Tierheim-Dauergäste in Freilassing und Bad Reichenhall
Beschimpft, geschlagen und ausgesetzt: Warum für Stanley, Buddy und Co. noch Hoffnung besteht
Angst, Verunsicherung, Verzweiflung: Manche Tierheimbewohner lassen sich aufgrund ihres Verhaltens nur schwer oder gar nicht mehr vermitteln. Sie gelten als Problemfälle, doch eigentlich wurden sie von ihren Vorbesitzern dazu gemacht. Die Leiterinnen der regionalen Tierheime erzählen, welche Schicksale und traurigen Geschichten die Dauergäste erlebt haben und für welche Vierbeiner es doch noch Hoffnung gibt.
Freilassing/Bad Reichenhall - Ungeniert und fast schon dreist, aber sehr liebevoll nimmt er einen in Beschlag. Zufrieden schnurrt er vor sich hin, der rote Kater Wiggerl. Eigentlich ist er als Gast ins Freilassinger Tierheim gekommen. Bei einer Kastrations-Aktion von Katzen auf einem Bauernhof ist er Christine von Hake und ihrem Team in die Hände gefallen. Er war der einzige Zahme und sollte wieder zurück. Als ihn seine Besitzer nicht mehr wollten und er von den anderen Katzen im Vermittlungszimmer nicht aufgenommen wurde, landete Wiggerl im Büro der Tierheimleiterin. Das war vor zwei Jahren. Seine Zukunft ist besiegelt, und beim Blick auf andere Tiere wird klar: Es hätte ihn wesentlich schlimmer treffen können.
Vor allem unter den Hunden gibt es immer wieder Problemfälle. Und doch wird bei den meisten Schicksalen klar: Es sind oft die vorherigen Besitzer, die mit ihrem Verhalten die Vierbeiner regelrecht verstört und damit erst zu Problemfällen gemacht haben. Die immer wieder in den Tierheimen landen, weil die Vermittlungsversuche scheitern. Für die es scheinbar kein Zuhause geben mag. „Größtenteils gehören Hunde zu unseren Dauergästen. Selten sind es kranke und ältere Katzen”, weiß Freilassings Leiterin von Hake. Während bei manchen Tieren noch gute Hoffnung besteht, gestaltet sich für andere die Suche umso schwieriger.
Stanley wurde geschlagen, beschimpft und musste im Keller sitzen
Bei Stanley zum Beispiel braucht es schon das optimale Zuhause: Der männliche Cocker-Mix wurde im März 2010 geboren und schon im Alter von zwei Jahren ins Tierheim abgegeben. Die Leiterin kannte ihn schon von der Hundeschule, schon damals zeichnete sich sein Schicksal ab. „Er lebte in einer Patchwork-Familie. Alle haben an ihm herumgedoktert, bei seiner Erziehung gab es keine Einigkeit“, erinnert sich von Hake. Als die typische Flegel-Phase kam, wurde er viel zu grob behandelt. „Er wurde auch geschlagen und beschimpft. Er musste zur Strafe im Keller sitzen. Schlussendlich hat er dadurch gelernt, dass seine Bedürfnisse erst befriedigt werden, wenn er sich schlimm verhält“. Die Folge: Er fing immer mehr an, zu knurren und zu beißen.
Jetzt, im Alter von 13 Jahren, kann es sein, dass er für immer im Tierheim bleiben wird. Zwischenzeitlich war Stanley an einen älteren Herren vermittelt, doch als dieser starb, landete er wieder bei von Hakes Team. „Das war der Super-GAU. In seinem Alter wollen wir ihn eigentlich nicht mehr aus seinem Alltag herausreißen und einer Veränderung aussetzen. Dabei ist er ein total intelligenter Hund, der arbeiten will und, wenn er Vertrauen gefasst hat, auch sehr verschmust ist.“ Ähnlich schwierig zu vermitteln sind auch andere Tiere.
Buddy wurde ohne Leine an der B20 ausgesetzt
Da wäre beispielsweise Buddy, für den dringend ein neues Zuhause gefunden werden muss, da ihn seine Pflegerin aus persönlichen Gründen nur noch bis spätestens Frühjahr betreuen kann. Wenn das nicht geschieht, muss er wieder ins Tierheim gebracht und sein momentan sehr guter Trainingsstand könnte zunichtegemacht werden. Dadurch würden auch die Chancen auf Vermittlungen sinken, befürchtet die Leiterin.
Bei seiner Pflegerin ist Buddy ziemlich aufgeblüht. Er stammt von einem Züchter aus Italien und als der Vorbesitzer mit dem Malinois - die kurzhaarige Variante des belgischen Schäferhundes - nicht mehr klarkam, wurde er einfach ausgesetzt: Nachts, an der B20 bei Laufen und ohne Leine. „Kofferraum auf und Tschüss“, erzählt die Tierheimleiterin. Ein Anwohner hatte die Szene beobachtet. Buddy irrte einen ganzen Tag an der Bundesstraße umher, ehe er mit einer Lebendfalle eingefangen wurde.
„Er ist kein Anfänger- und auch kein Familienhund. Er wird immer einen Rucksack mit sich tragen. Auch wenn er Fremden gegenüber anfangs misstrauisch ist: Wenn jemand Erfahrung und Spaß daran hat, einen Hund zu trainieren und zu erziehen, ist er ein tolles Tier.“ Aufgrund seiner gesundheitlichen Konstitution könne er jedoch nicht sportlich geführt werden.
Letzte Hoffnung für Moritz
Auch Moritz wurde einfach ausgesetzt: Eines Abends fand man ihn angebunden am Parkplatz des Tierheims. Verwirrt, verängstigt und total verstört: Anfangs hatten die Tierheim-Mitarbeiter große Mühe mit dem Miniature Bull Terrier. Die ursprünglichen Besitzer waren umgezogen und hatten ihn an einen neuen Besitzer vermittelt. „Was dann passiert ist, wissen wir nicht. Eines Tages landete er auf unserem Parkplatz“, berichtet von Hake. Sie meldete den Vorfall bei der Polizei, doch nichts geschah.
Moritz sei sehr misstrauisch und neige zu Scheinattacken, die ohne Warnung eintreten. Er war schon einmal vermittelt, doch schon am ersten Tag griff er die neue Halterin an und landete wieder im Tierheim. „Er trug keinen Maulkorb, obwohl das so abgemacht war. Ein solches Verhalten muss man immer auch selbst managen, aber uns wird oft nicht geglaubt. Viele denken, wir wären übervorsichtig.”
Ängstliche Geschwister
Sowohl bei Moritz als auch bei Buddy sieht die Tierheimleiterin „leider die Tendenz zu Langzeitinsassen“. Bessere Chancen sieht sie bei den Geschwistern Heidi und Lenny, die in Bosnien auf der Straße lebten. Nach dem Aufenthalt in der Auffangstation kamen sie nach Deutschland. Kaum in Freilassing angekommen, mussten sie gleich in Quarantäne. Dadurch hatten die jüngeren Mischlingshunde kaum Kontakt zu Menschen. Dementsprechend ängstlich, skeptisch und unsicher verhalten sie sich gegenüber den Zweibeinern. „Sie brauchen Bindung, ihr Vertrauen muss man sich erarbeiten. Die Skepsis Fremden gegenüber werden sie vermutlich nie ganz ablegen, aber das hängt auch an den künftigen Besitzern.”
Auch im Bad Reichenhaller Tierheim kennt man diese Schicksale. Genau wie in Freilassing sind es auch hier hauptsächlich Hunde, die zu den Dauergästen gehören. Einige werden sogar für den Rest ihres Lebens hier bleiben, zu groß ist der von Menschen angerichtete Schaden. Ein 13 Jahre alter Schäferhund, der an einer Eisenkette gehalten wurde. Ein Dackel, der im Kuhstall lebte, nichts mehr hört und vor dem Beißen nicht zurückschreckt. Zwei Mischlinge, die extrem scheu sind und verängstigt in der Ecke sitzen. Insgesamt sind es sieben Hunde, die nicht mehr vermittelt werden. „Bei ihnen kommt das für uns deshalb nicht infrage, weil sie dann vielleicht in ein Zimmer weggesperrt werden. Lieber behalten wir sie hier bei uns und kümmern uns um sie“, berichtet Gabriele Schwaiger-Weiß.
Goofy braucht Erfahrung
Bei Goofy dagegen besteht noch Hoffnung: Seit Oktober 2022 ist der mittlerweile neunjährige schwarze Labrador im Tierheim. Als junger Hund wurde er allein gelassen und entwickelte dadurch eine regelrechte Zerstörungswut. Im Alter von einem Jahr wurde er an einen jungen Mann vermittelt, dessen Mutter schwer krank war. Goofy wich nicht von ihrer Seite, die beiden waren „ein Herz und eine Seele”, wie sich Schwaiger-Weiß erinnert. Doch als die Frau starb und der Sohn beruflich bedingt keine Zeit für den Labrador hatte, wurde er wieder zurückgebracht.
Wenn er allein gelassen wird, neigt er durchaus dazu, Dinge zu zerstören. Türen und Couch? Die kriegt Goofy klein, wenn es ihm zu viel wird. Beim Gassigehen biss er einmal die Leine durch, marschierte allein wieder zurück zum Tierheim und wartete dort, weil er keine Lust mehr hatte. Die Tierheimleiterin wünscht sich für ihn jemanden mit Hundeerfahrung. Vielleicht ein rüstiges Rentnerpaar, das sich auf ihn einlässt und keine Katzen besitzt. Die mag er nämlich überhaupt nicht. „Er braucht eine Vertrauensperson, dann kann er sogar ohne Leine Gassi gehen. Er ist dann total verschmust, intelligent ist er sowieso. Goofy hat einen tollen Charakter, aber er sucht sich die Menschen aus.”
„First-Class-Hotel“ für Katzen
Apropos Katzen: Durch die starke Vermehrung, weswegen immer wieder eine Kastrationspflicht für Freigänger gefordert wird, leben viele Tiere elendig auf den Straßen und in der Wildnis vor sich hin. Auch im Bad Reichenhaller Tierheim gibt es einige Katzen, die nicht mehr vermittelt werden. 2022 wurde für sie ein eigenes Katzenhaus gebaut. „Ein richtiges First-Class-Hotel”, wie es Schwaiger-Weiß bezeichnet. Und mit dem umzäunten und ausbruchsicheren Außengehege können die acht Vierbeiner sogar im Wald umher streunen und ein einigermaßen freies und geschütztes Leben führen.
Die Leiterin weiß um die Herausforderungen, die manche Vierbeiner mit sich bringen. „Da muss man sich Zeit lassen, und in solchen Fällen reden wir von Jahren.” Bei den Dauergästen seien viel Geduld und vor allem Erfahrung gefragt. Doch manchmal ist das hinzugefügte Leid zu groß. Durch die sieben Hunde, die nicht mehr vermittelt werden, kommt das ohnehin schon kleine Tierheim durchaus an seine Grenzen.
Dauergäste verursachen Dauerkosten
Einerseits binden sie Platz, da sie dauerhaft Boxen belegen. Und dann sind da noch die laufenden Kosten, schließlich müssen die sieben Tiere auch versorgt werden. Bei Notfällen werde es schnell problematisch, erzählt Schwaiger-Weiß. Auf Geld- und Sachspenden sei man quasi immer angewiesen. „Grundsätzlich ist es so, dass die Kosten durch die Vermittlungsgebühren nie ausgeglichen werden.”
Doch auch wenn sie und ihr Team durchaus schon die ein oder andere Stunde in der Notfallambulanz verbracht haben, weil sie wieder einmal gebissen wurden: Sie machen einfach weiter. Die Bisse, das Knurren, die Skepsis, die vielen leidvollen Schicksale und Rückschläge: „Wir lassen uns nicht unterkriegen. Das gehört einfach zu unserem Tierheim-Alltag dazu.” Umso größer ist die Freude, wenn einer der Dauergäste doch sein Für-Immer-Zuhause gefunden hat.
Auf den Internetseiten des Freilassinger Tierheims und des Bad Reichenhaller Tierheims finden sich weitere Tiere.




