„Wiederverkauf von gestohlenen Gütern“
Putins Griff nach Selenskyjs Koks – Russlands Wirtschaft und die Ukraine-Rohstoffe
Wichtige Bergbauanlagen der Ukraine sind in okkupierten Gebieten. Es wird vermutet, dass Russland sie kontrolliert. Die dort geförderten Rohstoffe werden verschifft.
Kiew – Der Rohstoffreichtum der Ukraine hatte vor einigen Monaten im Rahmen des US-Rohstoffdeals enorme Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Immer wieder waren Warnungen zu hören, dass der russische Vormarsch den Zugang zu wichtigen Ressourcen blockieren könnte. Dabei sind erhebliche Mengen an Bodenschätzen bereits seit langer Zeit in russischer Hand. An diesen verdient Russland viele Millionen.
Ukraine-Kohle für Russlands Wirtschaft – Schattenflotte hilft bei mutmaßlichem Diebstahl
Unter anderem kommen diese Einnahmen aus dem Verkauf ukrainischer Kohle. Dafür benutzt Kreml-Chef Wladimir Putin eine Kombination aus verdeckter Enteignung wichtiger Minen aus ukrainischem Besitz sowie dem Einsatz von Frachtschiffen aus der berüchtigten Schattenflotte. Das hatte das Nachrichtenportal Kyiv Independent in einer aufwändigen Recherche aufgedeckt. Beispielhaft hatten die Journalisten den Kurs eines bestimmten Schiffes vom ukrainischen Hafen in Mariupol bis zu seinem Anlegeplatz in Anaba (Algerien) verfolgt.
Dabei kamen sie zu dem Schluss, dass der metallurgische Koks, den das Schiff entlud, höchstwahrscheinlich gestohlen war und aus einer ukrainischen Mine stammte, die sich in den von Russland besetzten Gebieten befindet. Ein gewaltiger Teil der ukrainischen Kohlevorkommen liegt in den Regionen Donezk und Luhansk, die Russland bereits 2014 teilweise besetzt und dort einen Proxy-Krieg angeheizt hatte. Im Jahr 2022 hatte Russland dann in einer vollen Invasion weitere Gebiete übernommen.
Den Recherchen von Kyiv Independent zufolge hat Russland seit 2014 mehrere Dutzend Minen in privatem oder staatlichem Besitz übernommen und in die Okkupations-Wirtschaft integriert. Bislang (Stand April 2025) sollen etwa zwanzig Minen enteignet worden sein. Der Trick dahinter: Während die Besitzer ukrainisch bleiben, hat Russland eine Vermietung der Minen ermöglicht, mitsamt einer Option, sie nach drei Jahren zu kaufen. „Das entspricht etwa dem Wiederverkauf von gestohlenen Gütern“, heißt es dazu. Die Recherche hat auch die Hintermänner und Nutznießer aufgedeckt.
Schattenflotte hilft bei Abtransport – Satellitenbilder sollen den Diebstahl belegen
Dabei gehen die russischen Transporter mit äußerster Vorsicht vor. Das vorher angesprochene Schiff aus der Schattenflotte hatte etwa seinen Transponder ausgeschaltet, während es im Hafen von Mariupol den Koks auflud. Kyiv Independent hatte dann per Satellitenbild festgestellt, dass es sich höchstwahrscheinlich um dasselbe Schiff handelt, das später in Algerien den Koks wieder ablud.
Mit der Hilfe mehrerer Schiffs-Tracking-Dienste sowie von der Crew durchgestochenen Dokumenten hatten die Journalisten bestimmt, dass das Schiff tatsächlich aus Mariupol kam. „Verschiffte Kohle, die aus besetztem ukrainischen Gebiet stammt und auf dem Weltmarkt verkauft werden soll, ist nicht etwas, was die Betreiber dieses Schiffes an die große Glocke hängen wollen“, zitierte Kyiv Independent Hamish McDonald, einen Analysten bei Open Source Center, einer nachrichtendienstlichen US-Behörde. „Wenn sie versuchen, den Herkunftsort der Kohle zu verschleiern, dann wäre es kontraproduktiv, ihre Bewegungen in ukrainischen Gewässern zu vermitteln.“
Gewaltige Kohlevorkommen in der Ukraine – wichtige Minen unter russischer Kontrolle
Die Investigation zeigte weiterhin, welche 20 Minen jetzt unter russischer Kontrolle stehen. Interessant dabei: Unter ihnen befinden sich laut Kyiv Independent die Minen „Dovzhanska-Kapitalna“ und „Y.M. Sverdlov“. Vor mehreren Jahren hatte die Forschungs-Datenbank ResearchGate die Analyse der Forscherin Ilona Kochura von der Donetsk National Technical University veröffentlicht, die das Unternehmen „Dovzhanskaya-Capitalnaya“ als einen „Führer“ der Anthrazit-Extraktion eingestuft hatte. Mehrere andere Minen waren bereits früher in westlicher Berichterstattung aufgetaucht – ebenfalls vor dem Hintergrund der Enteignung.
Ukrainische Kohlereserven machen mehr als 90 Prozent der Reserven aller fossilen Energieträger im Land aus. Laut einer Einschätzung der Internationalen Energieagentur (IEA) gehört dazu unter anderem die volle Bandbreite von Kohlesorten, darunter Anthrazitkohle und eben Kokskohle. Anthrazit- und Schwarzkohlereserven sollen ein Volumen von 32 Gigatonnen (Gt) ausmachen, die Ressourcen wurden auf 49 Gigatonnen geschätzt. „Damit befindet sich die Ukraine auf dem sechsten Platz weltweit für die Hartkohlereserven – nach den USA, China, Russland, Australien und Südafrika“, erklärte die IEA.
Die meisten Reserven befänden sich in der Donbass-Region, weit im Osten der Ukraine. Im westlichen Teil des Landes gebe es noch weitere, aber kleinere, Reserven. „Intensiver Abbau, der mehr als ein Jahrhundert angedauert hat, hat die besten Ablagerungen erschöpft“, sagte die IEA dazu.
Getreide, Öl, Gas und Kohle – Russlands Wirtschaft profitiert enorm von Schattenflotte
Es ist nicht das erste Mal, dass Frachtschiffe mit gestohlenen ukrainischen Gütern auffallen. Der Informationsdienst Lloyd‘s List hatte bereits vor Monaten von russischen Schiffen berichtet, die ukrainisches Getreide mit ähnlichen Mitteln aus dem Land schaffen. Im Sommer 2024 war eines davon auf der Donau festgesetzt worden.
Genau wie bei Tankern der Schattenflotte, die russisches Öl und Gas handeln, hatte auch der Getreidetransporter zwischenzeitlich seinen Transponder abgeschaltet, um den Kurs zu verschleiern. Damals war ein griechischer Hafen das Ziel der Reise gewesen – die Fracht stammte aus dem ukrainischen Hafen Sewastopol. Laut ukrainischem Recht ist es verboten, Güter aus den besetzten Gebieten zu exportieren. Die westlichen Ukraine-Verbündeten versuchen seit Jahren, diesem Handel durch Sanktionen einen Riegel vorzuschieben.
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