Vor allem bei Sozialwohnungen
Deutschland braucht Wohnraum – doch die Ampel baut den Bestand ab: „Gab es so in der Geschichte noch nie“
Der Wohnungsbau ist stabil. Zumindest vorerst. Branchenexperten warnen jedoch vor Langzeitfolgen und einer neuen Krise.
Berlin – 900.000 Sozialwohnungen fehlen in Deutschland. Das zumindest hatte das Pestel-Institut zu Jahresbeginn festgestellt und ein Sonderbudget über 50 Milliarden Euro gefordert. Jetzt, fast ein halbes Jahr später, stellt sich heraus, dass der Bestand an Sozialwohnungen sogar schrumpft. Im regulären Wohnungsbau erwarten Branchenexperten schon bald eine ähnliche Entwicklung.
Deutschland braucht Sozialwohnungen – und baut den Bestand ab
Insgesamt hatte es in Deutschland zum Ende 2023 rund 1,07 Millionen Sozialwohnungen gegeben – gegenüber dem Vorjahr bedeutete das einen Rückgang um 15.300 Wohnungen. Das hatte die Bundesregierung am 22. Mai auf eine Anfrage der Linken-Abgeordneten Caren Lay mitgeteilt. Laut der Nachrichtenagentur AFP hatte die Bundesregierung den Bau von 49.430 Sozialwohnungen neu gefördert, die ursprüngliche Zielsetzung sah knapp das Doppelte vor. Pro Jahr wollte die Ampel-Koalition eigentlich für den Bau von 100.000 neuen Sozialwohnungen sorgen.
Was die Entwicklung sogar noch verschärft: Jedes Jahr fallen Wohnungen aus der Sozialbindung heraus. Dies erkläre den schrumpfenden Bestand. „Unter der Ampel erleben wir einen neuen historischen Tiefstand. Dies ist angesichts ungebremst steigender Mieten und zunehmender Wohnungsnot ein Fiasko“, bemängelte Lay. Deutschlandweit habe sich die Zahl der Sozialwohnungen seit 2013 um 400.000 verringert. Verglichen mit 1990 steht ein Minus von rund zwei Millionen auf dem Papier.
Wohnungsbau geht leicht zurück – Regierungs-Ziel bleibt unerreicht
Der reguläre Wohnungsbau dagegen hält sich noch stabil. Aktuelle Zahlen des Statistischen Bundesamts (Destatis) zeigen, dass in Deutschland 2023 rund 294.400 neue Wohnungen entstanden; ein Minus von 0,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Seit 2021 sei die Zahl der neu gebauten Wohnungen stagniert, in den Zehnerjahren dagegen habe ein deutliches Wachstum stattgefunden. Auch hier ist das Regierungsziel weit entfernt – eigentlich waren pro Jahr 400.000 Wohnungs-Neubauten vorgesehen.
Ein Großteil der neuen Wohnungen (rund 257.200) entfiel auf tatsächliche Neubauten, von denen 69.900 Einfamilienhäuser waren. Laut Destatis war hier ein Rückgang um 9,3 Prozent zu verzeichnen. Bei den Zweifamilienhäusern gab es dagegen ein Plus von 3,8 Prozent auf 23.800. Rund 7.300 neue Wohnungen entstanden in Wohnheimen.
Bauindustrie warnt vor Langzeitfolgen – „Nacktes Entsetzen“ in den Architekturbüros
Der Bauindustrieverband HDB nahm das als Anlass zum vorsichtigen Optimismus. „Es ist zunächst einmal ein Ergebnis, das die Leistungsfähigkeit der Bauwirtschaft auch in konjunkturell schwierigen Zeiten und unter problematischen Rahmenbedingungen beweist“, sagte Tim-Oliver Müller dazu, der Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie. Die Ergebnisse würden außerdem den „enormen zeitlichen Verzug bauwirtschaftlicher und baupolitischer Entscheidungen“ offenbaren.
Damit meint er, dass viele Fertigstellungen von 2023 auf Genehmigungen aus besseren Zeiten zurückzuführen seien. In den Jahren bis 2022 fanden die Genehmigungen unter deutlich besseren Rahmenbedingungen statt. „Unterm Strich bleibt allerdings: Auch im Vorjahr wurden weniger Wohnungen gebaut, als es der Bedarf an bezahlbarem Wohnraum eigentlich erfordert. Weder die Politik noch wir als Branche sollten sich deshalb mit diesem Ergebnis zufriedengeben“, erklärte Müller.
„Das letzte Hurra des Wohnungsbaus“: Auswirkungen der Baukrise zeigen sich erst noch
Der Wohnungsmarktexperte Dietmar Walberg warnte jedoch vor zu viel Optimismus. Dass es tatsächlich Leute in Politik und Wirtschaft gibt, die die Krise am Wohnungsbaumarkt für Einbildung halten, „entsetze“ ihn. „Wir erleben gerade das letzte Hurra des Wohnungsbaus“, sagte er im Interview mit dem Tagesspiegel. In Architekturbüros herrsche das „nackte Entsetzen“, weil Mitarbeiter nichts zu tun hätten – die tatsächlichen Auswirkungen dieser Flaute würden sich jedoch erst in ein paar Jahren äußern. „Die Zinsen haben sich binnen kurzer Zeit vervierfacht. Das gab es so in der Geschichte noch nie und hat viele Projekte unrentabel gemacht.“
Und auch Thomas Reimann, Geschäftsführer der Alea Hoch- und Industriebau AG, spricht eine deutliche Warnung aus. Die Bauwirtschaft habe sich den Herausforderungen gestellt und „im Rahmen ihrer Möglichkeiten“ geliefert. „Ich sehe unverändert erhebliche Probleme im Wohnungsmarkt und kann nur davor warnen, dass dieser als mild bezeichnete Rückgang falsch interpretiert wird“, sagte er gegenüber Ippen.Media. Es gebe einen akuten Mangel an Wohnraum in den Metropolregionen und dazu steigende Mieten.
„Absoluter Stabilitätsanker“ – Geywitz zeigt sich optimistisch
Im Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) dagegen sind die Destatis-Zahlen ein Anzeichen für die Stabilität der Lage am Bau. „Der soziale Wohnungsbau erweist sich dabei als absoluter Stabilitätsanker für die Bau- und Immobilienbranche“, sagte die zuständige Ministerin Klara Geywitz (SPD) am Donnerstag (23. Mai). Die „milliardenschwere Förderung“ habe immer mehr private Wohnungsbaugesellschaften in den sozialen Wohnungsbau gebracht. Das BMWSB teilte mit, dass die Zahl der geförderten Wohneinheiten um mehr als 20 Prozent anstieg – auf 49.430.
Damit meint die Regierung allerdings nicht die tatsächlich vorhandenen Wohnungen, sondern nur die Zahl der neu entstandenen geförderten Wohnungen. Im Herbst soll ein neues Förderprogramm für bezahlbaren Neubau im Niedrigpreissegment beginnen. (Laernie mit AFP)
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