Interview mit Ursula Münch
Politologin über Erdinger Demo und Hubert Aiwanger: „Abstrus und niveaulos“
Mit der Aussage, dass sich die schweigende Mehrheit die Demokratie zurückholen müsse, hat Hubert Aiwanger für Wirbel gesorgt. Zu dessen Erdinger Rede sagt Ursula Münch, Direktorin der Akademie für politische Bildung Tutzing, im Interview: „Wie sehr wollen wir uns bestimmten Wählern und ihren Fehlwahrnehmungen anbiedern?“
War der Auftritt von Söder und Aiwanger in Erding klug?
Ursula Münch: Meines Erachtens nicht. Es war im Grunde von vorneherein klar, dass bei der Erdinger Veranstaltung eine ,feindliche Übernahme‘ durch AfD-nahes Publikum stattfinden würde. Damit sind Söder und Aiwanger sehr unterschiedlich umgegangen. Ich vermute, dass Söder überrascht war, dass er ausgebuht wurde und ihm eine so feindliche Stimmung entgegenschlug. Aber er hat dem zumindest etwas entgegengesetzt, während Aiwanger auf der Welle mitgeritten ist.
Ist der Ausspruch von Aiwanger, man müsse sich die Demokratie wieder zurückholen, nicht typischer AfD-Sprech?
Münch: In dem Fall finde ich ja. Man sollte generell ja vorsichtig sein: Nicht alles, was Politiker sagen, ist deshalb verwerflich, weil auch die AfD so redet. Aber in dem Fall mache ich jetzt tatsächlich eine Ausnahme und sage: Das ist unangemessen. Man kann nicht sagen, weil in Berlin eine andere Regierung an der Macht ist als in Bayern, ist uns dadurch schon die Demokratie abhandengekommen. Diese Aussage ist meines Erachtens abstrus und niveaulos.
Aiwanger und seine Verteidiger sagen, es gehe ihnen darum, potenzielle AfD-Wähler zu den demokratischen Parteien zurückzuholen.
Münch: Sicher, es ist eine plausible Annahme, dass der Wähleranteil der AfD in Bayern ohne die Freien Wähler etwas höher wäre. Aber die Unterstellung, unsere Demokratie würde deshalb nicht funktionieren, weil die Bundesregierung einen zugegebenermaßen unausgegorenen Gesetzentwurf zum Heizen auf den Weg gebracht hat, ist sachlich falsch. Selbst wenn speziell dieser Ausspruch AfD-Wähler zurückholen würde, frage ich mich: Wie sehr wollen wir uns bestimmten Wählern und ihren Fehlwahrnehmungen anbiedern?
Die Freien Wähler sagen, dem Chef seien halt die Emotionen durchgegangen.
Münch: Aiwanger spricht immer frei, das hat er sich nirgends notiert, das ist schon klar. Aber er ist ein kluger Kopf, er kennt Bierzeltatmosphäre. In Erding wusste er, was ihn erwartet und wie er die Stimmung zum Kochen bringt.
Soll er sich entschuldigen?
Münch: Ach nein. Man sollte jetzt auch nicht zu viel Theater um die Veranstaltung machen. Die haben sich selber keinen Gefallen getan.
Sehen Sie auch eine „grüne Bevormundung“ vom Fleischverbot übers Gendern bis hin zum Heizgesetz – oder wird hier ein politischer Gegner dämonisiert?
Münch: Hier wird übertrieben. Ich teile vieles nicht, was von den Grünen kommt. Aber zu behaupten, wie die Frau Gruber, dass uns jetzt Vegetarismus vorgeschrieben wird, das ist schlicht und ergreifend sachlicher Unfug.
Was wären denn Ihre Ratschläge, den Höhenflug der AfD zu bremsen?
Münch: Eine Einzelmaßnahme ist es garantiert nicht. Mit Ankündigungen zu regieren, reicht nicht, wie wir beim Heizungsgesetz sehen. Wir brauchen eine handlungsfähige Politik.
Können Sie das kurz umreißen?
Münch: Die Leute wollen eine bessere Migrationspolitik, und in der Tat gibt es durch den jüngsten EU-Beschluss da Bewegung in der Sache. Sie wollen eine bessere Infrastruktur, eine schneller digitalisierte Verwaltung. Die Leute wollen doch nicht ständig über Gendersternchen reden. Wenn man ihnen mit Fehlinformationen einredet, was angeblich alles verboten ist, betreibt man das Geschäft der AfD.