Herausforderungen der Rentenregelung
„Rente mit 63“: Die Wahrheit über die Rente für besonders langjährig Versicherte
Eine aktuelle Untersuchung offenbart: Wer früher in die abschlagsfreie Altersbezüge eintritt, hatte oft keine schwere und belastende Arbeit. Doch gerade für diese Arbeitnehmer sollte die Regelung gelten. Was funktioniert nicht?
Frankfurt – Die abschlagsfreie Rente nach 45 Versicherungsjahren – oft „Rente mit 63“ genannt – gilt in Deutschland als beliebte Errungenschaft. Sie verspricht Arbeitnehmern, die ein langes Arbeitsleben hinter sich haben, einen früheren und finanziell abgesicherten Ruhestand.
Besonders Beschäftigte in körperlich oder psychisch belastenden Berufen sollten von dieser Regelung profitieren. Doch eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) zeigt: Die Realität sieht anders aus. Es profitieren vor allem jene, die vergleichsweise wenig Belastungen im Beruf hatten.
Abschlagsfreie Rente nach 45 Jahren im Job – aber nicht für alle
Nach 45 Versicherungsjahren ist ein früherer Renteneintritt grundsätzlich möglich. Dabei müssen wichtige Eckdaten beachtet werden. Personen, die vor 1953 geboren wurden und die 45 Versicherungsjahre erreicht haben, können ab 63 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen. Für Geburtsjahrgänge zwischen 1953 und 1963 gilt das jedoch nicht mehr uneingeschränkt, da das Rentenalter schrittweise angehoben wurde. Wer ab 1964 geboren ist, kann diese Rente frühestens mit 65 Jahren in Anspruch nehmen, heißt es von der Deutschen Rentenversicherung.
Für die 45 Jahre zählen Pflichtbeiträge aus Beschäftigung, selbstständiger Tätigkeit, Minijobs (teilweise), Kindererziehung bis zum 10. Lebensjahr, Pflege, Wehr- oder Zivildienst sowie Ersatzzeiten wie politische Verfolgung. Auch freiwillige Beiträge werden berücksichtigt, wenn mindestens 18 Jahre Pflichtbeiträge vorliegen. Nicht angerechnet werden Zeiten aus Arbeitslosengeld II, Versorgungsausgleich, Rentensplitting und bestimmte Anrechnungszeiten wie Krankheit, Studium oder Arbeitslosigkeit.
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Früher in Rente: 45 Versicherungsjahre für stark belastete Arbeiter fast unmöglich zu erreichen
Laut der DIW-Studie, die auf Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) basiert, erreichen viele stark belastete Arbeitnehmer die notwendigen 45 Versicherungsjahre gar nicht. Besonders in Branchen wie der Gastronomie, der Kranken- und Altenpflege oder im Handwerk, die mit körperlichen und psychosozialen Belastungen einhergehen, unterbrechen gesundheitliche Probleme oder prekäre Beschäftigungsverhältnisse oft die Erwerbskarriere.
Dagegen profitieren Beschäftigte aus weniger belastenden Berufen unverhältnismäßig oft von der Regelung. „Die Dauer der Erwerbskarriere ist ein unzureichender Indikator, um berufliche Belastungen zu messen“, erklärt Hermann Buslei, einer der Studienautoren. Die Analyse zeigt: Nur knapp ein Drittel derjenigen, die abschlagsfrei in Rente gehen, war während ihrer Berufslaufbahn durchschnittlich hohen Belastungen ausgesetzt. Fast 40 Prozent hingegen kamen aus leicht bis mäßig belastenden Berufen.
Zusammenhang zwischen beruflicher Belastung und Erwerbsdauer entscheidend für die Frührente
Für die Analyse wurden verschiedene Belastungsfaktoren untersucht, darunter physische Anstrengungen, psychischer Druck und unregelmäßige Arbeitszeiten. Das Ergebnis: Wer in Berufen mit hoher Belastung arbeitet, kann oft nicht bis zur Regelaltersgrenze durchhalten. Stattdessen weisen längere Erwerbskarrieren meist geringere berufliche Belastungen auf.
Johannes Geyer, ein weiterer Studienautor, schlägt vor, die Regelung grundlegend zu überdenken: „Ein Kriterium, das an der tatsächlichen Beschäftigungsfähigkeit der Versicherten ansetzt, wäre sinnvoller.“ Die reine Betrachtung der Versicherungsjahre greife zu kurz und benachteilige diejenigen, die frühzeitig aus gesundheitlichen Gründen aus dem Arbeitsleben ausscheiden müssen.
Vorschlag: Altersabhängiges Berufsunfähigkeitskriterium für den früheren Renteneintritt
Die Studienautoren plädieren für Reformen, um das Rentensystem gerechter zu gestalten. Ein Vorschlag: Ein altersabhängiges Berufsunfähigkeitskriterium, das besonders belasteten Arbeitnehmern einen früheren Renteneintritt ermöglicht.
Alternativ könnten flexiblere Modelle entwickelt werden, bei denen Versicherte je nach individueller Belastbarkeit entweder früher aus dem Erwerbsleben ausscheiden oder in Teilzeit weiterarbeiten können. Österreich folgt einem ähnlichen Rentenmodell. „Eine solche Reform würde nicht nur für mehr Gerechtigkeit sorgen, sondern auch die Rentenversicherung zukunftsfähiger machen“, fasst Peter Haan, ebenfalls Studienautor, zusammen.
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