Streit in der Solarbranche
Absturz der Preise für Solaranlagen: Macht China mit Dumping den europäischen Markt kaputt?
Die europäische Photovoltaik-Industrie ist vor zehn Jahren schon einmal fast unter dem Ansturm der chinesischen Konkurrenz zugrunde gegangen.
Inzwischen halten Firmen wie Longi, Trina Solar, Jinko Solar oder Risen weit mehr als 80 Prozent des globalen Marktanteils. 2022 kamen nach Angaben des Statistischen Bundesamts rund 87 Prozent der nach Deutschland importierten Photovoltaikanlagen aus der Volksrepublik. Eine heimische Photovoltaikindustrie ist in Europa erst so langsam wieder im Aufbau. Und so ist es leicht, die jungen Firmen mit Horrorberichten in Panik zu versetzen.
So geschehen Anfang Oktober, als das Business-Intelligence-Unternehmen Rystad Energy berichtete, dass sich Solarmodule mit einer Gesamtleistung von 80 Gigawatt (GW) in Europas Lagern stapeln. Der Branchenverband European Solar Manufacturing Council (ESMC) schätzte, dass mit 40 GW etwa die Hälfte der Lagerware Solarmodule aus China sind. Zum Vergleich: Die Länder der EU haben 2022 insgesamt 41,4 GW neuer Solarkapazität installiert — es ist ein Rekordwert.
Sowohl chinesische als auch internationale Quellen hätten die irren Zahlen von Rystad zurückgewiesen, schreiben die Energie-Analysten der Pekinger Beratungsfirma Trivium. Der Trend sei dennoch klar: „Angesichts eines massiven Überangebots überschwemmen Chinas Solarhersteller derzeit die Überseemärkte mit spottbilligen Modulexporten.“ Und auch wenn der Lagerstand wohl niedriger ist als von Rystad ermittelt: Die Branche ist sich einig, dass er zu hoch ist.
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Dieser Artikel liegt IPPEN.MEDIA im Zuge einer Kooperation mit dem China.Table Professional Briefing vor – zuerst veröffentlicht hatte ihn China.Table am 24. Oktober 2023.
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Solarmodul-Misere aus China
Die Überkapazitäten in der Volksrepublik sind groß und wachsen offenbar weiter an. „Die Ankündigungen für neue Produktionskapazitäten in China reißen nicht ab; immer mehr Unternehmen nehmen neue Produktionslinien in Betrieb, entgegen allen vernünftigen Geschäftsregeln“, kritisierte der ESMC, dem etwa 70 Unternehmen der Branche angehören.
Doch auch die Gemengelage aus Pandemie und Ukraine-Krieg hat nach einem Bericht des Fachmagazins pv-magazine zu der Misere beigetragen. Der Ukraine-Krieg befeuerte die Nachfrage nach Photovoltaik in Europa, während die noch mit den Nachwehen der Null-Covid-Politik kämpfenden Hersteller in China mit der Produktion 2022 zunächst nicht nachkamen. „Händler in ganz Europa sahen, dass ihre Bestände zur Neige gingen und bestellten massiv, um ihre Kunden sofort beliefern zu können“, sagte Edurne Zoco, Analystin bei S&P Global dem Magazin. Diese fuhren die Produktion folglich massiv hoch.
Dramatischer Preisverfall
Die dramatischen Konsequenzen zeigen sich jetzt. Während einerseits die Nachfrage wieder in einem normaleren Tempo wächst, ist das Angebot massiv gestiegen. Die Folge ist ein plötzlicher Preisverfall seit dem Sommer. Die Preise für Solaranlagen stürzten binnen weniger Monate auf ein Rekord-Tief. So liegen die Durchschnittspreise für Module in der EU mit etwa 15 Cent pro Watt Leistung kaum noch über denen in China, die laut Trivium ihrerseits seit 2022 um etwa 40 Prozent gesunken sind. Die nun möglichen Verkaufspreise der gelagerten Module liegen daher unter jenen, die Großhändler und PV-Anlagenbauer in der hitzigen Phase im Einkauf dafür bezahlt hatten.
Der Vorwurf lautet nun: Chinas seit Jahren subventionierte Solarbranche verkaufe seine Produktions-Überschüsse unter den Herstellungskosten, das wäre Dumping. 40 Unternehmen aus der Branche – darunter der Schweizer Hersteller Meyer Burger, der in Deutschland unter anderem im sächsischen Freiberg und im „Solar Valley“ bei Bitterfeld in Sachsen-Anhalt produziert, sowie der deutsche Modulproduzent Heckert Solar und das Start-up Nexwafe – forderten daher Mitte September in einem gemeinsamen Brief an die Europäische Union Unterstützung aus Brüssel.
Debatte über Dumping bei Solaranlagen
Zwei Wochen später legten mehrere Bundesländer und Vertreter der Solarbranche in Berlin ein Zehn-Punkte-Programm zur Rettung der Solarmodulhersteller in Deutschland vor. Vor allem Sachsen und Sachsen-Anhalt machen Druck. In den beiden Ländern werden dem sächsischen Energieministerium zufolge Halbleiter, Zellen, Module, Vorprodukte und Anlagen für die Solarindustrie produziert. Sachsens Energieminister Wolfram Günther sprach bei der Präsentation von einer „heftigen Dumpingattacke Chinas“. Es sei fünf vor Zwölf. „Hier werden innovative und voll wettbewerbsfähige europäische Unternehmen mit staatlich subventionierten Kampfpreisen vom Markt gedrängt.“
Das Papier fordert unter anderem:
- Sicherstellung bestehender EU-Importstandards: Alle Importe müssen die strengen Qualitätsstandards erfüllen.
- Prüfung der Förderpläne für den Sektor und gegebenenfalls Anpassung nach oben. Einbeziehung der gesamten Wertschöpfungskette vom Silizium bis zum Solarmodul
- Inkrafttreten der geplanten EU-Verordnung zum Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit
Letztere soll die unliebsame chinesische Konkurrenz aus dem Markt drängen. Denn seit die USA 2021 Importe von Solarmodulen mit Silizium aus Xinjiang in die USA verboten, werden Chinas ohnehin stark wachsende Ausfuhren immer stärker nach Europa umgeleitet. Auch der ESMC fordert daher das Zwangsarbeits-Importverbot. „Ziel ist, dass Entwicklung und Wertschöpfung in diesem Bereich bei uns bleiben und nicht dauerhaft abwandern“, sagte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer.
Kosten vs. Unternehmensschutz: Keine einfachen Lösungen
Die EU will die Abhängigkeiten vom Ausland und speziell von China reduzieren. Bis 2030 sollen nach dem geplanten NetZero Industry Act der EU-Kommission mindestens 40 Prozent aller Photovoltaikanlagen im europäischen Inland produziert werden. Dazu sollen Gigafabriken in Frankreich, Italien und Deutschland entstehen. Wie genau das geschafft werden soll, ist bisher ungewiss.
Es gibt keine einfachen Lösungen. „Die EU steht vor einer zunehmend schwierigen Entscheidung: Entweder sie lässt sich auf billigere chinesische Cleantech-Importe ein, um einen reibungslosen Dekarbonisierungsprozess zu ermöglichen. Oder sie schützt die heimische Produktion sauberer Energie und macht damit die Energiewende teurer“, schreiben die Trivium-Experten. Ein Förderpaket im Ausmaß des „Inflation Reduction Act“ (IRA) der USA aufzulegen, wäre für Brüssel schwierig und würde lange dauern.
Die EU erhebt seit 2014 bereits Antidumping- und Antisubventionszölle auf aus China importiertes Solarglas. Brüssel schaute auch damals auf die Auswirkungen der Zölle auf die Kostenstruktur der europäischen Photovoltaik-Modulhersteller und befand diese nicht als unverhältnismäßig.
Komplizierte Marktlage
Antidumpingzölle sind aber nur möglich, wenn wirklich Dumping vorliegt, sprich die angebotenen Preise unter den Herstellungskosten liegen – oder die Hersteller in den Exportmärkten weniger verlangen als auf dem Heimatmarkt. Laut Trivium und pv magazine liegen die Preise in China ähnlich niedrig wie derzeit in der EU. Die dortigen Herstellungskosten sind schwerer zu ermitteln, ebenso wie die Frage, ob Chinas Subventionen den Markt stark genug verzerren, um Antisubventionszölle zu rechtfertigen.
Meyer Burger-Chef Gunter Erfurt hat dazu eine klare Meinung. Er schrieb kürzlich auf Linkedin: „Nur noch acht Prozent aller Modulkapazitäten werden 2023 nicht von China kontrolliert sein. Das empfinden wir als normal und völlig OK? In Zeiten massiver geopolitischer Veränderungen? Ich bin enorm besorgt, und wir sollten es alle sein.“