Ordnungswidrigkeit statt Straftat?
Unfallflucht neu regeln? Was Polizei und Richter vom Vorschlag des Justizministers halten
Nahezu täglich ist auch in Waldkraiburg von Unfallflucht zu lesen. Bundesjustizminister Buschmann (FDP) möchte die Straftat in Teilen entkriminalisieren. Polizei und Richter sind davon gar nicht begeistert.
Waldkraiburg – Nahezu täglich berichtet die Polizei in ihren Pressemitteilungen von einem Unfall mit Fahrerflucht und bittet, dass sich Zeugen melden. Denn sonst sieht es mit der Aufklärung düster aus.
„Wenn es keiner sieht und sich meldet und wenn keine Teile am Unfallort zurückbleiben, ist die Aufklärung sehr schwierig“, weiß Polizeihauptkommissar Erich Gottwald, der bei der Polizeiinspektion Waldkraiburg für Verkehr zuständig ist. In den vergangenen zehn Jahren kamen im Schnitt zwei von drei Unfallflüchtigen ungeschoren davon.
Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort ist eine Straftat, die mit einer Geldbuße oder bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft wird. Auch Fahrverbot und Punkte in Flensburg sind möglich.
Straftat bei einem einfachen Blechschaden?
Doch steht das nach einem einfachen Blechschaden dafür? Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) meint Nein und möchte die Fahrerflucht bei reinen Sachschäden zu einer Ordnungswidrigkeit herabstufen und die Täter entkriminalisieren
Polizist Gottwald ist skeptisch: „Schon jetzt geben sich nur ganz wenige zu erkennen. Wenn es eine Ordnungswidrigkeit ist, dann werden es noch weniger.“
Herabstufung zu einem „Kavaliersdelikt“
Auch der Deutsche Richterbund warnt, dass Ordnungswidrigkeiten häufig nur als „Kavaliersdelikt“ wahrgenommen würden. Es stünde zu befürchten, „dass infolge der geplanten Reform die Warte- oder Meldebereitschaft nach Unfällen weiter sinken würde.“
In den vergangenen zehn Jahren kam es im Bereich der Polizeiinspektion Waldkraiburg zu 5751 Unfällen. Zwölf Prozent waren mit Unfallflucht. Davon wurden 35 Prozent aufgeklärt. Anders ausgedrückt: Zwei von drei Flüchtigen kamen davon.
Das Polizeipräsidium Oberbayern Süd verzeichnete im vergangenen Jahr 36.659 Verkehrsunfälle; ein Fünftel mit Unfallflucht. Knapp vier von zehn Flüchtigen konnten ermittelt werden.
Polizei und Richter hätten nicht weniger Arbeit
Würde das aber nicht die Polizei entlasten? Polizist Gottwald: „Es wäre für uns vielleicht ein bisschen weniger Arbeit, aber dem Normalbürger wäre nicht geholfen.“
Polizeioberkommissar Maximilian Maier, Pressesprecher im Polizeipräsidium Oberbayern Süd, verweist auf die Spurensicherung, Vernehmungen und Ermittlungen durch die Polizei. Die seien weiterhin notwendig: „Eine Vereinfachung für den polizeilichen Alltag ergibt sich durch die Änderung sichtlich nicht. Vielmehr ist mit einer Zunahme der polizeilichen Arbeit zu rechnen, da die Polizei bei Verkehrsordnungswidrigkeiten auch als Verfolgungs- und Bußgeldbehörde fungiert.“
Der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Florian Leitner, ergänzt: „Auch für die Justiz gibt es keine Entlastung, da viele gegen die Bußgeldbescheide Einspruch erheben werden und die Gerichte letztendlich wieder beschäftigt sind.“ Diese Sorge teilt auch der Deutsche Richterbund.
„Aus rechtspolitischer Sicht verfehlt“
Richterin Barbara Stockinger, Vorsitzende des Bayerischen Richtervereins, verweist auf die Stellungnahme des Deutschen Richterbundes. Der erklärt: Die bisherige Rechtslage habe sich in der Praxis bewährt. „Die angedachte Herabstufung der Unfallflucht nach reinen Sachschäden zu einer Ordnungswidrigkeit ist aus rechtspolitischer Sicht verfehlt.“
GdP-Landesvorsitzende Leitner geht mit den Vorstellungen noch härter ins Gericht: „Wir als GdP Bayern sind über den Vorstoß zur Verharmlosung dieser Straftat sehr verwundert. Die Planungen zeigen deutlich, dass hier Politiker am Werk sind, die sich von der Praxis weit entfernt haben. Die ‚Entkriminalisierung‘ geht in die völlig falsche Richtung.“
„Unrecht muss Unrecht bleiben“
Vielmehr sollten die Strafen angehoben werden, so Leitner: „Gesetze sind dafür da, die Bürger zu schützen! Mit der geplanten Änderung agiert man hingegen gegen die Bevölkerung, denn Autofahrer bleiben auf ihren Schäden sitzen und die Versicherungsprämien werden steigen. Unsere Aufgabe muss es sein, die Bürgerinnen und Bürger bestmöglich zu schützen. Unrecht muss auch Unrecht bleiben und darf nicht verharmlost werden. Diese Initiative ist ein weiterer Versuch, bewährte und sinnvolle Strafgesetze zu ändern.“
Wie sollte man sich nach einem Unfall verhalten?
Wer einen Unfall verursacht, darf sich erst nach einer angemessenen Zeit vom Unfallort entfernen, wenn der Geschädigte nicht auftaucht. „Wartezeit: 20 bis 30 Minuten“, erklärt Polizist Erich Gottwald. Dann kann der Verursacher einen deutlichen und lesbaren Zettel mit Adresse und Telefonnummer hinterlassen und sich entfernen. „Und wenn man es ganz korrekt macht, noch kurz bei der Polizei anrufen“, empfiehlt Gottwald. „Dann sind sie aus dem Schneider.“
