glück angewiesen“

Christine B. steht mit ihrem Senioren-Scooter auf einer Rampe am Bahnhofsausgang. Ein Auto steht auf der Fußgängerüberquerung einer Ampel. Ein Gehweg ist mit Autos zugeparkt und eine Mülltonne verengt den Weg.
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Christine B. weiß seit vielen Jahren, was es heißt, auf Barrierefreiheit angewiesen zu sein. Immer wieder stößt sie auf Hindernisse.

Schwerbehindert, Schmerzmittel, Senioren-Scooter: Der Alltag von Christine B. hat sich innerhalb kürzester Zeit schlagartig verändert. Auf einmal muss sich sie mit dem Thema Barrierefreiheit auseinandersetzen, auf einmal sieht sie die Region mit anderen Augen. Zugeparkte Gehwege und Einfahrten, keine Rücksichtnahme und blöde Kommentare: So sieht der Alltag von ihr mittlerweile aus. Im Gespräch verrät sie mehrere Problemstellen im Berchtesgadener Talkessel, welche Erfahrungen sie generell bei der Barrierefreiheit macht und warum sie eben nicht zum „Anzeigenhauptmeister“ werden möchte.

Berchtesgaden/Bischofswiesen/Schönau am Königssee - „Ich habe mir vorher auch nie Gedanken dazu gemacht“, erklärt die 57-jährige Berchtesgadenerin und spricht damit aus, wie es vermutlich vielen Menschen ergehen würde, wenn sie auf einmal nur noch mit dem Rollstuhl unterwegs sein können. Bei Christine B. war es eine Operation, durch die sich ihr Leben komplett verändert hat. Sie muss täglich viele Medikamente zu sich nehmen, auch um die Schmerzen auszuhalten, und ist auf ihren Senioren-Scooter angewiesen. Einfach mal loslaufen? Das ist seit 2012 nicht mehr möglich, selbst wenige Stufen stellen sie vor große Herausforderungen.

Seitdem weiß sie auch, was es heißt, von Barrierefreiheit betroffen zu sein. Für den Berchtesgadener Talkessel stuft sie diese aus „sehr ausbaufähig“ ein. In anderen Gemeinden außerhalb des Talkessels, zum Beispiel in Ainring, werde bei neuen Bauprojekten mehr auf Barrierefreiheit geachtet, findet sie. „Das gilt auch für Freilassing, auch wenn der Bahnhof ein ewiges Thema ist.“

Der tägliche Kampf

Immer wieder müssen sie und ihr Mann, der eine 90-prozentige Schwerbehinderung hat und trotzdem vieles für seine Frau erledigt, mit Problemen in Alltag kämpfen. Es vergeht kaum ein Tag, an dem sie nicht auf mangelnde Barrierefreiheit und fehlende Rücksichtnahme stoßen. Das fängt zum Beispiel beim Schienenersatzverkehr an. „Da kommen manchmal Busse von einem Reiseunternehmen zum Einsatz, die nicht behindertengerecht sind, die nicht absenkbar sind und Stufen haben“, schildert die Betroffene.

Schon mehrmals mussten sie und ihr Mann erleben, wie auch die Anzahl der Behindertenparkplätze bei Geschäften reduziert oder verlegt wurde. Beispielsweise wurden bei einem Lebensmittelladen die Behindertenparkplätze zum Teil mit ausgestellten Waren belegt. Als die 57-Jährige den Inhaber darauf ansprach und darum bat, die Parkplätze freizuhalten, gab es kurz darauf weniger Behindertenparkplätze. Auf einem anderen Parkplatz wurden die Behindertenparkplätze weiter weg vom Discounter verlegt. Auch das erlebten sie schon mehrmals. „Dadurch habe ich als Gehbehinderte einen weiteren Weg, das kann man sich doch nicht ausdenken.“

Ärger über Aussagen

„Ich habe auch schon zu hören bekommen, dass es ja auch Menschen mit Beeinträchtigung gibt, die laufen können. Oder dass man kostenlos für 20 Minuten in der Tiefgarage im AlpenCongress parken kann. Wie soll eine gehbehinderte Person in 20 Minuten ihre Dinge erledigen, wenn sie mit dem Auto in einer Tiefgarage parken muss?“, ärgert sie sich über solche Aussagen.

Auf die Frage, wie häufig Behindertenparkplätze von Nicht-Behinderten zugeparkt werden, antwortet Christine B.: „Das ist ein grundsätzliches Problem. Oft heißt es zum Beispiel bei Bäckereien, dass man nur schnell Semmeln holen will. Ich darf dann warten oder muss mich nach einem anderen Parkplatz umschauen“.

Zu hohe Bordsteine

Ihr Mann ergänzt, dass es auch leichter gesagt als getan ist, auf einem normalen Parkplatz zu parken. „Dort stehen die Autos viel enger zusammen, das heißt als gehbehinderte Person kommt man dann unter Umständen gar nicht aus dem Auto oder hat nicht den Platz dafür, den Rollstuhl oder den Scooter herauszuholen.“ Problematisch sind auch hohe Bordsteine, zum Beispiel im Gewerbegebiet Stangenwald bei Engedey. „Sie muss dann auf der Straße fahren, weil sie nicht auf den Gehweg kommt“, erklärt er.

Sie muss dann auf der Straße fahren, weil sie nicht auf den Gehweg kommt.

Der Mann von Christine B. über zu hohe Bordsteine

Schwierig ist auch Triftplatz an der Schwabenwirtbrücke, bei dem der Gehweg an den Parkplätzen endet und Christine B. dann gezwungen ist, mit ihrem Senioren-Scooter über den unübersichtlichen Parkplatz zu fahren. „Ich fahre natürlich sehr langsam und halte damit die Autos auf. Da gab es auch schon Gehupe und Geschimpfe, obwohl ich auch nichts dafür kann“, erinnert sie sich.

Der Trifftplatz, eine weitere Problemstelle: Christine B. bleibt nichts anderes übrig, als mit ihrem Senioren-Scooter über den Parkplatz zu fahren. Das stößt nicht immer auf Verständnis bei den Autofahrern.

Problemfall Königsseer Straße

Apropos Zuparken: In der Königsseer Straße gibt es einen Bereich, der besonders problematisch ist. Die 57-jährige Berchtesgadenerin wohnt in der Nähe der Ampel und beobachtet immer wieder, wie der gesetzliche Mindestabstand von zehn Metern nicht eingehalten wird. Selbst die Querungsanlage wird zugeparkt, weil manche Kunden von Geschäften in der Nähe nicht auf den Parkplatz fahren wollen oder dort keinen Parkplatz finden. Manchmal werden auch Hof- oder Garageneinfahrten zugestellt, auch vor den privaten Stellflächen wird nicht zurückgeschreckt.

Vonseiten der Behörden hieß es zu ihr immer wieder, sie solle Fotos machen und Anzeige erstatten. „Aber das kann doch nicht meine Aufgabe sein, ein solches Fehlverhalten zu dokumentieren und zu melden. Dafür gibt es doch die Polizei und das Ordnungsamt“, findet sie und forderte strengere und regelmäßigere Kontrollen. Und ihre Mitmenschen ständig an den Pranger stellen und Anzeigen zu erstatten wie der berühmt-berüchtigte, aber höchst umstrittene Anzeigenhauptmeister Niclas M., das wolle sie auch nicht machen. „Ich will nicht mit den Autofahrern ständig herumdiskutieren müssen oder angefeindet werden“, macht sie klar.

Treppen auf dem einzigen Gehweg

Ebenfalls zu den Problemstellen zählt die Bahnhofstraße, genauer gesagt der Bereich zwischen dem Autohaus und der Bräuhausstraße. Vom Bahnhof kommend in Richtung Zentrum/Fußgängerzone, befindet sich nur auf der rechten Seite ein Gehweg. Und dieser ist mit mehreren Treppenstufen versehen - für die 57 Jahre alte Frau und andere Betroffene eine unüberwindbare Stelle. Deshalb muss sie jedes Mal vom Bahnhof den Bahnhofweg nehmen, doch bis zum Markt gibt es nur einen Sandweg. Häufig sind dort auch Glasscherben zu finden, welche die Fahrt erschweren oder die Reifen vom Scooter beschädigen können.

Da es immer mehr ältere Menschen und auch Menschen mit Beeinträchtigungen gibt, gehört viel mehr in die Barrierefreiheit investiert.

Die 57-jährige Christine B.

„Und in und rund um die Berchtesgadener Wirtschaften gibt es kaum Toiletten, die man ohne Treppen erreichen kann. Da es immer mehr ältere Menschen und auch Menschen mit Beeinträchtigungen gibt, gehört viel mehr in die Barrierefreiheit investiert“, fordert sie. Stattdessen erlebt sie, wie sie immer wieder bei Erledigungen oder Ausflügen eingeschränkt wird oder diese gleich ganz absagen muss.

„Bin jeden Tag auf Glück angewiesen“

Bestimmte Stellen meidet sie komplett. „Ich versuche, immer wieder auch einfach herauszukommen an die frische Luft, doch ich bin jeden Tag auf Glück angewiesen. So oft stehen Fahrzeuge auf Gehwegen, Fußgängerüberquerungen oder Behindertenparkplätzen, und dann heißt es für mich Warten und Hoffen, dass ich bald wieder weiterkomme.“

Ihre gesundheitliche Situation habe sie sich nicht ausgesucht. „Natürlich würde ich gerne tauschen. Jeder sollte über gesunde Füße froh sein, das wünsche ich wirklich niemandem. Aber es kann so schnell gehen, da reicht ein Unfall.“ Sie würde sich wünschen, dass die Gesellschaft wieder mehr Rücksicht nehme auf Rollstuhlfahrer oder auch Familien mit Kinderwägen. „Wir bräuchten diese ganzen Vorschriften und Kontrollen nicht, wenn jeder vernünftig wäre und mitdenken würde“, findet sie.

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