Kinderintensivmediziner warnen
Droht wieder Chaos in Kinderkliniken? - Warum die Vorzeichen dieses Jahr erneut schlecht stehen
Eltern harren stundenlang in Wartezimmern aus, schwer kranke Kinder müssen in ferne Kliniken transportiert werden: Das RS-Virus hat im vergangenen Winter für eine dramatische Situation gesorgt. Was bringt der nächste Winter? Die Angst vor einer neuerlichen Katastrophe wächst.
Von Sabine Dobel
München – Kinderintensivstationen könnten im kommenden Winter erneut überlastet sein. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) sagte am 5. August, er nehme entsprechende Warnungen von Kinderärzten sehr ernst. „Wir müssen alles dafür tun, dass wir diesen Winter nicht die gleiche dramatische Lage in den Kinderkliniken haben wie vergangenen Dezember“, sagte der Minister. Auch die Bundesregierung rief er zum Handeln auf.
Schon jetzt herrscht Mangel. Unsere Zeitung berichtete zuletzt, dass ein Bub (5) mit einer akuten Blinddarmentzündung über eine Stunde mit dem Krankenwagen in eine Klinik nach Niederbayern transportiert wurde, weil es in München keinen Platz gab.
„Wir steuern ungebremst auf die nächste Katastrophe zu“
Der Präsident der deutschen interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), Florian Hoffmann, hatte vor erneuten Engpässen gewarnt. „Wir steuern ungebremst auf die nächste Katastrophe zu“, sagte der Kinderintensivmediziner der „Augsburger Allgemeinen“. Vergangenen Winter sorgte das RS-Virus für volle Kliniken. Viele Kinderintensivstationen waren überlastet, schwer kranke Kinder mussten über hunderte Kilometer in andere Kliniken transportiert werden. In Notaufnahmen warteten Eltern und Kinder teils stundenlang.
Schon jetzt sind viele Kinderintensivstationen überlastet
Schon jetzt im Sommer seien viele Kinderintensivstationen überlastet, sagte Hoffmann. Ein Blick ins Intensivregister zeige, dass die Ampel bei derzeit zwölf bayerischen Kinderkliniken von Aschaffenburg über München und Memmingen bis Passau auf Rot stehe. Das bedeute, dass die Häuser nach Einschätzung der dort arbeitenden Ärzte keine weiteren Patienten aufnehmen könnten. Käme im Winter wieder eine Infektionswelle, träfe sie die Kinderintensivstationen hart. „Eltern werden wieder tagelang in Notaufnahmen schlafen müssen und ihre Kinder weite Wege in Kauf nehmen, um ein freies Bett zu finden.“
Minister Holetschek sagte, Bayern habe bereits ein Fünf-Millionen-Euro-Sofortprogramm aufgelegt. „Zudem fördern wir den Aufbau einer virtuellen Kinderklinik, um die Kinderkliniken gerade bei Krankheitswellen noch stärker zu vernetzen.“ Er wolle auch mit Fachleuten der Kinder- und Jugendmedizin über Maßnahmen sprechen.
Holetschek forderte seinen Berliner Kollegen Karl Lauterbach (SPD) auf, im Zuge der Krankenhausreform im Kinderbereich nachzubessern. Für deren Behandlung brauche es neben stationären Versorgungsstrukturen auch eine angemessene Vergütung. Bayern setze sich dafür ein, Kinderkliniken eine Abrechnung als besondere Einrichtungen mit individuellen Entgelten zu ermöglichen. Er begrüße die zusätzlichen Mittel des Bundes für die Vergütung stationärer Behandlungen von Kindern und Jugendlichen in diesem und nächstem Jahr. „Aber wir brauchen dringend langfristige Lösungen.“
2022 stellte Gesundheitsminister Lauterbach demnach 300 Millionen Euro Soforthilfe zur Verfügung. Von diesem Geld sei in den Abteilungen aber quasi nichts angekommen, sagte Divi-Präsident Hoffmann. In den kommenden beiden Jahren stünden für die Kinder- und Jugendmedizin wieder 300 Millionen Euro bereit, teilte das Gesundheitsministerium der „Augsburger Allgemeinen“ zufolge mit. Zudem verwies das Ministerium auf die Krankenhausreform, die für die Kinder- und Jugendmedizin ein zusätzliches Budget vorsehe.