Ukraine-Krieg
Rheinmetall wartet auf Bestellungen – und könnte ein Drittel des Bedarfs der Ukraine decken
Seit Jahren unterstützt Deutschland die Ukraine mit Munition und Ausrüstung. Oft kommt es zu Verzögerungen. Rheinmetall könnte mehr liefern, braucht aber Aufträge.
Düsseldorf – Was die Auftragslage in der Rüstungsindustrie angeht, sind die Meinungen geteilt. Die Bundeswehr verweist auf ihre Bestellungen, vonseiten der Hersteller aber kommen immer wieder Warnungen, dass es zu wenige Aufträge gibt. Gerade der Rüstungsriese Rheinmetall wartet nur so darauf, die Produktion für Panzer und Munition auszuweiten, um die Ukraine zu unterstützen. Neuen Einschätzungen zufolge könnte Rheinmetall ein Drittel des ukrainischen Bedarfs decken.
Rheinmetall pocht auf Aufträge – und peilt 1,1 Millionen Granaten pro Jahr an
700.000 155-mm-Artilleriegeschosse: So viel will Rheinmetall im Jahr 2024 produzieren. Fast alle davon sollen in der Ukraine zum Einsatz kommen. Das bekräftigte der Rheinmetall-Chef gegenüber dem Handelsblatt. Erst vor Kurzem hatte Rheinmetall außerdem vonseiten der Europäischen Union (EU) den Zuschlag für Fördergelder in Höhe von 130 Millionen Euro erhalten, die in die Munitionsproduktion fließen. Dahinter steht das Act of Support in Ammunition Production (ASAP), ein europäisches Programm zur Produktionsausweitung von 155mm-Artilleriemunition und Pulver.
Insgesamt hatte die EU über das ASAP 500 Millionen Euro vergeben: Ein Viertel davon fließt nun in Projekte der Rheinmetall AG. „Wir sind dankbar für das Vertrauen der Europäischen Union, mit Rheinmetall einen der wichtigsten europäischen Lieferanten für 155mm-Munition bei der Förderung maßgeblich zu berücksichtigen“, sagte Papperger in einer Unternehmensmeldung. Seit 2022 erhöht Rheinmetall die Produktionskapazitäten. Bis 2027, so jedenfalls der Plan, will der Konzern 1,1 Millionen Artilleriegranaten pro Jahr produzieren. Außerdem sollen ab 2026 rund 1,5 Millionen Treibladungsmodule vom Band gehen.
Wie Rheinmetall bei der Verteidigung hilft
155-mm-Artilleriegeschosse sind eine der wichtigsten Munitionsarten im Ukraine-Krieg, sowohl das Verteidigerland als auch der Aggressor Russland nutzen sie exzessiv. Papperger zufolge ist Rheinmetall in der Lage, sogenannte staustrahlgestützte (englisch: ramjet) 155-mm-Geschosse zu liefern, die eine Reichweite von bis zu 100 Kilometern haben. Zum Vergleich: Die ersten an die Ukraine gelieferten HIMARS-Raketen schafften 80 Kilometer. Nach dem Verlassen des Rohres zündet bei Ramjet-Munition ein zusätzliches Triebwerk, das die Geschosse beschleunigt.
Rheinmetall testet diese Technologie bereits seit ein paar Jahren in Zusammenarbeit mit norwegischen und US-amerikanischen Artillerieherstellern. 2023 hatte schon der italienische Hersteller Leonardo kleinere Mengen von Ramjet-Granaten mit einer Reichweite bis zu 75 Kilometer geliefert – die überwiegend von Russland genutzten konventionellen Geschosse schaffen laut der Kyivpost halb so viel. Die simple Idee dahinter: Mit solcher Munition wäre es der Ukraine möglich, russische Ziele zu treffen, ohne Gefahr laufen, selbst beschossen zu werden. Die Kyivpost geht davon aus, dass Rheinmetall ein Drittel des ukrainischen Bedarfs an 155-mm-Artilleriemunition decken könnte – gesetzt dem Falle, dass die Ukraine konservativ damit umgeht.
Zuerst zögerlich – Deutschland liefert zunehmend High-Tech
Deutschland hatte der Ukraine bislang materielle Militärhilfe in Höhe von rund 28 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Zu Beginn des Krieges hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) noch gezögert, hochtechnologische Militärhilfe zu liefern, aber seit Ende 2023 schickt die Bundesrepublik zunehmend fortgeschrittene Technik – hierin liegt eigentlich die Stärke der westlichen Nationen. Die Ukraine hatte sich lange auf die 155-mm-Artillerie verlassen, die der Westen aber seit Jahrzehnten nicht mehr wirklich produziert. Seit dem Kalten Krieg hatte der Bedarf stetig nachgelassen.
Zum Beispiel hatte Deutschland nun SMArt 155-mm-Granaten geschickt, ein Projektil, das extreme Distanzen schafft und Sub-Munition abfeuern kann. Außerdem stammt das IRIS-T-Raketensystem aus Deutschland, das sich als eine der wirksamsten Waffen gegen die massenhaft abgefeuerten Shahed-Drohnen aus Russland herausgestellt hat.
Laut Rheinmetall-Chef Papperger ist die deutsche Industrie durchaus in der Lage, die Produktionsleistung moderner Waffen in den benötigten Mengen zu steigern. Allerdings müsse die Bundesregierung dazu eine Verpflichtung eingehen, bis Ende der Zwanzigerjahre neue Mittel für den Erwerb von Großwaffen bereitzustellen und groß angelegte Käufe zu tätigen. Bis Ende 2026 ist das Sonderbudget Bundeswehr aufgebraucht – Verteidigungsminister Boris Pistorius hatte bereits verlangt, dass mehr Mittel aus dem regulären Haushalt in die Verteidigung fließen müssten.
Europäische Verteidigung
Innerhalb der letzten Monate hatte die Ukraine mit einem Munitionsmangel zu kämpfen. Weil die westlichen Staaten oft nur zögerlich Unterstützung schicken, hatten die Verteidiger ihre eigene Produktion drastisch hochgefahren. Die ukrainischen Rüstungsunternehmen produzierten 2023 dreimal so viele gepanzerte Fahrzeuge wie zuvor, die Produktion von Panzerabwehrraketen ist viermal so hoch, berichtete die New York Times.
In Europa sind aktuell verstärkt Bemühungen zu mehr Kooperation im Rüstungssektor erkennbar. Aus der Politik kam bereits die Idee einer europäischen Armee. Und Rheinmetall? Der Rüstungsriese ist bestrebt, sich zu einem globalen Player zu entwickeln, und brachte erst kürzlich die Idee eines europäischen Systemhauses ins Spiel.
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