Weltmarkt und Handel
Experten warnen: Der deutschen Industrie droht ein „China-Schock“
Die aggressive Exportstrategie Chinas flutet die Weltmärkte mit billigen Gütern – und setzt Ländern wie Deutschland erheblich zu. Das spürt derzeit die Auto-Industrie und könnte sich bald ausweiten.
Elektroautos, Batterien, Solarmodule, Halbleiter – die Liste von Industriegütern, mit denen China den Weltmarkt flutet, ist lang. Die Exportoffensive der chinesischen Firmen trifft besonders Europa ins Mark. Die Strategie ist dabei branchenübergreifend dieselbe: Die unterschiedlichen Industriezweige werden in China seit Jahren vom Staat fürstlich subventioniert. Das heißt: Sie müssen nicht rentabel sein, können behutsam im protektionistischen Inlandsmarkt wachsen und erhalten zudem billige Kredite von den Staatsbanken. Nach der Übersättigung des Heimatmarktes drängen die chinesischen Firmen anschließend auf ausländische Märkte – und unterbieten mit Dumpingpreisen die dortige Konkurrenz. Das erlebte zum Beispiel die deutsche Solarindustrie.
China-Schock für die deutsche Industrie? Autoindustrie erlebt gerade eine drastische Warnung
Waren in den Nullerjahren vor allem die Textilindustrie und andere Sektoren, die günstige Massenwaren herstellten, betroffen, geht es inzwischen um die Kernindustrien des Westens. Der Ökonom Sander Tordoir spricht im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung von einem zweiten China-Schock, der nun Autos, Maschinen und Chemie ins Visier nimmt. In Verbindung mit grüner Umwelttechnologie herrsche für Europa und speziell Deutschland eine existenzielle Bedrohung, dass Unternehmen im Zuge des unfairen Konkurrenzdrucks abwandern oder ganz verschwinden.
Eine drastische Warnung erlebt die deutsche Öffentlichkeit derzeit am Beispiel der Automobilindustrie. Nacheinander kippten die hiesigen Hersteller Volkswagen, BMW und Mercedes-Benz ihre Gewinnprognosen für 2024. Massive Stellenkürzungen und Werkschließungen werden zudem immer realistischer, da speziell die Absatzmärkte für Elektroautos kolossal einbrachen. Gleichzeitig drängen günstige chinesische E-Autos auf den europäischen Markt. Diese sind dank jahrelanger Subventionen in China oftmals zwischen 10.000 und 20.000 Euro kosteneffizienter als die deutschen Modelle.
Wird der Robotik-Sektor der nächste Übernahme-Kandidat? China plant weltweite Expansion
Eine ähnliche Dominanz strebt die Volksrepublik auch im Robotik-Bereich an. Auf der dritten Plenarsitzung des Zentralkomitees verabschiedete die Kommunistischen Partei um Staatspräsident Xi Jinping Ende August eine entsprechende wirtschaftspolitische Agenda: Chinesische Roboter sollen künftig als Wachstumsmotor für eine neue Runde in der industriellen Transformation fungieren. Bereits jetzt ist das Land der mit Abstand größte Robotermarkt, allerdings auch dank Standorten ausländischer Firmen vor Ort. Dennoch sei die rasante Entwicklung Chinas in der Automation mit Industrierobotern „außergewöhnlich“, erklärte Marina Bill, Präsidentin des Robotik-Verbands International Federation of Robotics (IFR).
„Der operative Bestand des Landes überschritt vor zwei Jahren die Marke von 1,5 Millionen Stück – ein internationaler Rekord.“ Rund 51 Prozent beträgt der Weltmarktanteil von China, das im Jahr 2023 laut dem World-Robotics-Report allein 276.288 Industrieroboter installierte. Zum Vergleich: Die deutsche Wirtschaft installierte in diesem Zeitraum 28.355 Stück.
Strategie aus Fernost: „80 Prozent der Qualität ausländischer Wettbewerber, 20 Prozent des Preises“
Zwar verzeichnete Deutschland damit einen Absatzanstieg von 7 Prozent. Doch warnt die IFR bereits davor, dass zunehmend mehr qualitativ hochwertige Roboter auf den europäischen Markt drängen. Auch Alexander Brown vom Berliner Thinktank Merics mahnt gegenüber ntv, die Expansion aus Fernost ernst zu nehmen: „Immer mehr chinesische Firmen entwickeln günstige Produkte auf einem durchaus annehmbaren Qualitätsniveau.“ Dabei verfolgten die Robotik-Unternehmen die Strategie, „80 Prozent der Qualität ausländischer Wettbewerber zu erreichen und zu 20 Prozent des Preises zu verkaufen“.
Ein ähnliches Vorgehen sei bereits auf dem Chemie-Markt zu beobachten gewesen, in dem China mittlerweile mindestens auf Augenhöhe von deutschen Konzernen wie BASF, Bayer und Co rangiere. Im Bereich der Spezial- und Industriemaschinen sowie elektrischer Ausrüstungen sei die Volksrepublik bereits vorbeigezogen. Doch was können Deutschland und die EU gegen diese schleichende Übernahme tun?
EU-weite Investitionen und Zölle gegen China als Maßnahmen – dafür weniger Abschottung à la USA
Die EU müsse „konfrontativer werden“, erklärt Tordoir – speziell in Sektoren mit hohem Exportmarktanteil wie bei Elektrofahrzeugen oder Windturbinen. Dazu zählten Strafzölle, nationale Kaufanreize für klimafreundliche Produkte sowie mehr Schulden. Besonders letzteren Punkt sieht er alternativlos, immerhin könne Chinas Überproduktion die deutschen Exporte langfristig lähmen: „Deutschland kann seine Fertigung nur sichern, wenn es die Binnennachfrage und die Investitionen erhöht.“
Auch für Brown sind zusätzliche Investitionen innerhalb der EU unverzichtbar – in erster Linie in fortschrittliche Fertigungsprozesse und eine günstige Energieversorgung. „Die europäischen Regierungen sollten alles in ihrer Macht Stehende tun, um ihren eigenen Unternehmen zum Erfolg zu verhelfen“, ergänzt Brown. Ebenso könnten Ausgleichszölle europäische Unternehmen vor „unlauterem chinesischen Wettbewerb“ schützen. Dennoch, da sind sich beide Experten einig, müssten die Handelsbeziehungen mit und die Technologieoffenheit gegenüber China fortgesetzt werden. Eine Strategie der Abschottung, wie sie zuletzt Joe Biden gefahren ist, sei keine Alternative.
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