Neue Bundesländer
Unternehmer warnt nach Wahl: „Das ist die Beschleunigung der Deindustrialisierung Ostdeutschlands“
Die jüngsten Wahlen in Thüringen und Sachsen haben eine Verschiebung nach rechts bewirkt. Wirtschaftsexperten warnen vor wirtschaftlichen Auswirkungen - ein Unternehmer auch für die anderen neuen Bundesländer.
Berlin – Bei den Wahlen in Thüringen und Sachsen am Sonntag (1. September) erzielten die rechtspopulistische AfD und das neue Bündnis Sahra Wagenknecht große Erfolge. Die etablierten Parteien wurden dagegen abgestraft. Das könnte auch wirtschaftliche Konsequenzen haben – vor allem der Rechtsruck durch den AfD-Wahlerfolg dürfte abschreckend auf Fachkräfte von außen wirken.
Rechtsruck in Thüringen und Sachsen: Ökonom befürchtet Anstieg von Insolvenzen
Denn die AfD stehe für Protektionismus und eine Abschottung von Europa, für weniger Zuwanderung von Fachkräften und eine geringere Offenheit und Vielfalt, sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher. Er halte es für sehr wahrscheinlich, dass die Wahlergebnisse zu einer Abwanderung von Unternehmen und auch Fachkräften führen werde.
„Vor allem junge, gut qualifizierte und hoch motivierte Bürgerinnen und Bürger werden die beiden Bundesländer verlassen und dorthin gehen, wo sie mehr Offenheit und Wertschätzung erfahren“, sagte der Ökonom. „Dies dürfte einen Anstieg der Insolvenzen und einen Exodus von Unternehmen zur Folge haben.“
Unternehmer nach Wahl: „Das ist die Beschleunigung der Deindustrialisierung Ostdeutschlands“
Ein Unternehmer aus Sachsen-Anhalt befürchtet sogar, dass der Rechtsruck in Thüringen und Sachsen auch negative Konsequenzen für die Standorte in den anderen neuen Bundesländern haben könnte. Daniel Hannemann, Gründer der Stromspeicherfirma Tesvolt aus Wittenberg in Sachsen-Anhalt, sagte dem Spiegel zu den Wahlergebnissen: „Das ist die Beschleunigung der Deindustrialisierung Ostdeutschlands. Die Wohlfahrtsverluste werden zunehmen, die Spreizung zwischen Arm und Reich größer werden.“
Thüringens AfD-Landeschef Björn Höcke habe ja gesagt, dass es Unternehmen, die für Vielfalt stehen, schlecht gehen solle. Antworten, wie die Wirtschaft vorankommen solle, habe er jedenfalls nicht. „Aber die AfD kann jetzt in vielen Landesausschüssen ihre Politik durchsetzen und zum Beispiel die Integration von internationalen Fachkräften und ihren Familien erschweren oder lokal wichtige Wirtschaftsansiedlungen verhindern“, so Hannemann dem Magazin. „Wir sehen ja, dass die blaue Welle durchs Land schwappt und mit ihrem Populismus das Klima vergiftet. Das wird immer mehr zum Problem, auch für Tesvolt.“ 30 Prozent der Belegschaft seien internationale Fachkräfte aus Indien, Syrien oder Afrika. „Diese Fachleute haben wir in Deutschland nicht, und ohne sie können wir nicht arbeiten.“
Man werde gezwungen, „Investitionen hier vor Ort zu überdenken“, gerade im Bereich Forschung und Entwicklung, warnt der Unternehmer im Gespräch mit dem Spiegel weiter. „Im Extremfall“ müsse man sogar generell über den Standort nachdenken. „Die AfD ist klar gegen Klimaneutralität und Maßnahmen zur Immigration internationaler Fachkräfte. Das passt nicht mit unserem Geschäftsmodell zusammen.“
Wirtschaftsweise: Thüringen und Sachsen dürften noch mehr Bevölkerung verlieren
Auch die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer warnte vor einer weiteren Verschärfung des Arbeitskräftemangels als Konsequenz des Rechtsrucks. „Unternehmensnachfolgen würden erschwert, gegebenenfalls könnte das zu Firmenaufgaben führen“, sagte die Vorsitzende des Sachverständigenrates gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters.
Staatliche Institutionen, medizinische und Bildungseinrichtungen litten ebenfalls unter Fachkräftemangel und würden dadurch weiter ihre Leistungen verringern müssen. Beide Freistaaten hätten seit der Wiedervereinigung etwa ein Fünftel der Bevölkerung verloren. Einige Landkreise dürften in den kommenden Jahren weitere 20 bis 30 Prozent der Erwerbsbevölkerung verlieren. „Der jetzt schon bestehende Fachkräftemangel wird sich also noch weiter verschärfen“, sagte die Top-Ökonomin und fügte mit Blick auf die AfD hinzu: „Die Ablehnung von qualifizierter Zuwanderung ist an der Stelle das falsche Signal, denn sie wird Fachkräfte davon abhalten, diese Bundesländer als Option in Erwägung zu ziehen.“ Mit Material von Reuters