Tod von Alois Glück aus Traunwalchen
Autodidakt und Versöhner – leise und wirkmächtig: Nachruf auf einen ganz besonderen Politiker
Bayern trauert um Alois Glück. Ein kleiner Mann aus Hörzing wurde ein ganz Großer in der Politik: als Nachdenker, nie Nachläufer. Er war, wo nötig, ein Gegengewicht zu Stoiber, aber auch eine Stütze für Söder. Nachruf auf einen Unbequemen.
München – Er hat die Lobreden und die Worthülsen nie gemocht, und einmal hat er sie sich schroff verbeten. Es war zu seinem 65. Geburtstag, die Parteifreunde hatten wieder allerlei Feiern vorbereitet, ehrliche Reden und mittelehrliche – da äußerte Alois Glück eine dringende Bitte. Eigentlich wolle er überhaupt nicht feiern, aber wenn es schon sein müsse, dann solle ihm ja niemand die Floskel „Bleib, wie Du bist“ sagen. „Weil ich mich verändern will. Für mich ist Leben Veränderung.“
Nie unverändert zu erstarren, aber sich treu zu bleiben: Das hat Alois Glück geschafft. Sein Leben war immer Veränderung, im besten Fall eine Veränderung der Umstände zum Guten. Der Bauernbub aus Hörzing bei Traunstein wollte zunächst gar nicht in die Politik. Mit 17 musste er in die Führung des Hofs der Eltern einsteigen, der Vater war im Weltkrieg gefallen. Später wurde er Landessekretär der Katholischen Landjugend, werkelte parallel als freier Journalist. 1970, eher ungeplant, dann die Landtagskandidatur. Als junger Umweltpolitiker, damals ein Nebenthema, begann er seine Karriere. 1974 durfte er den Umweltausschuss leiten, das galt noch immer nicht als wichtig, allerlei namenlose Neulinge wurden in dem Gremium verräumt, sie hießen Edmund Stoiber, Kurt Faltlhauser, Erwin Huber und Otto Wiesheu.
Ach! Genau jener Zirkel sollte später über ein, zwei Jahrzehnte Bayerns Politik prägen als Ministerpräsidenten, wuchtige Minister und wichtige Parteichefs. Glück als Nichtjurist, Autodidakt, Unstudierter, mitten unter ihnen, und das in seinem sehr wechselvollen Verhältnis. Sein Aufstieg in Fakten ist schnell erzählt: 1986 zwei Jahre lang Umwelt-Staatssekretär, ab 1988 stolze 15 Jahre Chef der CSU-Fraktion, dann 2003 bis 2008 noch Präsident des Landtags; parallel das in der CSU sehr wichtige Parteiamt als Oberbayern-Vorsitzender bis 2007. Spannender ist, wie er die Ämter ausfüllte, wo er aneckte.
„Er sprach leise und schrieb pausenlos“: Glück war Autodidakt
„Ich hatte nie einen Förderer, ich bin meinen Weg aus eigener Kraft gegangen“, erzählte er einst. „In den ersten zehn Jahren war ich den Führenden eher verdächtig.“ Der Verdacht wich nach einigen Jahren dem Gefühl der Verlässlichkeit, dass dieser Glück zwar ein Unbequemer, aber ein Geradliniger ist, eher Denker als Brüller. „Er trank wenig Bier, spielte kaum Schafkopf, sprach leise und schrieb, schrieb pausenlos“, so sagte CSU-Urgestein Peter Gauweiler mal. „Er bekam damit nach anfänglichem Spott ein etwas nervensägerisches Image, was dann aber schnell zu einer beträchtlichen Wirksamkeit führte.“
Oh ja, er konnte schon langatmig sein. Eine Zeit lang führten bayerische Reporter Strichlisten, wie oft er in seinen Auftritten vom „Wurzelgeflecht“ und von der „Wegstrecke“ sprach, zwei so typische Glück-Worte aus der Natur- und Bergsteigerwelt, deren Formeln er gern in die Politik übertrug. Die Spöttelei verstummte, als sich Glück als ein sehr zielstrebiger, machtbewusster und zu Widerspruch bereiter CSU-Fraktionschef entpuppte. Er war es, der dem Ministerpräsidenten Stoiber widersprach. Wann immer er es für unausweichlich hielt, sagte er dem Eeedmund (er sprach ihn immer so aus) die ungeschminkte Meinung. Meist leise, selten laut, insgesamt eine Tugend, die in der Partei heute nicht weit verbreitet ist. Sobald er mit seiner knarzenden Stimme „Obacht“ sagte, wusste die CSU jedenfalls, jetzt ist es ernst. Und es entstand eine Art Gleichgewicht zwischen Stoiber, der dauernd Ideen hatte, und Glück, der dauernd Bedenken hatte.
Behinderter Sohn prägte sein „Interesse an den Schwachen“
In den Medien wurde Alois Glück damit immer mehr zur „Grauen Eminenz“. Wobei grau gar nicht passt zu seiner sehr rosigen Gesichtsfarbe, die er bei zahllosen Bergtouren pflegte. Jene Aufstiege auf den Berg waren übrigens auch eine der seltenen Gelegenheiten, ein paar Worte über den Privatmann zu erfahren. Was nicht so viele wissen: Glück, zweifacher Familienvater, hat einen schwerst behinderten Sohn. Thomas erkrankte nach einer Impfung mit acht Monaten 1967 an Gehirnhautentzündung, blieb ein Pflegefall. „Das war prägend für meine Weltsicht“, sagte Alois Glück einmal mit belegter Stimme, „für mein Interesse an den Schwachen. Es hat mich davor bewahrt, nur die Welt der Öffentlichkeit zu sehen.“
Der Glaube, sein Engagement in der katholischen Kirche gehören untrennbar zu seiner Arbeit. Sechs Jahre lang, bis 2015, führte er das Zentralkomitee der Katholiken. Er warb für eine behutsame, aber spürbare Öffnung der Kirche etwa für Wiederverheiratete. Glück brannte für eine menschennahe Kirche, lehnte Gehorsamsglauben ab. Er haderte zutiefst, als die Kirche aus dem staatlichen Beratungssystem zur Abtreibung ausstieg, wurde ein Mitbegründer des Laienvereins Donum Vitae.
Glück überwand die Spaltung zwischen Bauern und Naturschützern
Irgendwann dann war dieser ruhige, aber rastlose Politiker im Ruhestand. Hatte die Ehrenämter abgegeben, darunter den Vorsitz der Bergwacht und in der Hospizbewegung. Dann klingelte 2019 das Telefon, Markus Söder war dran mit einer flehentlichen Bitte: Er brauche einen Vermittler im „Bienen“-Volksbegehren, das wie noch kein anderes das Land aufwühlte. Glück erbat sich Bedenkzeit, wusste aber schon, er würde zusagen. „Das war teils schon mörderisch und eine Gefahr für die Gesundheit“, sagte er unserer Zeitung später über jene Monate. „Mehr telefoniert habe ich nie in meinem Leben.“ Aber der gelernte Umweltpolitiker überwand die Spaltung zwischen Bauern, Naturschützern, Wirtschaft und Politik, fand Kompromisse, heilte.
In den vergangenen Monaten hat er sich dann zurückgezogen. Dass er in ein Münchner Krankenhaus eingeliefert wurde, Schlaganfall, blieb öffentlich unbekannt. Am Montagmorgen (26. Februar) starb er. Die Todesnachricht traf Bayern überraschend. Aus vielen Reaktionen spricht Trauer und – ehrlicher – Respekt.
Was wird von Glück bleiben? Veränderungen. Bewegung. Begegnungen. Im Gipfelbuch der Gedererwand hat ein Wanderer vor vielen Jahren einen Eintrag über eine Zufallsbekanntschaft hinterlassen. „22. Juni 2003, 6:30 Uhr; den Glück, CSU, getroffen, der war auf dem Weg zur Kampen. Ich glaub, Politiker, die so früh mit einem guten Tempo den Berg hinaufrennen, das sind die Richtigen.“