Zum ersten Mal in der Geschichte der Gemeinde
„Befragen wir die Bürger“: Ainringer sollen über die Reiter Alm selbst entscheiden
Der Bürgerantrag gegen die geplante psychosomatische Reha-Klinik an der Reiter Alm enthält über 1500 Unterschriften. Doch entspricht das der mehrheitlichen Meinung aller Einwohner Ainrings? Klarheit sollen nun ein Ratsbegehren und ein darauf folgender Bürgerentscheid bringen – ein Novum für die Gemeinde.
Ainring – Die rund 7000 Wahlberechtigten der Gemeinde sollen bald selbst entscheiden dürfen, wie es mit dem Projekt Reiter Alm weiter gehen soll. Mit Spannung wurde die Behandlung des Bürgerantrags erwartet. Alle Besucherplätze waren im Sitzungssaal am Dienstagabend (14. Mai) besetzt. Obwohl ein Bürgerantrag im Gremium lediglich behandelt werden muss, wollte der Gemeinderat einen Beschluss dazu fassen. Laut Beschlussvorlage sollte darüber abgestimmt werden, ob der Antrag angenommen und damit die Planungen eingestellt werden sollen. Doch es kam ganz anders.
Nach dem Sachvortrag durch Bauamtsleiter Thomas Fuchs ergriff Bürgermeister Martin Öttl das Wort. Es sei selbstverständlich und völlig in Ordnung gewesen, dass sich eine Bürgerinitiative gegründet habe. Schließlich lebe eine Demokratie von unterschiedlichen Meinungen. Was ihn störe, sei jedoch das „Wie“: „Die Behauptung von falschen Tatsachen, ohne sich vorher zu informieren, ist kein guter Stil“, so Öttl.
Falsch sei etwa die Behauptung gewesen, der Gemeinderat wolle die Reiter Alm abreißen lassen. Mit dieser Aussage seien viele zum Unterschreiben des Antrags überredet worden. Die Bürger hätten nicht die Möglichkeit gehabt, sich neutral zu informieren. „Ein Politik-Stil wie in den USA mit Fake-News, Radikalisierung und Spaltung darf nicht unser Ziel sein. Man kann für oder gegen etwas sein, aber Begriffe wie ‚Zerstörer unserer Heimat‘ haben in diesem Zusammenhang nichts verloren. Glauben Sie wirklich, wir, die wir hier sitzen, wollen uns persönlich bereichern oder einfach nur zerstören?“
Bürgermeister Öttl schlägt ein Ratsbegehren vor
Der Rat habe nach intensiver Vorarbeit mit lediglich vier Gegenstimmen einen mehrheitlichen Beschluss gefasst. Dennoch seien die mehr als 1500 Unterschriften ein „starkes Zeichen“. Daher schlug Öttl vor: „Starten wir ein Ratsbegehren und befragen wir die Bürger!“
Was ist ein Ratsbegehren?
Ein Ratsbegehren ist ein Beschluss des Gemeinderats, über eine Angelegenheit einen Bürgerentscheid stattfinden zu lassen. Im Gegensatz zu einem Bürgerbegehren – das die Initiatoren des Bürgerantrags auch in Erwägung gezogen hatten – ist hier keine erneute Sammlung von Unterschriften nötig. Die Bürger haben dann die Möglichkeit, per Bürgerentscheid über das vorgeschlagene Thema abzustimmen. In Ainring beträgt die notwendige Mindeststimmenzahl der Abstimmungsmehrheit 20 Prozent.
Für ein Ratsbegehren müsse jedoch zunächst der Bürgerantrag abgelehnt werden, so Öttl. Zudem könne das Ratsbegehren nicht nachträglich auf die Tagesordnung genommen werden, „da einige Räte abwesend sind und ihnen ansonsten die Chance genommen wird, an Beratung und Abstimmung teilzunehmen. Aber wir können eine klare Absichtserklärung treffen, dass wir das Ratsbegehren und den Bürgerentscheid starten wollen.“ In einer der nächsten Sitzungen solle dann das Ratsbegehren auf die Tagesordnung gesetzt werden.
Die Bürger sollen alle Informationen erhalten
Stefan Eberl (FW) erklärte, dass man innerhalb der Fraktion dem Aufstellungsbeschluss nicht einstimmig zugestimmt habe. Durch den Bürgerantrag seien die Fronten noch einmal verhärtet worden. „Wir haben durch das Ratsbegehren wieder zusammengefunden“, freute er sich.
Mehr Informationen über den Ablauf des Ratsbegehrens wollte Josef Ramstetter (CSU) haben. Fuchs erklärte, dass dieses möglichst schon im Juni beschlossen werden solle. Allerdings müsse die Gemeinde zunächst eine Satzung erlassen, was auch dazu führen könne, dass es zu einer zeitlichen Verschiebung kommt. Beim Bürgerentscheid soll auch Briefwahl möglich sein. Öttl ergänzte, dass die Bürger alle Informationen erhalten müssen, um sich eine eigene Meinung bilden zu können. Dazu gehören neben allen bereits erstellten Gutachten auch die Pläne der Investoren sowie die Bedenken der Bürgerinitiative. Alles zusammen könne man entweder auf die Website der Gemeinde, in die Gemeindezeitung oder auf einen Postwurf-Flyer geben.
Für einen Beschluss müssen 20 Prozent der Wahlberechtigten im Bürgerentscheid mit Ja oder Nein gestimmt haben. Die Abstimmung ersetzt dann gegebenenfalls den Beschluss des Gemeinderats und ist mindestens ein Jahr lang gültig. Falls es durch den Bürgerentscheid zu keiner Änderung des Aufstellungsbeschlusses kommt, gehen die Planungen an der Reiter Alm wie gehabt weiter. Als nächster Schritt im Bauleitplanverfahren würde hier die öffentliche Auslegung folgen, die wegen des Bürgerantrags erst einmal auf Eis gelegt wurde. Aber auch in der Auslegungsphase könne es noch sein, „dass ein Patt kommt, wo wir nicht drüber kommen“, so der Bürgermeister.
Falsche Behauptungen verhinderten die eigentliche Diskussion
Dr. Friedhelm Schneider (Grüne) bedauerte, dass die Diskussion unter den Bürgern zum Teil anonym geführt wurde. Er wünsche sich, „dass man den Arsch in der Hose hat, auch dazu zu stehen.“ Falsche Behauptungen, wie etwa, dass das Gebäude abgerissen werden soll, hätten die eigentliche Diskussion verhindert. Ihn persönlich hätte mehr interessiert, wie die Pflegekräfte im Winter zur Arbeit gelangen oder wie man das Personal angesichts der direkten Nachbarschaft zu Salzburg in der Gemeinde halten könne. „Aber wir mussten bei der Diskussion ganz woanders anfangen. Ich wünsche mir, dass sich das in Zukunft nicht wiederholt und sachliche Informationen einfließen.“
Wolfgang Hirner (Grüne) sagte, er könne zwar den meisten Argumenten des Bürgerantrags nicht zustimmen. Was allerdings bedacht werden müsse, sei die Tatsache, dass die Reiter Alm als Klinik für die nächsten 40, 50 Jahre ein „geschlossener Ort“ wäre. In diese Richtung solle der Gemeinderat auch in Zukunft mehr denken.
„Es ist gut, dass man die Bevölkerung befragt“, erklärte Sven Kluba (CSU). Allerdings müssten nun alle Fakten sachlich und neutral auf den Tisch. Von beiden Seiten sei die Diskussion nicht optimal gelaufen. So sei in der Gemeindezeitung per Faktencheck dargestellt worden, dass in Deutschland eine Unterversorgung bei der Betreuung psychosomatisch Erkrankter herrsche. Doch wichtig sei, wie es konkret in der Region aussehe. „50 Prozent der Betten in psychosomatischer Betreuung sind in Bayern.“ Zudem sei entscheidend, wie die Fragestellung im Bürgerentscheid formuliert werde. „Wir können gerne jemanden von der Bürgerinitiative hinzunehmen. Die Rechtsaufsicht prüft die Frage, ob sie genehmigungsfähig ist“, so der Bürgermeister.
Wie geht es nun weiter?
Der Bürgerantrag wurde schließlich mit 15 Gegenstimmen abgelehnt. Der Absichtserklärung, ein Ratsbegehren zu initiieren, stimmten 16 Mitglieder mit zwei Gegenstimmen zu. Als Nächstes wird nun die Satzung entsprechend erlassen. In einer der kommenden Sitzungen wird dann das Ratsbegehren auf der Tagesordnung stehen. Sollte dieses beschlossen werden, kann der Bürgerentscheid folgen.
Es würde sich hier übrigens um den ersten Bürgerentscheid in der Geschichte der Gemeinde Ainring handeln. Bürgermeister Öttl hierzu: „Allerdings gibt es immer irgendwann ein erstes Mal. Und wenn man nicht über so ein bedeutsames Thema wie die Reiter Alm die Bevölkerung befragt, dann stelle ich mir die Frage, wann dann?“
mf
