Bahn-Streik
Offener Wut-Brief an die Deutsche Bahn: „Wir Mitarbeiter an der Basis leiden täglich!“
In einem offenen Brief an den DB-Vorstand hat ein Lokführer seinem Frust Luft gemacht. Er spricht von langen Arbeitszeiten im Schichtbetrieb und mangelnder Wertschätzung aus der Chefetage.
Berlin – In einem offenen Brief hat ein Lokführer und Mitglied bei der Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL) kurz vor dem ersten Bahn-Streik seinem Ärger über das Verhalten des Bahnvorstands Luft gemacht. „Ich bin mir genauso wie meine Kolleginnen und Kollegen sehr bewusst darüber, dass unsere Arbeitskampfmaßnahmen in der Öffentlichkeit mitunter auf Kritik stoßen. Sie können sich sicher sein, dass sich in unseren Reihen niemand befindet, der sich an diesen Maßnahmen erfreut oder einen Streik seiner regulären Tätigkeit vorzieht“, schreibt Sachar Schoner in seinem Brief, das auf der Webseite der GDL in Gänze zu lesen ist.
Über mehrere Paragrafen erklärt der Eisenbahner, weshalb er und seine Kolleginnen und Kollegin so entschlossen sind, den Streik durchzuziehen. Es gehe um eine „Akkumulation an Ursachen“, die die Stimmung im Betrieb trüben. Punkt für Punkt geht Sachar Schoner die Gründe durch, warum dieser Warnstreik jetzt schon sein musste.
1. Hohe Verantwortung, belastende Arbeitszeiten
„Als direktes Personal bei der Deutschen Bahn hat man in nahezu jedem Betätigungsfeld eine überdimensional große Verantwortung“, steigt der Lokführer beim ersten Punkt ein. Die Beschäftigten seien nicht nur für echtes Menschenleben verantwortlich, sondern auch für Güter, die einen sehr hohen Wert haben. „Sie arbeiten eigenverantwortlich, was bedeutet, dass sie bei Unregelmäßigkeiten persönlich zur Verantwortung gezogen werden können“. Im Zweifel könne das zu „Post vom Staatsanwalt“ führen, was in anderen Berufsfeldern nicht unbedingt der Fall sei.
Diese hohe Verantwortung ist gekoppelt mit langen, unregelmäßigen Arbeitszeiten, die für die Beschäftigten äußerst belastend sein können: „24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche und an 365 Tagen im Jahr [...] Und das zu jeder erdenklich unmöglichen Uhrzeit mit Dienstbeginn und Dienstende am Tag oder in der Nacht. Und das mit möglichen Schichtlängen von bis zu 12 und gar 14 Stunden“, schildert Sachar Schoner. Noch dazu herrsche ein erheblicher Personalmangel, dass diese Schichten noch weiter belaste, „verursacht und verantwortet von der Führung dieses Unternehmens!“
2. Chaos bei der Bahn belastet Kunden genauso wie Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen
Belustigung über die Deutsche Bahn und ihre Unpünktlichkeit ist in Deutschland Volkssport. Doch für Lokführer Schoner ist das Bahnchaos Teil seines Alltags geworden. „Es leiden ja nicht nur unsere Kunden unter den Verspätungen, Zugausfällen und dem ganzen alltäglichen Bahnchaos. Nein, auch wir Mitarbeiter an der Basis leiden täglich darunter! Vor allem unsere Kolleginnen und Kollegen Zugbegleiter, Bordgastronomen, Service & Sicherheits-Mitarbeiter in den Bahnhöfen bekommen dabei konzentriert den Frust der genervten Kundschaft ab.“ Dabei hätten nicht sie das Chaos zu verantworten, sondern der Vorstand.
„Nicht ohne Grund fordern wir GDL Mitglieder vom Unternehmen eine echte wertschätzende Entlastung und Aufwertung unserer Arbeitsleistung unter diesen erschwerten Bedingungen. Wir brauchen dringend Entlastung durch weniger Wochenarbeitszeit, mehr Ruhezeiten und weniger Schichten am Stück. Dass Sie in der Öffentlichkeit behaupten, dass die GDL-Mitglieder eine 4-Tage-Woche fordern, ist entweder eine absichtliche Falschdarstellung, oder einfach nur ein erneuter Beweis, dass Sie nicht wissen, was ihn Ihrem Unternehmen los ist. Wir fordern eine 35-Stundenwoche und eine echte 5-Tage-Woche. Also 5 Tage arbeiten und 2 Tage frei.“
3. Bahn-Vorstand hat seine eigenen Gehälter erhöht - positive Entwicklungen bleiben aber aus
Weiter kritisiert Sachar Schoner, dass der Vorstand der Deutschen Bahn sich selbst hohe Bonuszahlungen und Lohnerhöhungen gönnt. „Und jetzt muss man sich einmal klarmachen, dass beispielsweise ein Zugbegleiter, der pro Woche gerne auch mal bis zu 60 Stunden leistet, sich darüber Gedanken machen muss, wie er das Benzin bezahlen kann, das er benötigt, um seine Schicht anzutreten“, heißt es im Brief. Diesen Zustand hält der Lokführer für extrem ungerecht – vor allem, weil von den Eisenbahnern immer wieder gefordert werde, „den Gürtel enger [zu] schnallen, weil die DB ja so verschuldet ist.“ Weiter schreibt er:
„Und genau an dieser Stelle kommt dann die Frage auf, welche Leistungen Sie für Ihre Einkommenserhöhung vorweisen können. Ist der Eisenbahnverkehr für den Kunden zuverlässiger geworden? Hat sich durch Ihre Vorgaben die Pünktlichkeit verbessert? Konnte die Sauberkeit in den Zügen oder in den Bahnanlagen auf ein ansehnliches Niveau angehoben werden? Schreibt der Konzern jetzt schwarze Zahlen? Ist das Reisen mit der Bahn günstiger und somit attraktiver geworden? Kann man sich jetzt in den Zügen oder in den Bahnanlagen sicherer fühlen? Haben wir den Personalmangel überwunden? Sind unsere Schichten und Einsatzpläne stabiler oder überhaupt mal entlastet worden? Sind die Aussagen, die von der Konzernspitze kommen ehrlicher geworden? Keine dieser Fragen kann mit einem deutlichen „Ja“, viele aber mit klaren „Nein“ beantwortet werden.“
4. Vorstand der Deutschen Bahn behandle auch Kunden mit Gleichgültigkeit
Im nächsten Punkt greift der Eisenbahner die Beschwerden über Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit der Bahn auf, anhand dessen die Öffentlichkeit seine Arbeit und die Arbeit seiner Kollegen und Kolleginnen immer wieder bewerte. Es aber der Vorstand gewesen, der eine „unausgegorene Baustellenorgie“ angeordnet habe, die die Bahn unzuverlässiger mache. „Und dabei wäre es doch so einfach gewesen, ein vernünftiges Baustellenmanagement mit angepassten Fahrplänen und ausgedünnten, aber dafür zuverlässigen und pünktlichen Zugfahrten zu organisieren“. Die sei seiner Ansicht nach aber nur ein Zeichen für die mangelnde Wertschätzung für die eigenen Kunden.
Mangelnde Wertschätzung spüre man als DB-Beschäftigter aber auch immer wieder anhand der angespannten Personalsituation, erklärt Schoner im Folgenden. „An den Bahnsteigen lassen Sie ansagen, dass Züge aufgrund kurzfristiger Krankmeldungen ausfallen. Fehlende Wertschätzung ist so hörbar längst zum Alltag geworden. Sie unternehmen nichts, um die angespannte Personaldecke spürbar zu entspannen. Ja, Sie stellen ein. Aber wie viele gehen denn gleichzeitig?“ Viele seiner Kolleginnen und Kollegen hätten wegen der schlechten Arbeitsbedingungen gekündigt – neben denen, die aus Altersgründen aufhören.
Abschlussworte und Appell: „Gehen Sie auf unsere Forderungen ein!“
Zum Abschluss seines Wutbriefes richtet Sachar Schoner einen Appell an die Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn: „Sie – der Bahnvorstand – legen seit Jahren die Grundlage dafür, dass der Kesseldruck der Belegschafts-Missstimmung immer mehr ansteigt. Wir haben schon lange den roten Bereich erreicht. Nun fordern wir das, was notwendig ist: Wertschätzung durch einen guten und richtigen Tarifabschluss. Bessere Arbeitsbedingungen durch weniger Wochenarbeitszeit, weniger Tage am Stück, mehr Ruhezeit und natürlich eine ausreichende finanzielle Entlastung! Nehmen Sie also Druck aus dem Kessel und gehen Sie auf unsere Forderungen ein!“
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