Boeing-Abstürze
„Hohn, dass Sie Ihren Job noch haben“: Boeing-Chef Calhoun wird in US-Senatsanhörung zerlegt
Die Abstürze von zwei Maschinen des Typs 737 Max in den Jahren 2018 und 2019 verfolgen Boeing noch immer. Vor allem nach der Pannenserie zuletzt. Konzernchef Dave Calhoun bekommt das bei einer Anhörung zu spüren.
Washington – Nach einem Beinahe-Unglück eines Boeing-Flugzeuges im Januar 2024, steht der Flugzeugbauer erneut unter Druck. Boeing ist wegen mehreren Unfällen und Abstürzen öffentlicher Kritik ausgesetzt.
Bei der Anhörung im US-Senat hat sich der Chef Dave Calhoun bei Hinterbliebenen von Opfern der beiden Abstürze von Flugzeugen des Typs 737 Max in den Jahren 2018 und 2019 entschuldigt. Bei den Unglücken waren 346 Menschen ums Leben gekommen.
Boeing-Chef entschuldigt sich für 737-Max-Abstürze
Bevor die Anhörung startete, stand der Boeing-Chef auf und drehte sich zu den anwesenden Angehörigen. „Ich entschuldige mich für das Leid, das wir zugefügt haben“, sagte Calhoun am Dienstag zu den Hinterbliebenen. Boeing lege im Gedenken an die Opfer einen verstärkten Fokus auf Sicherheit.
Die Unglücke mit Maschinen des Typs 737 Max 8 der indonesischen Lion Air und der Ethiopian Airlines wurden von Problemen mit einer Assistenzsoftware ausgelöst. Das System mit dem Namen MCAS sollte die Piloten bei der Steuerung des Flugzeugs in einigen Situationen unterstützen. In den beiden Fällen wurden diese jedoch von einem deutlichen und fehlerhaften Eingreifen der Software überrascht.
Calhoun gesteht ein: Boeing ist mitverantwortlich für diese Abstürze
Boeing hatte seinerzeit eingeräumt, dass der Konzern die US-Luftfahrtaufsicht FAA nicht korrekt über das Ausmaß des benötigten Piloten-Trainings für den Betrieb der Software informiert hatte. Calhoun bekräftigte am Dienstag: „MCAS und Boeing sind verantwortlich für diese Abstürze.“ Nach dem zweiten Unglück blieben 737-Max-Flugzeuge fast zwei Jahre am Boden, bis Änderungen an dem System vorgenommen wurden.
Die Anhörung im Senats-Unterausschuss für Ermittlungen war einberufen worden, weil Boeing aktuell wieder unter akutem Druck steht, die Qualitätskontrollen zu verbessern. Auslöser war ein Beinahe-Unglück einer so gut wie neuen Maschine des Typs Boeing 737-9 Max Anfang Januar.
Beinahe-Unglück im Januar 2024 „war ein Produktionsfehler“
Bei dem Flug der Fluggesellschaft Alaska Airlines mit mehr als 170 Menschen an Bord brach damals kurz nach dem Start ein Rumpfteil heraus. Die Unfallermittlungsbehörde NTSB geht davon aus, dass an dem herausgebrochenen Teil Befestigungsbolzen fehlten. Boeing konnte den Ermittlern keine Dokumentation zu Arbeiten an dem Fragment liefern.
„Alaska war ein Produktionsfehler“, sagte Calhoun am Dienstag dazu. Das sei aber auch der einzige ihm bekannte Fall unter den jüngsten Pannen in der US-Luftfahrt, der auf die Fertigung und nicht die spätere Wartung zurückgehe, betonte er.
Strafverfahren gegen Boeing könnte bald starten
Neben der Anhörung laufen bereits die Pläne für ein mutmaßliches Strafverfahren. Informationen von ZDF heute zufolge habe die USA den Weg für strafrechtliche Konsequenzen aus den Qualitätssicherungsproblemen von Boeing geebnet. Das Ministerium behauptete, dass das Unternehmen gegen Verpflichtungen aus einer früheren Vereinbarung verstoßen habe, die Boeing vor einer strafrechtlichen Verfolgung zweier Abstürze von Boeing 737 Max bewahrt hätten.
Demnach habe das Unternehmen es versäumt, „ein Compliance- und Ethikprogramm zu entwickeln, umzusetzen und durchzusetzen, um Verstöße gegen US-Betrugsgesetze im gesamten Unternehmen zu verhindern und aufzudecken.“ Das konstatierte das US-Justizministerium in einer Klageschrift.
Ein Skandal nach dem anderen: Whistleblower berichten von Qualitätsmängeln und unmoralischen Anweisungen der Boeing-Manager
In Vergangenheit hatten sich mehrere Whistleblower zu den Arbeitsweisen in den Boeing-Häusern geäußert. Die Vorwürfe kamen immer von internen oder externen Qualitätsprüfern.
Noch im Mai hatte sich Roy Irvin, ein Qualitätsprüfer bei Boeing in North Charleston, zu Wort gemeldet. Dieser berichtete der New York Post, dass er fast jeden Tag auf schwerwiegende Sicherheits- und Qualitätsmängel stieß, die er an Flugzeugen feststellte, die das Werk bereits verlassen hatten und sich auf der Fluglinie befanden. Normalerweise gilt: Alle Flugzeuge auf der Fluglinie wurden bereits überprüft und für sicher befunden. Dieser Check wurde demnach nicht sorgfältig genug durchgeführt.
Die neuesten Anschuldigungen kommen von Samuel Mohawk, einem Mitarbeiter der Qualitätssicherung im Boeing-Werk in Renton, Washington, wo die 737-Max-Flugzeuge produziert werden, berichtet die Süddeutsche Zeitung. Manager des Unternehmens hätten die Angestellten - einschließlich Mohawk - angewiesen, Dokumente über fehlerhafte Teile zu vernichten. Die Vorkommnisse sollen sich noch im vergangenen Sommer zugetragen haben.
Demnach sei es dadurch später nicht mehr nachvollziehbar gewesen, welche Teile nachgebessert werden mussten. Außerdem bestehe die Möglichkeit, dass nicht flugtaugliche Teile in die Flugzeuge eingebaut wurden. Laut Mohawk wollten die Führungskräfte so sicherstellen, dass das geplante Produktionswachstum erreicht und gleichzeitig Kosten gesenkt wurden. Zu diesen Anschuldigungen soll sich Calhoun vor dem US-Senat äußern. Dazu ist er aber nicht in der Lage. Er hätte erst am Morgen der Anhörung davon gehört.
Trotz Unglücken und Skandalen 32,8 Millionen Dollar Jahresgehalt – „Es ist ein Hohn, dass Sie Ihren Job noch haben“
Laut Informationen des Spiegels soll der republikanische Senator aus Missouri, Josh Hawley, dem Boeing-Chef so richtig auf den Zahn gefühlt haben. Er beginnt die Anhörung mit einer einfachen Frage: „Was bekommen Sie bezahlt?“ Calhoun zögert und antwortet ausweichend: „Mein Gehalt ist gut dokumentiert.“ Hawley besteht auf Genauigkeit: „Wie viel ist es?“ „Es ist eine ziemliche Menge“, antwortet dieser schließlich. Hawley hilft nach: „Es sind 32,8 Millionen Dollar, eine Steigerung um 45 Prozent. Wofür bekommen Sie das viele Geld?“ Calhoun stammelt, er bekomme es dafür, Boeing zu führen.
Hawley wirft ihm wohl empört vor, Boeing auszubeuten und seinen Profit zu steigern. Calhoun verteidigt sich, er sei stolz auf die Leistungen seiner Mitarbeiter. Hawley kontert: „Und das sagen Sie hier vor den Leuten, die ihre Geliebten verloren haben.“ Daraufhin stehen die Hinterbliebenen auf und halten Plakate mit Fotos der Verstorbenen hoch. „Es ist ein Hohn, dass Sie Ihren Job noch haben“, sagt der Republikaner schlussendlich.
Zum Jahresende gibt Dave Calhoun seinen Chefposten ab. Ein Nachfolger steht noch nicht fest. Mit Material der dpa
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