„Das alles ist wirklich nicht mehr schön“
Unerschwingliche Mieten: Berchtesgadenerin Karin Koll verlässt nach über 50 Jahren ihre Heimat
In ihrem Heimatort Berchtesgaden sieht Karin Koll keine Zukunft mehr für sich. Horrende Mieten und kaum Platz zu wohnen. „Das alles ist wirklich nicht mehr schön“, sagt die Berchtesgadenerin. Die 53-jährige examinierte Pflegefachkraft hat deshalb im Mai ihre Zelte abgebrochen, die Koffer gepackt und ist gemeinsam mit ihrem Mann nach Niederbayern gezogen. Dort fühlt sie sich wohler als gedacht. Einfach war die Entscheidung, zu gehen, trotzdem nicht.
Berchtesgaden/Thannberg - Was soll man sagen, wenn man ein Leben lang in Berchtesgaden wohnt? Wenn jedes Fleckchen bekannt ist, weil man hier aufwuchs, in die Schule ging, die Liebe kennenlernte? Wenn man also hier bleiben wollte, wo man immer gern gewohnt hat, aber die Situation einen nicht glücklich macht?
Die Region sei im Grunde ja wunderschön, sagt Karin Koll. Die Familie hatte sie um sich, auch die Freunde lebten gleich ums Eck. Dass der Traum nun nicht in der eigenen Heimat zu Ende geträumt wird, hat einen Grund, den Karin Koll lange Zeit nicht wahrhaben wollte: Wohnen ist in Berchtesgaden teuer geworden. Teurer als anderswo. Sie würde sagen: „Zu teuer.“
Karin wollte seit jeher einen eigenen Garten
Das liegt an der enormen Nachfrage und dem geringen Angebot. Egal ob alte oder neue Wohnung: Die Mieten sind stark gestiegen. Erst kürzlich hatte die Sparkasse Berchtesgadener Land fünf neue Wohnungen im Zentrum des Tourismusortes präsentiert - und dafür in sozialen Netzwerken harsche Kritik erfahren. „Eigentlich haben wir jahrelang nach einer entsprechenden Wohnung beziehungsweise einem Häuschen mit kleinem Garten gesucht“, sagt Karin Koll. Die Hundebesitzerin hat sich seit jeher einen eigenen Garten gewünscht.
In der Wohnsiedlung am Burgergraben in ihrer Heimat in Bischofswiesen wurde sie dann „zwangsumquartiert“, sagt sie. Das hat sie damals ziemlich genervt, dass sie ihre Wohnung verlassen und in ein ihr zugewiesenes Wohnobjekt musste. Ohne Balkon, ohne Garten. 600 Euro pro Monat. Ja, das war erschwinglich. Aber keine Lebensqualität, „man hockt nur in der Wohnung“, findet Karin Koll.
Wohnungen stehen fast das ganze Jahr leer
„In Berchtesgaden zu leben, ist für viele nicht mehr leistbar“, weiß die Pflegefachkraft. Lange Zeit hat sie in der mobilen Pflege gearbeitet. Sie kam viel herum im Talkessel. Sie hat gesehen, wer die Nachbarn ihrer zu pflegenden Patienten sind, woher sie kommen. Sie hat erfahren, dass mit Geld mehr möglich ist als ohne. Münchner etwa, zweimal im Jahr zu Gast in der schicken Wohnung nebenan. Der Rest des Jahres steht die Wohnung dann leer. „Es gibt zu viele Zweitwohnungen rund um Berchtesgaden“, befindet Karin Koll. „Derweil würden so viele Leute wie wir eine Wohnung brauchen“, sagt sie.
Seit 2013 war sie auf Wohnungssuche. Immer wieder hat sie die Augen offen gehalten. Ja, das Stück Garten war ihr wichtig. Aber irgendwie war nichts dabei, was für sie und ihren Ehemann passend erschien. Meistens waren die Angebote viel zu teuer, wenn der Garten dabei war. „Obwohl ich ja gar nicht so schlecht verdiene“, sagt die 53-Jährige.
„Da musste ich echt nicht lange überlegen“
Karin Kolls Mutter stammt aus Niederbayern. Die Region sei schön, sagt Karin Koll. Ihre Mutter ist also die Verbindung, die sie zu Niederbayern hat. Deshalb war es ihr auch nicht unangenehm, als sie vor einigen Monaten auf eBay-Kleinanzeigen ein Objekt fand, das genau ihren Vorstellungen entsprach. 90 Quadratmeter Wohnfläche: „Wir sind ja nur zu zweit“, sagt sie. Aber der Garten der Doppelhaushälfte, der überzeugte sie. 900 Quadratmeter.
Für die Hunde wäre das perfekt. Zur Aufwertung der Lebensqualität: optimal. Eine Garage ist auch dabei. Das Objekt ist komplett neu renoviert. 760 Euro Miete pro Monat - warm. „Da musste ich echt nicht lange überlegen.“ Mit ihrem Mann fuhr sie nach Niederbayern, Landkreis Freyung/Grafenau, nach Thannberg, dort steht das Häuschen, das sie so ansprach und das sie sich ja immer gewünscht hatte.
Schnitzel ist deutlich günstiger
Der Landkreis Grafenau/Freyung ist der östlichste Landkreis Bayerns, im Nordosten grenzt er an Tschechien. Die Region ist kein Tourismusgebiet und in keiner Weise mit Berchtesgaden vergleichbar. Das Schweineschnitzel gibt es dort noch für 9,50 Euro. In Berchtesgaden zahlt man zwischen 18 und 28 Euro, je nach Schnitzelvariante. Sie überlegte sich oft zweimal, ob sie zum Essen geht, sagt sie. Heute bleibt ihr deutlich mehr Geld übrig als in Berchtesgaden.
Das Paar war ganz überrascht
Vom Südosten, von Watzmann und Königssee aus, liegt Thannberg ein gutes Stück entfernt, 166 Kilometer, sagt Google Maps, fast zweieinhalb Stunden Fahrzeit. „Wir haben niemanden gekannt, die Sache mit der Arbeit war auch noch nicht geregelt“, als sich die beiden Berchtesgadener für den Umzug entschieden. Der Vermieter gab ihnen den Zuschlag. Damit hatte das Paar nicht gerechnet.
Also hat Karin Koll „ja“ gesagt, und dann gemeinsam mit ihrem Partner ihre Arbeitsstellen gekündigt. „In der Pflege findet man derzeit überall einen Platz in Deutschland“, sagt sie und fügt an: „Weil die Mieten so hoch sind, gibt es in Berchtesgaden jetzt zwei Pflegekräfte weniger.“ Genau dieser Umstand macht die gebürtige Berchtesgadenerin so sauer und traurig zugleich. Dass die, die normal verdienen, wie etwa Verkäuferinnen, Gastronomiefachkräfte oder Frisöre, kaum mehr die Möglichkeit haben, für normales Geld dort zu leben, wo sie auch arbeiten.
Niederbayern sei ebenfalls eine schöne Gegend
Karin Kolls Freundin ist alleinerziehend. Drei Arbeitsstellen braucht sie, um in Berchtesgaden über die Runden zu kommen und ihre Miete zahlen zu können. Viel Geld bleibt dann trotzdem nicht übrig. Die Preise in Berchtesgaden, findet Karin Koll, seien inzwischen „unrealistisch“ hoch, gleichgültig ob bei der Miete oder beim Essen. „Allerdings braucht die Region auch Arbeitskräfte, die nicht so gut verdienen. Andernfalls macht sich der Ort kaputt, wenn das so weitergeht“, sagt sie.
Dass Karin Koll in ihrer alten Heimat alles abgebrochen hat, schmerzt sie zwar. „Wir sehen uns alle jetzt seltener, dafür telefonieren wir.“ Sie ist aber auch zuversichtlich: Niederbayern sei ebenfalls eine schöne Gegend. Karin Koll ist gerne in ihrem neuen Garten, im Wald nebenan, einfach draußen. „Ich habe hier jetzt meinen Jagdschein gemacht“, sagt sie. Damit ist sie bald fertig. In Berchtesgaden hatte sie dazu nie die Muse.
kp