Gastbeitrag Prof. Justus Haucap
Industriestandort Deutschland in Gefahr: Was die größte Volkswirtschaft Europas jetzt braucht
Die deutsche Wirtschaft ist im internationalen Vergleich zuletzt deutlich zurückgefallen. Neben den hohen Energiepreisen sorgen auch überbordende Bürokratie, hohe Steuerlast oder der grassierende Arbeitskräftemangel bei immer mehr Unternehmen für Verdruss. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck will mit Vorschlägen zur Stärkung der deutschen Industrie dagegen halten. Doch die Ansätze gehen am Ziel vorbei, schreibt Prof. Justus Haucap vom einflussreichen Kronberger Kreis im Gastbeitrag. Was jetzt konkret passieren muss, damit die größte Volkswirtschaft Europas endlich wieder Tritt fasst.
Der Anstieg der Energiepreise hat eine intensive Debatte über die Zukunft des Industriestandorts Deutschland ausgelöst. Wie ein Standortranking nach dem anderen zeigt, leidet die Attraktivität als Wirtschaftsstandort zunehmend. Viele Unternehmen erweitern ihre Produktion lieber im Ausland als in Deutschland oder sie denken zumindest darüber nach.
Ursache für die leidende Standortqualität sind jedoch nicht nur die gestiegenen Energiekosten, auch wenn tatsächlich kaum ein Land in Europa höhere Energiepreise hat als wir und die Kosten für Energie in den USA ohnehin nur bei einem Bruchteil unserer Kosten liegen. Zugleich sind unsere Steuern auf Unternehmensgewinne (inklusive der kommunalen Unternehmenssteuern) mit am höchsten unter den Industrienationen, die Infrastruktur ist in keinem guten Zustand und Arbeitskräfte sind Mangelware.
Als ob das alles nicht reichen würde, ersticken überbordende Regulierung und Bürokratie zunehmend unternehmerische Aktivitäten. Die Politik hat inzwischen erkannt, dass ein Weiter so eine echte Gefahr für unseren Wohlstand wäre.
Stimme der Ökonomen
Klimawandel, Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg: Wohl selten zuvor war das Interesse an Wirtschaft so groß wie jetzt. Das gilt für aktuelle Nachrichten, aber auch für ganz grundsätzliche Fragen: Wie passen die milliarden-schweren Corona-Hilfen und die Schuldenbremse zusammen? Was können wir gegen die Klimakrise tun, ohne unsere Wettbewerbsfähigkeit aufs Spiel zu setzen? Wie sichern wir unsere Rente? Und wie erwirtschaften wir den Wohlstand von morgen?
In unserer neuen Reihe Stimme der Ökonomen liefern Deutschlands führende Wirtschaftswissenschaftler in Gastbeiträgen Einschätzungen, Einblicke und Studien-Ergebnisse zu den wichtigsten Themen der Wirtschaft – tiefgründig, kompetent und meinungsstark.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat nun ein Papier zur „Industriepolitik in der Zeitenwende“ vorgelegt, in dem die Industriestrategie der Bundesregierung konkretisiert wird. Das Papier beinhaltet in vielen Punkten eine zutreffende Problemanalyse, doch zur Überwindung der Probleme fehlt weiterhin ein überzeugendes Konzept. So wird die hohe Bürokratiebelastung für Unternehmen beklagt, zugleich begrüßt das Papier das Energieeffizienzgesetz, obwohl das Gesetz die Bürokratielast für Unternehmen weiter erhöht, und zwar ohne überzeugende Begründung.
Habecks Papier zur Industriepolitik: Richtige Analyse, falsche Schlussfolgerungen
Das Papier verweist auf die hohe Unternehmenssteuerbelastung, enthält aber keine neuen Ideen zu ihrer Minderung. Das Papier räumt ein, dass Deutschland auch langfristig vergleichsweise hohe Energiekosten haben wird, denn die Produktionsbedingungen für Strom aus erneuerbaren Energien sind langfristig bei uns ungünstiger als in anderen Ländern. Doch das Papier hält an der Idee eines subventionierten Brückenstrompreises fest. Das Papier erkennt, dass eine politische Investitionslenkung problematisch ist, betont diese aber dennoch stärker als die Verbesserung der allgemeinen Standortbedingungen.
Standort Deutschland: Bessere Produktionsbedingungen statt zweifelhafter Milliarden
Tatsächlich versucht die Politik in vielen Fällen die mangelnde Standortqualität mit einem Mehr an Subventionen auszugleichen, seien es Milliarden für Intel oder ein subventionierter Industriestrompreis. Eine solche Verteilung vermeintlicher Wohltaten an einzelne Unternehmen oder Branchen ist aber alles andere als nachhaltig. Vielmehr müssten die Produktionsbedingungen strukturell für alle Unternehmen verbessert werden. Deshalb schlägt der Kronberger Kreis, der wissenschaftliche Beirat der Stiftung Marktwirtschaft, eine Agenda zur Verbesserung der industrie- und wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen vor, die folgende sieben Punkte enthalten sollte:
- 1. eine umfassende Stärkung des Arbeitsangebotes
- 2. eine Steigerung des Energieangebotes und eine Anpassung an auch langfristig höhere Energiepreise
- 3. eine international abgestimmte Klimapolitik, die Klimaschutz und wachsenden Wohlstand miteinander verbindet
- 4. eine Verbesserung steuerlicher und regulatorischer Bedingungen für unternehmerische Investitionen und Innovationen, wozu auch der systematische Abbau von überflüssiger Bürokratie und Regulierung zählt
- 5. eine ambitioniertere Digitalisierungspolitik
- 6. eine Modernisierung der öffentlichen Infrastruktur
- 7. weitere Handelsabkommen mit Drittstaaten
Zum Autor: Prof. Justus Haucap ist Direktor des Düsseldorfer Instituts für Wettbewerbsökonomie (DICE) an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Mitglied des Kronberger Kreises. Von 2006 bis 2014 gehörte er zudem der Monopolkommission der Bundesregierung an, davon vier Jahre als deren Vorsitzender (2008-2012).