„Regeln für eine neue Welt schreiben“
Geheimdokument zeigt: Russlands Wirtschaft schwer getroffen durch Sanktionen – Putin plant neue Taktik
Die Wirtschaft Russlands ist stärker von den Sanktionen betroffen als vermutet. Ein Geheimdokument zeigt dies auf. Russland verliert an Dominanz.
Moskau – Kommt es zu Friedensverhandlungen über den Ukraine-Krieg? Das zumindest scheint nach einem Telefonat mit US-Präsident Donald Trump und Kreml-Diktator Wladimir Putin der Konsens zu sein. Putin dürfte das angesichts des Sanktionsdrucks gelegen kommen. Auch wenn der Kreml es stets dementiert hat, sorgen die westlichen Sanktionen in Russland für größere Probleme als bisher bekannt.
Russlands Wirtschaft unter Druck – Pläne für neuen Handelsblock gescheitert?
Das jedenfalls zeigt ein geleakter Bericht russischer Offizieller, über den die Financial Times berichtet hatte. Die Offiziellen gehen davon aus, dass der Druck aus dem Westen Russlands Versuche, frühere Sowjet-Nationen (darunter Kasachstan und Kirgisistan) näher an sich heranzuziehen, behindert. Dazu habe es auch eine interne Präsentation gegeben, die Bestandteil eines strategischen Treffens gewesen sein soll – an dieser habe auch der Premierminister Mikhail Mishustin teilgenommen. Zwar versuche Russland derzeit, einen Handelsblock aufzubauen, der in direkte Konkurrenz zu den USA, zur EU und zu China treten kann, aber dabei stehen mehrere Hürden im Weg.
Dem Bericht zufolge soll der neue Handelsblock Russland außerdem näher an den globalen Süden binden. Beide Seiten sollen so Zugang zu Rohstoffen erhalten und finanzielle Bande knüpfen. Sie sollen geeint sein durch eine gemeinsame „Weltsicht, in der wir die Regeln für eine neue Welt schreiben und unsere eigene Sanktionspolitik verfolgen“, soll es im Bericht geheißen haben. Offiziell spricht Russland dagegen von einer multipolaren Weltordnung, in der nicht die USA an der Spitze stehen, sondern mehrere Handelszentren auf Augenhöhe operieren.
West-Sanktionen behindern Putins Pläne – Asien bootet Russland aus
Jetzt hätten es die westlichen Sanktionen aber geschafft, einen Keil zwischen Russland und die wichtigen zentralasiatischen Länder zu treiben. Immer mehr von ihnen – auch wenn sie Russland nicht offiziell sanktionieren – folgen den westlichen Sanktionen. Dafür erhalten sie Zugang zu globalen Märkten, Transportkorridoren und Lieferketten, die Russland außen vor lassen. Gleichzeitig haben Russlands Verbündete von den Sanktionen enorm profitiert, indem sie russische Unternehmen aus ihren Einflussbereichen entfernen, Kontrolle über Import- und Exportflüsse übernehmen und die Produktion aus Russland herausverlagern. Asiatische Länder hätten außerdem spezielle Prämien verlangt, die das Sanktionsrisiko beim Handel mit Russland kompensieren sollen.
In Ansätzen hatte sich diese Entwicklung schon früh abgezeichnet. Nachdem Europa zum Beispiel die Lieferungen russischen Öls und Gases nach und nach heruntergefahren hatte, war Indien als einer der neuen Abnehmer für russische Ressourcen eingesprungen. Dafür handelte das Land allerdings massive Rabatte heraus. Russland hatte die Wahl gehabt: Seine Rohstoffe entweder für viel weniger Geld zu verkaufen als vorher, oder schlicht auf ihnen sitzen zu bleiben.
Bericht enthüllt Sorge vor Risiken für Russlands Wirtschaft
Ökonomen weisen immer deutlicher auf die kritische Lage der russischen Wirtschaft hin. Reuters zufolge warnten die russischen Behörden jüngst in einem Bericht vor wirtschaftlichen Risiken – insbesondere die niedrigeren Ölpreise bereiteten Sorgen, heißt es in Berichten des Wirtschaftsministeriums und der Zentralbank. Auch die Haushaltsbeschränkungen und ein Anstieg von Kreditausfällen bei Unternehmen werden demnach als Risiken gesehen.
„Eine Situation, in der die Verlangsamung der Konjunktur bis hin zu einer technischen Rezession viel schneller eintritt als der Rückgang der Inflation, wird immer wahrscheinlicher“, heißt es etwa in dem Bericht des Wirtschaftsministeriums. Die hohen Leitzinsen von aktuell 21 Prozent drosselten Kreditvergabe und Investitionen, was wiederum Russlands Wachstumsaussichten bedrohe. „Der aktuelle Investitionsmangel wird in zwei bis drei Jahren zu einem Mangel an Wachstum (niedrigere Wachstumsraten) führen“, heißt es in dem Bericht.
Die Gefahr niedrigerer Ölpreise könnten zu Problemen für den Bundeshaushalt führen. Der Bericht der Notenbank hebt das „erhebliche Risiko“ sinkender Ölpreise hervor, falls eine Produktionsoffensive der USA den Markt überschwemmen sollte. Zudem wurde darauf hingewiesen, dass die freien Kapazitäten der Mitgliedsländer des Ölkartells Opec nahezu einen Rekordwert erreicht hätten und dem Volumen der russischen Rohölexporte entsprächen. „Die Haushaltsbeschränkungen in den nächsten fünf bis zehn Jahren könnten härter ausfallen, als es derzeit den Anschein hat“, hieß es in der Einschätzung der Zentralbank zu den möglichen Folgen niedrigerer Ölpreise. Das Wirtschaftsministerium und die Zentralbank antworteten zunächst nicht auf Reuters-Anfragen um Stellungnahme.
Sanktionen sollen Ukraine-Krieg stoppen – Russlands Wirtschaft unter Druck
Die westlichen Ukraine-Verbündeten, allen voran die USA, hatten bereits 2014 die ersten Sanktionen verabschiedet. Damals hatte Russland sich gerade die Krim-Halbinsel einverleibt. Im Grunde verfolgen die westlichen Länder mit den Sanktionen das Ziel, Russlands Wirtschaft zu schwächen. Vor allem stehen hier die für Russland lebenswichtigen Gas- und Ölexporte im Fadenkreuz des Westens – wenn es gelänge, die Einnahmen aus diesem Handelszweig mittel- bis langfristig zu stören, würde das Russland Milliarden kosten. Die Idee dahinter: Wenn Russland nur genug Geld verliert, kann es nicht mehr die nötigen Mittel für die anhaltende Aggression in der Ukraine aufbringen.
Innerhalb der letzten Monate hatte sich immer wieder gezeigt, dass die westlichen Mühen Früchte tragen. Nach einer neuen Sanktionsrunde der USA, die sich gegen russische Öltanker gerichtet hatte, hatte beispielsweise Indien die Zahlungen für russisches Öl blockiert. China, einer von Russlands wichtigsten Handelspartnern, hatte mehrere Häfen für die Öltanker gesperrt. Über das Jahr 2024 hinweg war immer wieder davon zu hören, dass verschiedene chinesische Institutionen, darunter wichtige Banken, sich von Russland distanziert haben.
Aktuell zeigt sich der Westen wieder optimistischer hinsichtlich möglicher Friedensverhandlungen, was allerdings an einem möglichen Einknicken von US-Präsident Trump gegenüber Wladimir Putin liegt. Die Sanktionen bestehen weiterhin – und sind auf extreme Langzeitauswirkungen ausgelegt.
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