Auch im Chiemgau und BGL
Aus Angst und Verzweiflung: Mieter wehren sich nicht mehr gegen Vermieter - „Steigt ins Uferlose“
Nebenkosten, Eigenbedarfskündigungen und Indexmietverträge: Der Mieterverein Chiemgau & Berchtesgadener Land wird immer häufiger mit diesen (Streit-)Themen konfrontiert. Auffällig ist, dass sich immer weniger Menschen trauen, sich gegen ihren Vermieter zu wehren. Andere wiederum unterschreiben aus Verzweiflung bei der Wohnungssuche Mietverträge, die sie später bereuen. Auch der bayerische Mieterbund bestätigt diesen Trend. Was sind die größten Probleme und wie könnten sie gelöst werden? Und worauf sollten Mieter und Wohnungssuchende achten?
Bad Reichenhall - Der Wohnungsmangel ist längst nicht nur in den Großstädten, sondern auch im ländlichen Raum zu einem Dauerproblem geworden. Zwar wird mancherorts versucht, dagegen anzukämpfen, wie das Beispiel Auenstraße in Bad Reichenhall zeigt. Doch die Verzweiflung ist schon lange bei vielen Menschen richtig groß, wie auch der Mieterverein Chiemgau & Berchtesgadener Land immer mehr mitbekommt. „Zum Problem werden immer mehr die Indexmietverträge. Damit können die Vermieter ständig die Miete erhöhen, ohne Probleme zu bekommen. Das geht ins Uferlose“, berichtet Rechtsanwältin Susanne Bulenda-Weiß.
Zusammen mit Christine Effner gibt sie den Mitgliedern in den Sprechzeiten Tipps, hört zu, zeigt Lösungen auf und macht klar, was Vermieter machen dürfen und was nicht. „Die Indexmietverträge sorgen dafür, dass manche Wohnungen für ihre Mieter kaum noch zu bezahlen sind. Doch die Schwierigkeit ist, dass sie nicht einfach ausziehen und woanders einziehen können, weil es an Wohnraum und damit an Alternativen fehlt.“
„Dieser Wohnraum fällt dann weg“
Die Landschaft der Region Chiemgau und Berchtesgadener Land ist quasi Fluch und Segen zugleich: Denn viele Menschen ziehen genau deswegen hierher und nehmen damit den Einheimischen den Wohnraum weg. Das bestätigt auch Bulenda-Weiß. „Viele suchen sich hier ihren Altersruhesitz und kaufen dann Wohnungen, die vorher lange als Ferienwohnungen genutzt wurden und leer standen. Dieser Wohnraum fällt dann weg.“ Eine weitere Entwicklung: Eigenbedarfskündigungen.
Die häufigsten Beratungsthemen der örtlichen Mietervereine im Jahr 2023
1. Betriebskosten (37,0 Prozent)
2. Wohnungsmängel (18,2 Prozent)
3. Allgemeine Vertragsangelegenheiten (12,4 Prozent)
4. Mieterhöhung/Vergleichsmiete (9,2 Prozent)
5. Mietkaution (5,0 Prozent)
6. Kündigung durch Vermietenden (4,9 Prozent)
7. Kündigung durch Mietenden (2,9 Prozent)
8. Schönheitsreparaturen (2,5 Prozent)
9. Modernisierung (1,9 Prozent)
10. Umwandlung/Eigentümerwechsel (0,7 Prozent)
Quelle: Deutscher Mieterbund
Das geht manchmal damit los, dass ein Haus verkauft wird und der neue Besitzer die alten Mieter hinauswerfen möchte, um das neue Eigentum selbst zu nutzen. „Das gibt es natürlich auch in anderen Städten. Aber hier bei uns kommen meistens Menschen, die mehr Geld haben und im Berchtesgadener Land eine Ferienwohnung oder ein Ferienhaus besitzen wollen“, schildert die Rechtsanwältin. Sie erlebte auch schon Fälle, in denen auf Eigenbedarf gekündigt wurde, weil angeblich ein Familienmitglied einziehen wollte. Wie sich dann herausstellte, wollte der Mieter nur teurere Mieten erzielen. „Wir haben dann natürlich für unser Mitglied auf Schadensersatz geklagt, weil durch den Umzug Kosten entstanden sind.“ Doch die Wohnung war dann natürlich trotzdem schon weg.
Angst vor der Kündigung
Wie Gabi Streb von der Geschäftsstelle berichtet, hatte sie kürzlich einen jungen Mann am Telefon. Dieser lebt seit Jahren in einer Dachgeschosswohnung, die er sich gerade so leisten kann. Im Mietvertrag sind 70 Quadratmeter notiert, aber da wurden die Dachschrägen nicht berücksichtigt und abgezogen. Zudem ist die Wohnung sehr schlecht isoliert. „Die hohen Nebenkosten sind nicht gerecht, aber er will nicht gegen den Vermieter vorgehen aus Angst, die Wohnung zu verlieren“, schildert Streb.
Und Rechtsanwältin Bulenda-Weiß erzählt von einem Fall, in dem die Mieterin und Vermieterin in einem Haus in unterschiedlich großen Wohnungen leben. „Und trotzdem sollen die Nebenkosten zur Hälfte geteilt werden, was natürlich total unfair ist.“ Auch hier steht die Mieterin unter Druck und müsste sich eigentlich dagegen wehren. „Aber sie sagt dann, dass sie nicht ausziehen will, weil sie dann nicht weiß wohin.“ Generell sind die gestiegenen Nebenkosten ein Thema, das in den vergangenen Monaten immer häufiger zum Streitpunkt wurde.
Wenn die wichtige Kappungsgrenze wegfällt
Der Bayerische Landesverband vom Deutschen Mieterbund bestätigt, dass es sich um allgemeine Entwicklungen handelt. Wie Geschäftsführerin Monika Schmid-Balzert berichtet, nehmen die Indexmietverträge stark zu. „Diese Art von Verträgen ist bei der derzeitigen hohen Inflation nachteilig für Mieter“, sagt sie und verdeutlicht das daran, dass bei diesen Verträgen auch Instrumente wie die Kappungsgrenze nicht gelten. Diese besagt, dass beispielsweise in München die Miete innerhalb von drei Jahren um maximal 15 Prozent erhöht werden darf. In nicht angespannten Wohnungsmärkten sind es sogar 20 Prozent.
Was ist ein Indexmietvertrag?
Dem Verband Haus & Grund zufolge geht es beim Indexmietvertrag darum, dass der Vermieter auf das Recht verzichtet, die Mieter immer wieder an Vergleichsmieten anzugleichen. Stattdessen erfolgt eine Erhöhung parallel zu den Lebensunterhaltungskosten, die vom Statistischen Bundesamt im Verbraucherpreisindex festgehalten werden. Dies hat mehrere Vor- und Nachteile, wie der Verband schreibt.
Schmid-Balzert macht noch auf ein weiteres Problem aufmerksam: „Es werden immer mehr Wohnungen möbliert vermietet. Was an Möblierungszuschlag verlangt werden darf, ist rechtlich schwammig, was manche Vermieter ausnutzen. Wir fordern hier verbindliche Regeln.“ Denn auch für möblierte Wohnungen gelte die gesetzliche die Mietpreisbremse. Es dürfe die ortsübliche Vergleichsmiete verlangt werden, plus zehn Prozent (Mietpreisbremse). „Darauf kommt der Möblierungszuschlag – und der müsste gesetzlich strenger geregelt werden.“
„Als Retourkutsche eine Eigenbedarfskündigung“
Auch die Geschäftsführerin betont, dass viele Leute verzweifelt sind, weil sie Angst haben, ihre Wohnung zu verlieren. Und deswegen trauen sich viele Mieter nicht, gegen Vermieter vorzugehen. „Sie haben Sorge, dann als Retourkutsche etwa eine Eigenbedarfskündigung zu erhalten. Diese ist aber bei Vermietern mit mehr als einer Wohnung nicht so einfach durchzusetzen“, verdeutlicht sie.
Ein Ausschluss der Mietminderung wäre für die Mieter sehr schlecht.
Zu den typischen Fallstricken bei Mietverträgen gehören Schmid-Balzert zufolge die Klein- und Schönheitsreparaturen. „Wenn die Klauseln unwirksam sind, muss der Mieter weder die Reparaturen durchführen noch diese bezahlen. Ein Ausschluss der Mietminderung wäre für die Mieter sehr schlecht.“ Doch Mieter müssen auch aufpassen: Wenn im Mietvertrag Mängel erwähnt sind, kann der Mieter nicht mehr aufgrund dieser bekannten Mängel die Miete mindern.
Nicht schon belastet ins Mietverhältnis gehen
Sie rät, vor Vertragsabschluss mit dem Vermieter zu reden, damit das Mietverhältnis nicht schon belastet beginnt. „Oft gibt es aber einen angespannten Wohnungsmarkt, auf dem nicht verhandelt werden kann, weil man sonst die Wohnung nicht bekommt. Wenn die Formulierung im Mietvertrag wirksam ist, kann man den Vertrag nur einvernehmlich ändern. Wenn die Klausel ohnehin unwirksam ist, hat der Mieter keine Nachteile. Dazu sollte man sich - am besten vor Vertragsabschluss - individuell beim Mieterverein beraten lassen“, meint die Chefin des Landesverbandes.
Ihre Forderungen in Richtung Politik sind eindeutig: „Die Regelungen für möblierten Wohnraum müssen genauer werden, sodass Mieter besser geschützt sind. Zum Beispiel muss der Möblierungszuschlag gedeckelt werden. Lücken der Mietpreisbremse müssen geschlossen werden.“ Außerdem forder der Verband einen sechsjährigen Mietenstopp, um Mieter zu schützen, bis wieder mehr bezahlbarer Wohnraum zur Verfügung steht.
Wohnungsprotokoll führen
Streb und Bulenda-Weiß vom Mietverein Chiemgau & Berchtesgadener Land raten dazu, beim Einzug ein genaues Wohnungsprotokoll anzufertigen. „Wenn Schäden von Vormietern nicht im Protokoll stehen, wird es schwierig, das nachzuweisen. Und im Zweifel wird der Mieter dafür verantwortlich gemacht.“ Auch das gehört zu den Problemen, die sie immer wieder erleben. Oder dass Vermieter die Kaution behalten oder nur zum Teil auszahlen, weil sie beispielsweise behaupten, es sei nicht schön gestrichen worden. Auch hier liegt die Hemmschwelle bei den Mietern hoch, vor Gericht zu gehen.
Aus ihrer Sicht würde ein kommunaler Mietpreisspiegel helfen. „Leider ist das vielen Städten und Kommunen zu teuer. Das Problem ist, dass Vermieter irgendwelchen Online-Portale zu Rate ziehen. Diese vermeintlichen Mietpreisspiegel entstehen anhand statistischer Erhebungen im Internet. Da werden die angebotenen Wohnungen und Preise verglichen, doch das ist als Mietpreisspiegel nicht gültig“, betont die Rechtsanwältin.
Wenn der Mieter nicht zustimme, müsse der Vermieter einen Sachverständigen einschalten, der die Wohnung bewertet, mit anderen Objekten vergleiche und einen angemessenen Preis analysiere. „Einen solchen Spiegel gibt es weder im Berchtesgadener Land noch in Rosenheim oder Traunstein. Deshalb nehmen viele Vermieter Indexmietverträge“, sagt Bulenda-Weiß. Es bräuchte ein Gremium aus Vertretern der Stadt, den Mieter- und Vermietervereinen, um einen kommunalen Mietpreisspiegel zu erstellen. „Aber leider lassen das viele Kommunen einfach schleifen.“ Dabei wäre auch das - neben dem Bau von bezahlbaren Wohnungen - eine Möglichkeit, die Situation zu entspannen. (ms)
