Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber
Ärger über „vollendete Tatsachen“: Bad Reichenhall wendet Klage der Modefirma Dollinger ab
Hat sich ein „leidiges und für uns alle unbequemes Thema“, wie es OB Christoph Lung bezeichnet, vorerst erledigt? Mit der Zustimmung des Stadtrats für eine Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber in der Hainbuchenstraße entgeht Bad Reichenhall zumindest einer Klage und Forderung auf Schadensersatz durch die Modefirma Dollinger. Während dort Freude über den Beschluss herrscht, wird in der Sitzung am Mittwoch (25. März) der wahre Grund für den Ärger und Widerstand umso deutlicher: Es geht um das Landratsamt.
Bad Reichenhall - Bei nur zwei Gegenstimmen hat sich der Stadtrat deutlich für die beantragte Nutzungsänderung in der Hainbuchenstraße 12 im Ortsteil Karlstein entschieden. Im Vorfeld hatte die Antragsstellerin - Kathrin Proft von der heimischen Modefirma Dollinger - eine Klage und Schadensersatzforderungen in Höhe von 200.000 angedroht. Dementsprechend froh ist die Geschäftsführerin über den positiven Bescheid: „Eine Klage wäre nicht erstrebenswert gewesen. Für uns ist es sehr wichtig und wir freuen uns über die Entscheidung“, so Proft. Sie hoffe auf eine weiter gute Zusammenarbeit mit Stadt und Landratsamt und dass die Verlegung der Küche „hoffentlich alles klärt“.
Diese Zusage war es auch, die den Stadtrat dazu bewog, mit großer Mehrheit dem Antrag zuzustimmen. Dafür nutzte die Stadtverwaltung ein Selbsteintrittsrecht des Gremiums als kommunalrechtliche Option, um den ablehnenden Beschluss des Bauausschusses im November 2024 zu überprüfen und aufzuheben. Christoph Lung betonte, es sei nicht sein Ziel, „als Oberbürgermeister irgendetwas durchzusetzen oder durchzupeitschen“. Er gab zu: „Wir reißen uns wahrlich nicht darum, mehr Asylbewerber in der Stadt unterbringen zu dürfen oder Standort einer Erstaufnahmeeinrichtung zu werden.“
Rat muss „Risikoabschätzung“ treffen
In dieser Sitzung gehe es auch nicht darum, wie man zur Flüchtlingspolitik stehe. Der OB betonte: „Es geht heute um die Beurteilung eines baurechtlichen Antrags. Der Stadtrat muss eine Überzeugung bilden, ob dieser rechtmäßig ist oder nicht - im Bewusstsein, dass so oder so eine gerichtliche Entscheidung droht.“ Damit spielte er darauf an, dass bei einer Zustimmung immer noch die betroffenen Nachbarn juristisch dagegen vorgehen könnten. „Risikoabschätzung“ nannte er die Entscheidung des Gremiums, denn: „Wir müssen überlegen und vergleichen, was passiert, wenn wir zu Unrecht eine Baugenehmigung versagen oder unrechtmäßig den Antrag erteilen.“
Lungs Worten zufolge war es der Stadtrat selbst, der eine öffentliche Abstimmung und Diskussion forderte. Erstere fiel überraschend deutlich aus, Letztere überraschend kurz und ohne viele Redebeiträge. Friedrich Hötzendorfer (FWG) teilte mit, dass seine Fraktion nach sorgfältiger Überprüfung zustimme werde. „Wir halten uns an Recht und Ordnung“, betonte er, doch er machte auch deutlich, dass die Zustimmung von den Nachbarn nicht so verstanden werden dürfe, dass man nicht helfen wolle. „Wir waren damals in den Gärten der Nachbarn, die uns dort mitteilten, dass es in erster Linie die Gemeinschaftsräume sind, die nachts für eine unzumutbare Ruhestörung sorgen würden.“
Fritz Grübl: „Vor vollendete Tatsachen gestellt“
Das werde geändert und dies wurde als einziger konkreter Grund für eine Ablehnung genannt. „Die Einrichtung selbst wurde als nicht störend beschrieben, auch von anderen Nachbarn. Deshalb spricht jetzt nichts mehr gegen eine Zustimmung“, so Hötzendorfer. Auch sein Fraktionskollege Fritz Grübl stimmte dem zu und ging auf die damalige Entscheidung im Bauausschuss ein.
Das geht so nicht, dass wir von oben herab unter dem Motto ,Friss oder stirb´behandelt und vor vollendete Tatsachen gestellt werden.
„Wir haben damals den Antrag deswegen abgelehnt, weil das Landratsamt Mietverträge mit Eigentümern von Immobilien abschließt, ohne vorher mit den Kommunen zu sprechen, diese zu informieren und ohne eine Nutzungsänderung zu beantragen“, erklärte er die Beweggründe. Deshalb habe es immer wieder Ärger gegeben, „das sollten wir uns nicht mehr gefallen lassen“. Von den Kreisräten forderte er eine Klarstellung gegenüber der Behörde, denn: „Das geht so nicht, dass wir von oben herab unter dem Motto ,Friss oder stirb‘ behandelt und vor vollendete Tatsachen gestellt werden.“
Oberbürgermeister mit wenig Hoffnung auf bessere Kommunikation
OB Lung teilte die kritischen Worte von Grübl und merkte an, er habe diese dem Landratsamt gegenüber schon mehrfach geäußert und angeregt, vor einer Belegung mit den Kommunen das Gespräch zu suchen. „Das ist leider nicht passiert und ich habe auch wenig Hoffnung, dass das in Zukunft passiert, aber ich werde nicht müde, das weiter zu betonen“, sagte er zu.
Lung machte jedoch darauf aufmerksam, dass in solchen Fällen das Landratsamt seiner staatlichen Aufgabe nachkomme und die Kreisräte darauf keinen Einfluss hätten. Und er erwähnte, dass schon beim Antrag im Ausschuss vor wenigen Monaten die Verlegung der Gemeinschaftsräume zugesagt wurde. „Das war schon damals die Forderung der Liste Lackner und der Freien Wähler. Daran haben wir uns orientiert und hart mit der Antragsstellerin verhandelt. Sie hätte es auch darauf ankommen lassen, aber sie hat sich darauf eingelassen und damit ging es in den Ausschuss“, deutete der Oberbürgermeister an, dass dieses Thema auch anders und schneller hätte gelöst werden können.
Als einer von zwei Stadträten lehnte Herbert Lackner den Antrag ab und begründete dies damit, dass die Regierung von Oberbayern keine Anhaltspunkte gegen eine Ablehnung eingewendet habe. Diesen Beitrag konterte Lung mit den Worten: „Es lohnt sich die Lektüre der genauen Passage in der Vorlage: Die Rechtsaufsicht sieht Unabwägbarkeiten und rät deswegen von der Aufhebung ab, weil es wahrscheinlich zu einer gerichtlichen Klärung kommt.“
„Wäre unseriös, auf eine vage Hoffnung zu setzen.“
Nachdem Lackner entgegnet hatte, dass zumindest die Rechtsaufsicht nicht eingeschritten sei und das Thema grundsätzlich wegen der Pläne der neuen Bundesregierung zur Reduzierung der Flüchtlingsströme zu überlegen sei, meinte Lung: „Sie als Jurist wissen es doch ganz genau und sie lesen auch die Tageszeitung: Der Bundeskanzler hat erst seine Entlassungspapiere bekommen und bleibt noch geschäftsführend im Amt, weil es eben noch keine Regierung gibt. Im Gegenteil: Wir wissen nicht, ob die Koalitionsverhandlungen erfolgreich laufen und ob die SPD den Plänen zustimmt.“
Doch der Stadtrat habe hier und heute über den gestellten Antrag zu befinden und nicht zu spekulieren, was vielleicht irgendwann mal eintreten könnte. „Es wäre unseriös, auf eine vage Hoffnung zu setzen“, so Lung, der sich über die vernünftige Diskussion und die Entscheidung über dieses „leidige und für uns alle unbequeme Thema“ bedankte. (ms)