Weniger Wachstum durch Energiepreise
Massive Verluste durch Ukraine-Krieg: Der deutschen Wirtschaft fehlen 200 Milliarden Euro
Deutschland war lange Zeit abhängig von russischem Gas. Durch Lieferengpässe und Sanktionen explodierten die Energiepreise. Eine aktuelle Studie zeigt, welche Rechnung die deutsche Wirtschaft dafür zahlen muss.
Köln – 200 Milliarden Euro. Diese Summe hat Deutschland Ökonomen zufolge aufgrund der massiv gestiegenen Energiekosten verloren. Davon seien nicht nur die Unternehmen betroffen. Die kompletten Kosten für die deutsche Wirtschaft dürften wesentlich höher liegen.
| Verlust der deutschen Wirtschaft wegen erhöhter Energiekosten | Mindestens 200 Milliarden Euro |
|---|---|
| Wachstumsverringerung durch Energiekosten im Jahr 2022 | 2,5 Prozentpunkte |
| Verlustsumme insgesamt seit 2020 (IW) | 545 Milliarden Euro |
| Investitionsausfälle gesamt (IW) | 155 Milliarden Euro |
Globale Krisen greifen deutsche Wirtschaft an
In einem aktuellen Bericht haben Experten vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) offengelegt, welche wirtschaftlichen Auswirkungen die Krisen der letzten Jahre auf die Bundesrepublik Deutschland hatten. Auch wenn die Coronavirus-Pandemie und der Ukraine-Krieg derzeit einen erhöhten Stellenwert einnehmen, begann der Abschwung laut dem IW bereits lange vorher. Schon 2019 hatte Deutschland in einer Rezession gesteckt. Als „Störfaktoren“ für die wirtschaftliche Entwicklung nannten die Experten unter anderem US-amerikanischen Protektionismus, angeheizt von Ex-Präsident Donald Trump, sowie die Brexit-Entscheidung.
Beide Beispiele stünden für eine „geoökonomische Fragmentierung“ zwischen den Volkswirtschaften, die eine Kettenreaktion bei Angebot und Nachfrage auslöste. Die Coronavirus-Pandemie und später der Krieg hätten die ohnehin angespannte Entwicklung dann explodieren lassen.
Mindestens 200 Milliarden Euro Verlust
Im Zuge des Ukraine-Kriegs kam dann eine Reihe von Problemen zusammen. „Die wirtschaftlichen Kosten für Deutschland nach zwei Jahren Ukraine-Krieg dürften deutlich höher liegen als 200 Milliarden Euro“, sagte Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) der Rheinischen Post.
Diese Summe entnahm Fratzscher dabei direkt aus der Reduzierung des Wirtschaftswachstums infolge der hohen Energiekosten. Im Jahr 2022 hatte sich das Wachstum um 2,5 Prozentpunkte verringert, was rund 100 Milliarden Euro entsprochen hatte, ein Jahr später war die Summe noch einmal ähnlich gewesen. Wichtig: Damit waren nur die „direkten finanziellen Kosten“ gemeint. Weitere Kosten kämen hinzu, zum Beispiel durch die „eskalierenden“ Konflikte, unter anderem mit China. Davon seien vorrangig Exportunternehmen „hart“ getroffen.
Das IW kam in seinem Bericht auf eine noch höhere Summe. Dabei hatte es den tatsächlichen Konjunkturverlauf einem Modell gegenübergestellt, in dem weder Pandemie noch Ukraine-Krieg vorgesehen waren. Insgesamt, also mit Coronavirus-Pandemie und anderen Krisen, die sich vermischten, sollen der deutschen Wirtschaft seit 2020 rund 545 Milliarden Euro fehlen. In den Kriegsjahren 2022 (100 Milliarden Euro) und 2023 (140 Milliarden Euro) kam eine Verlustsumme von 240 Milliarden Euro zusammen.
Weiter erklärte das Institut, dass die aus Pandemiezeiten angehäuften Ersparnisse durch die hohen Energiekosten schnell dahinschmolzen. „Die hohe Inflation schränkte die Deutschen wieder bei ihren Einkäufen und in der Freizeit ein“, teilte das IW in einer entsprechenden Meldung mit.
Exportnation Deutschland trifft es ungleich härter
Das IW mahnte zur Vorsicht: Die Effekte aus den verschiedenen Krisen ließen sich nicht vollständig abgrenzen. Die Nachwirkungen der Coronavirus-Pandemie seien auch heute noch spürbar, auch wenn sich die öffentliche Debatte eher um den Krieg dreht. Es sei also nicht möglich, genau zu sagen, wo die Effekte der Pandemie aufhören und wo die des Krieges beginnen.
Die Wirtschaft Deutschlands habe dabei eher mit all diesen Krisen zu kämpfen als die anderer Länder. Das liegt dem IW zufolge auch daran, dass die deutsche Industrie stärker vom internationalen Handel abhängig ist. Eine schwache Weltwirtschaft wirkt sich darum umso deutlicher auf die Bundesrepublik aus. Wenn Unternehmen weltweit weniger in neue Maschinen investieren, leidet darunter die deutsche Wirtschaft besonders stark.
Ein weiterer Faktor ist, dass in Deutschland viele energieintensive Branchen angesiedelt sind, die entsprechend stark auf höhere Energiepreise reagieren. Zu den großen Verlierern des Kriegs gehören der Öl- und Gassektor und Versorgungsunternehmen.
Mangelnde Investitionen lähmen Deutschlands Entwicklung
Problematisch daran ist nicht nur der direkte Verlust, sondern auch der Umstand, dass im Zuge der Krisen viele Investitionen auf der Strecke blieben. Insgesamt sollen sich die Investitionsausfälle der vergangenen vier Jahre auf 155 Milliarden Euro belaufen. Michael Grömling, IW-Ökonom, warnt vor den Folgen: „Die mangelnden Investitionen senken langfristig unsere Möglichkeiten, mit Herausforderungen wie Digitalisierung, Fachkräftemangel oder Klimawandel umgehen zu können.“
Die aktuellen Entwicklungen träfen nun Menschen mit geringen Einkommen besonders. Diese erleben laut DIW-Chef Fratzscher eine weitaus höhere Inflation als Menschen mit hohem Einkommen. „Der deutsche Staat stützt vor allem die energieintensiven Unternehmen mit massiven Subventionen, Menschen mit geringen Einkommen müssen den Gürtel dagegen deutlich enger schnallen“, zitierte die Rheinische Post.
Deutschland hatte sich über viele Jahre vom russischen Gazprom-Konzern abhängig gemacht. Bereits in den Achtzigerjahren hatte der ehemalige Kanzler Willy Brandt ein entsprechendes Abkommen mit der damaligen Sowjetunion unterzeichnet. Im neuen Jahrtausend nahm diese Abhängigkeit weiter zu. Erdgas ist einer der wichtigsten Energieträger für Deutschland, eine Verknappung und Teuerung dieser Ressource bedeutet zwangsläufig höhere Energiepreise. Ein ähnliches Problem hat Österreich – erst kürzlich forderte die Energieministerin dazu auf, dass sich das Land aktiv von russischem Gas entfernen sollte.
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